Gastkommentar von Peter Sverak
Deepfakes sind keine Zukunftsbedrohung mehr — sie sind Realität und Waffe

Gastkommentar von Peter Sverak, ehemaliger Landesgeschäftsführer der Wiener Volkspartei. 

Es beginnt fast beiläufig. Ein kurzer Clip taucht im Netz auf, unscharf, verwackelt, gerade durch seine Unschärfe glaubwürdig. Stunden später haben Millionen ihn gesehen. Kund:innen stellen Rückfragen, Mitarbeitende werden unruhig, Journalist:innen greifen das Thema auf. Noch bevor jemand prüfen kann, ob die Bilder überhaupt echt sind, hat sich ein Eindruck festgesetzt – und dieser erste Eindruck ist mächtiger als jede spätere Korrektur.

Das ist die Realität des Jahres 2025: Nicht mehr die Wahrheit setzt die Agenda, sondern die Geschwindigkeit. Deepfakes, synthetische Stimmen, fingierte Augenzeugenberichte – sie alle sind keine Randphänomene mehr, sondern Instrumente, mit denen gezielt Vertrauen angegriffen wird. Und Vertrauen ist das Fundament jedes Unternehmens. Ohne Vertrauen wankt alles: Märkte, Partner:innen, Belegschaften.

Ich habe in Wahlkämpfen erlebt, wie eine geschickt platzierte Behauptung binnen Stunden die Richtung einer gesamten Debatte verändern konnte. In der Wirtschaft ist der Mechanismus derselbe, nur die Folgen sind unmittelbarer – und teurer. Ein manipuliertes Video, das angebliche Produktionsmängel zeigt, kann ausreichen, um Großkunden zum Stopp laufender Bestellungen zu bewegen. In Aufsichtsräten schrillen die Alarmglocken, Lieferant:innen verlangen zusätzliche Prüfungen, Wettbewerber nutzen die Verunsicherung. Selbst wenn sich später herausstellt, dass die Bilder manipuliert waren: Der Schaden ist längst angerichtet.

Noch gefährlicher sind die synthetischen Stimmen, die inzwischen täuschend echt klingen. Stellen Sie sich vor: Die Finanzabteilung erhält eine dringende Weisung vom "Vorstand" – glaubwürdig in Tonlage, Tempo und Ausdruck. Überweisungen werden angestoßen, Passwörter weitergegeben, vertrauliche Dokumente verschickt. Erst im Nachhinein zeigt sich, dass alles gefälscht war. Hier geht es nicht um Image, sondern um den Kern der operativen Sicherheit.

Oder nehmen wir den unscheinbaren Social-Media-Post eines "Augenzeugen", der angebliche Verstöße in einer Filiale beschreibt. Binnen Stunden teilt sich der Beitrag tausendfach. Mitarbeitende sind verunsichert, Kund:innen stellen Fragen, Behörden leiten Prüfungen ein. Am Ende stellt sich heraus: Alles erfunden. Doch die Schlagzeilen bleiben, und das Bild im Kopf der Öffentlichkeit lässt sich nicht so leicht löschen.

Noch subtiler sind koordinierte Kampagnen, bei denen Netzwerke aus anonymen Accounts und Blogs über Tage hinweg dieselbe Botschaft streuen. Es wirkt zunächst wie Hintergrundrauschen, doch irgendwann nehmen klassische Medien den Ball auf, und aus Rauschen wird Resonanz. Das Narrativ verfestigt sich, bis Aufsichtsbehörden reagieren oder Investor:innen Druck machen.

Gefährlich ist nicht nur die Täuschung selbst, sondern die Dynamik, mit der sie sich verbreitet. Beides zusammen macht sie so fatal: die Lüge als Ausgangspunkt, die Geschwindigkeit als Brandbeschleuniger. Wahrheit ist oft zu langsam, um noch Gewicht zu haben. Wer in den entscheidenden Minuten schweigt, verliert nicht nur die Deutungshoheit, sondern auch das Vertrauen, das über Jahre aufgebaut wurde.

Doch die Geschichte muss hier nicht enden. Denn Unternehmen sind diesem Risiko nicht wehrlos ausgeliefert. Die Antwort liegt nicht in technischer Allmacht, sondern in organisatorischer Klarheit und kultureller Reife. Wer feste Prüfwege etabliert, kann Fakten in Minuten auf den Tisch legen. Wer eingespielte Teams bereithält, bleibt handlungsfähig, auch wenn draußen die Gerüchte lodern. Wer den Mut zur Transparenz hat, auch mit Zwischenschritten und Ungewissheiten, baut Vertrauen auf, statt es zu verlieren. Und wer Szenarien regelmäßig trainiert, verwandelt Unsicherheit in Routine.

So wird aus der Bedrohung auch eine Chance: Unternehmen, die Resilienz gegen Desinformation aufbauen, gewinnen an Glaubwürdigkeit – nicht nur in der Krise, sondern auch im Alltag. Sie zeigen, dass sie schnell, klar und entschlossen kommunizieren können. Sie strahlen Sicherheit aus, wo andere ins Wanken geraten. Und sie stärken damit das Vertrauen, das langfristig wichtiger ist als jede kurzfristige Schlagzeile.

Deepfakes werden bleiben. Doch ob sie zur Waffe gegen ein Unternehmen werden oder an seiner Widerstandskraft abprallen, entscheidet nicht die Technologie allein – es entscheidet die Führung.

Am Ende ist es schlicht: In einer Welt, in der jede Wahrheit angezweifelt werden kann, ist Glaubwürdigkeit die letzte stabile Währung. Wer sie schützt, gewinnt nicht nur den Tag, sondern die Zukunft. Und vielleicht liegt gerade darin die positive Vision: dass jene Organisationen, die heute lernen, Wahrheit und Klarheit zur Richtschnur ihres Handelns zu machen, morgen stärker und vertrauenswürdiger dastehen werden als je zuvor.


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Peter Sverak

Peter Sverak war bis Mai 2025 Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der Wiener Volkspartei. Davor war er über ein Jahrzehnt als Unternehmer in den Bereichen strategische Kommunikation, Public Affairs und Kampagnenführung tätig – mit Schwerpunkt auf Positionierung, Führungsbegleitung und gesellschaftspolitischer Wirkung.

Seine Erfahrung an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Medien fließt heute in seine Arbeit als strategischer Vordenker und publizistischer Impulsgeber ein.

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Peter Sverak

Peter Sverak war bis Mai 2025 Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der Wiener Volkspartei. Davor war er über ein Jahrzehnt als Unternehmer in den Bereichen strategische Kommunikation, Public Affairs und Kampagnenführung tätig – mit Schwerpunkt auf Positionierung, Führungsbegleitung und gesellschaftspolitischer Wirkung.

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