Johannes Kopf im Interview
"Wie viele Menschen künftig arbeiten, ist noch nicht entschieden"

| Redaktion 
| 17.12.2025

Im LEADERSNET-Interview spricht AMS-Vorstand Johannes Kopf über den sich zuspitzenden Fachkräftemangel, die wirtschaftlichen Folgen der Demografie und die Verantwortung von Unternehmen. Er erklärt, warum Produktivität, Weiterbildung und bessere Rahmenbedingungen für Vollzeitarbeit entscheidend sind, wie Betriebe vom Potenzial Älterer und Qualifizierung profitieren können und weshalb Digitalisierung und KI nur dann Wachstum bringen, wenn sie aktiv gestaltet werden.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Kopf, aufgrund der Demografie werden bis 2040 in Österreich 570.000 Fachkräfte fehlen könnten. Welche Maßnahmen erachten Sie als dringend notwendig, um dieser Herausforderung erfolgreich zu begegnen?

Johannes Kopf: Wir müssen auf mehreren Ebenen ansetzen. Neben einem klaren Auftrag an das Bildungssystem braucht es eine bessere Nutzung vorhandener Potenziale – etwa bei Frauen, Älteren und Menschen mit Migrationshintergrund. Andererseits sollten wir gezielt in Weiterbildung investieren. Und wir dürfen die Zuwanderung nicht nur über die „Rot-Weiß-Rot“-Karte regeln, sondern auch das Potenzial jener Menschen fördern, die bereits hier sind, etwa geflüchtete Jugendliche.

LEADERSNET: Sie sprechen mehrere Ansatzpunkte an. Wenn wir nun konkret auf die demografische Entwicklung schauen: Laut Statistik Austria wird es 2040 rund 240.000 weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter geben. Wie sollte Österreich seinen Arbeitsmarkt vor diesem Hintergrund gestalten, um trotz dieser Verschiebung wettbewerbsfähig zu bleiben?

Kopf: Wir müssen akzeptieren, dass wir aufgrund der Demografie weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter haben werden. Und wie viele von Ihnen arbeiten werden, ist noch nicht entschieden. Das bedeutet: mehr Produktivität durch Weiterbildung und Technologie. Gleichzeitig braucht es Rahmenbedingungen, die Vollzeitarbeit erleichtern – etwa durch flächendeckende Ganztagsbetreuung. Nur so schaffen wir echte Wahlfreiheit und können das Arbeitsvolumen stabil halten.

LEADERSNET: Sie erwähnen Weiterbildung als zentralen Hebel. Jetzt investiert Österreich ja bereits jährlich Milliarden in aktive Arbeitsmarktpolitik, doch Kritiker monieren, der Return on Investment sei schwer messbar. Können Sie uns konkrete Zahlen oder Erfolgsindikatoren nennen, die belegen, dass AMS-Maßnahmen tatsächlich wirken?

Kopf: Wir setzen für die aktive Arbeitsmarktpolitik gut eine Milliarde und nicht mehrere Milliarden Euro ein. Unsere Programme zeigen nachweislich Wirkung. Kaum ein politischer Bereich ist in Österreich so gut evaluiert wie die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir können an unseren Daten die Effekte jedes Schulungsprogramms beurteilen. Sehr erfolgreich ist etwa die überbetriebliche Lehre, die Jugendlichen den Einstieg in die Lehre erleichtert und gleichzeitig die Wirtschaft mit gut ausgebildeten Fachkräften versorgt. Investitionen in Qualifizierung zahlen sich aus – manchmal erst langfristig aber dafür umso deutlicher.

LEADERSNET: Bleiben wir beim Thema Qualifizierung, aber mit Blick auf eine besondere Herausforderung: Die Automatisierung wird nicht alle Jobs zerstören, aber sie wird alle verändern. Welche Berufsgruppen wird die KI-Revolution in den nächsten fünf Jahren am stärksten treffen, und wie bereitet das AMS Menschen konkret auf diese Transformation vor?

Kopf: Wir sehen in allen Bereichen Verschiebungen – manche Tätigkeiten fallen weg, andere entstehen neu. Wie bei früheren technologischen Sprüngen gibt es Gewinner und Verlierer. Das

Ziel ist, Beschäftigte frühzeitig zu qualifizieren, bevor ihre Jobs verschwinden. Wir fördern daher Umschulungen und gezielte Qualifizierungen, besonders in digitalen und grünen Berufen.

LEADERSNET: Von der technologischen Transformation zu einer Gruppe, die oft besonders schwer getroffen wird: Rund 100.000 Menschen in Österreich gelten als langzeitarbeitslos. Was sind aus Ihrer Erfahrung die hartnäckigsten Barrieren, die Menschen daran hindern, wieder einzusteigen – und welche unkonventionellen Lösungsansätze verfolgt das AMS hier?

Kopf: Langzeitarbeitslosigkeit betrifft vor allem Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen – geringe Ausbildung, gesundheitliche Probleme oder höheres Alter. Hier helfen klassische Maßnahmen oft nicht. Wir setzen hier etwa auf sozialökonomische Betriebe, gemeinnützige Beschäftigungsprojekte, aber auch Qualifizierungen und Anreize für Arbeitgeber:innen wie die Eingliederungsbeihilfe.

LEADERSNET: Sie sprechen das höhere Alter als Vermittlungshemmnis an. Tatsächlich zeigte eine AMS-Studie, dass ältere Bewerber häufiger diskriminiert werden als Jüngere. Was sind Ihre konkreten Ideen, um Altersdiskriminierung am Arbeitsmarkt systematisch abzubauen?

Kopf: Zuerst müssen Betriebe das Bewusstsein dafür schärfen. Ich empfehle jedem Unternehmen, zu prüfen: Wie hoch der Anteil der Bewerber:innen über 50 ist – und wie groß der Anteil ist, die davon eingestellt wurden? Wenn hier ein Missverhältnis besteht, sollte man sich fragen, warum. Unsere Berater:innen unterstützen Unternehmen dabei, Vorurteile abzubauen und aktiv das Potenzial älterer Menschen zu nutzen.

LEADERSNET: Lassen Sie uns noch einmal das große Bild betrachten: Laut Wifo könnten in Österreich bis 2040 über 300.000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen – vor allem in Technik, Pflege und Bildung. Welche Strategien verfolgt das AMS, um diese Lücke realistisch zu schließen – jenseits von Schlagworten wie "Umschulung" oder "Zuwanderung"?

Kopf: Der erste Schritt ist gezielte Berufs- und Bildungsberatung, um auf die Chancen in diesen Berufsfeldern hinzuweisen. Wir setzen zudem auf gezielte Förderungen in genau diesen Bereichen. Das reicht vom Pflegestipendium über technische Lehrgänge bis hin zu Programmen, um mehr Frauen in technische Berufe zu bekommen.

LEADERSNET: Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Welche konkreten Hoffnungen und Herausforderungen sehen Sie für den österreichischen Arbeitsmarkt in den nächsten fünf Jahren, gerade auch im Kontext der Digitalisierung und Globalisierung?

Kopf: Ich bin grundsätzlich zuversichtlich. Digitalisierung und KI bieten viele Chancen, wenn wir sie aktiv gestalten. Entscheidend wird sein, niemanden zurückzulassen – weder Ältere noch gering Qualifizierte. Wenn uns das gelingt, kann Österreich seinen Wohlstand halten und vielleicht sogar stärken. 

www.ams.at

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