Editorial des Herausgebers
Milchflüsse und Machtverhältnisse

| Wolfgang Zechner 
| 27.05.2025

Ein Traditionsbetrieb am Scheideweg, ein Konzern auf Wachstumskurs: Die NÖM übernimmt die Vorarlberg Milch. Was bleibt, ist die Marke Ländle Milch. Was geht, ist ein Stück Selbstständigkeit. Ein Kommentar über Chancen, Zwänge und das neue Machtgefüge in der Milchwirtschaft.

Hier finden Sie mein Interview, das ich mit Veronika Koch und Gregor Feistl, der Marketingleiterin und dem Verkaufsleiter der NÖM, geführt habe. Zum Thema Vorarlberg Milch konnten Sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen. Die Verhandlungen über eine Übernahme befanden sich gerade in der Schlussphase. Nun ist es aber amtlich.Die NÖM AG übernimmt die wirtschaftlich angeschlagene Vorarlberg Milch. Es ist ein Schritt, der weit über eine bloße Betriebsübernahme hinausgeht. Er steht exemplarisch für die strukturellen Verschiebungen in der österreichischen Milchwirtschaft. Während im Westen Traditionswerte hochgehalten werden, rollt aus dem Osten der große Tanklaster mit Investitionskraft und Wachstumshunger.

Dass 96,5 Prozent der Vorarlberger Genossenschafter der Übernahme zustimmten, war keine Formsache – es war eine Entscheidung aus der Not. Die V-Milch schrieb zuletzt Millionenverluste, der Umsatz schrumpfte auf 56 Millionen Euro, während sich immer mehr Lieferanten Richtung Deutschland orientierten. Die NÖM hingegen, mit einem Umsatz von 685 Millionen Euro etwa zehnmal so groß, bringt wirtschaftliche Stabilität, eine klare Strategie – und neue Perspektiven.

Ab Juni soll der Milchpreis für gentechnikfreie Milch um rund fünf Cent steigen. Die Marke Ländle Milch bleibt erhalten, Feldkirch wird zum Käse-Kompetenzzentrum der NÖM ausgebaut. Auch die Genossenschaft bleibt beteiligt – mit drei Prozent an der NÖM AG und einem Sitz im Aufsichtsrat. Das ist mehr als ein symbolischer Trostpreis. 

Was hier passiert, ist kein kalter Ausverkauf. Es ist ein kontrollierter Schulterschluss. Die NÖM benötigt Käsekompetenz und Zugang zum italienischen Markt. Die Vorarlberger liefern beides. Umgekehrt bekommt die Ländle-Genossenschaft wieder Luft zum Atmen. Der Preis dafür ist freilich hoch: ein Stück Eigenständigkeit weniger.

Die Milchwirtschaft kennt keine Sentimentalitäten. Sie kennt vor allem Skaleneffekte, Margendruck – und Konsument:innen, die beste Qualität zu billigem Preis erwarten. Vor diesem Hintergrund ist die Übernahme der Vorarlberg Milch keine Tragödie, sondern eine notwendige Neuordnung. Die Marke bleibt, die Landwirt:innen bleiben – und die Milch fließt weiter. Nur wohin die Ströme künftig gelenkt werden, bestimmen nun andere.

 

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