Live wird nicht sterben, weil live bedeutet Leben

Gastkommentar von Wolfgang Fischer, Geschäftsführer der Wiener Stadthalle.

Nach drei Monaten Kulturzölibat geht langsam der Lappen wieder hoch. Aber will das noch wer sehen, nachdem die digitale Selbst- wie Fremdbefriedigung so praktisch wie angenehm war? Und noch lange nicht zu Ende sein wird!

Einfach faul liegen bleiben! Der 98-Zoll-Ultra-HD-Fernseher, mit Alexa und fire-stick, auf Zuruf, ohne Hand anlegen zu müssen, bedienbar. Dieser Infinity Screen TV, unmittelbar nach dem Shutdown im dennoch geöffnet gebliebenen Supermarkt erstanden, wird sich amortisieren! Da kommen zwar die verwackelten Livestreams und Videos der Equilibristen jeglicher Genres und Talente, die seit dem Herunterfahren meinten, durch ihre Beiträge das Kulturleben mittels ihrer Hervorbringungen hochführen zu müssen, besonders lebendig, quasi life live, an. Aber das war man ja von den eigenen Handy-Videos, aufgenommen bei Helene Fischer oder Justin Bieber gewohnt. Selber angeschaut hat man sie eh nicht. Es ging mehr darum, den vielen Social Media-Freunden und-Feinden zu zeigen, dass man echt dabei war!

Wer wirklich das Konzert, die Show, genießen wollte, hat sich den unzähligen professionellen Aufzeichnungen der Künstler auf YouTube und anderen Kanälen gewidmet. Seit März mangels Life-Alternativen noch mehr! Man hat sich gewöhnt daran. Gewöhnt, nach wenigen Minuten weiterzuzappen oder wegzunicken. Letzteres wäre im Normalbetrieb eines Theaters oder Konzerts weniger außergewöhnlich, soll auch vorher schon passiert sein.

Aber man stelle sich das neue digitale Verhalten beim "Ring" oder "Hamlet" vor? Wobei das Verlassen des Platzes dank Schachbrett-Placement einfacher wird. Stehplätze wird es in geschlossenen Räumen noch länger nicht gehen. Dafür aber eine gewisse digitale Übersättigung? Statt Full HD endlich wieder 5D mit allen Sinnen? Authentizität statt Plastik aus der Röhre.?

Ja, live wird nicht sterben, weil live bedeutet Leben, gemeinsames Erleben, bedeutet Unvollkommenheit, bedeutet kollektives Spüren! Live-Entertainment jeder Arti wird bald stärker und auch notwendiger sein als vor dem März 2020!


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

leadersnet.TV