Dienst an der Gesellschaft – Über die Für und Wider eines Pflichtdienstes

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Aufmerksame Leser:innen meines Gastkommentars können sich vielleicht daran erinnern, dass ich mir schon vor einigen Wochen, konkret zu Beginn der Ukraine-Krise, darüber Gedanken gemacht habe, ob eine generelle Dienstpflicht von z. B. einem Jahr als Beitrag für die Gesellschaft nicht etwas wäre, worüber man zumindest diskutieren sollte. Aktuell gehen dazu in Deutschland die Wogen wieder hoch, noch höher ist dabei nur die Unstimmigkeit der Diskutant*innen, selbst über Parteigrenzen hinweg. Dabei wird sehr oft sogar soweit gegangen, dass behauptet wird, mit einem Pflichtjahr würde gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen. Als Rechtsanwalt halte ich das für Blödsinn, aber das zeigt auch, wie falsch die Diskussion geführt wird. Es geht hier doch weniger um kleinliche Juristerei, sondern mehr um eine grundsätzliche gesellschaftliche Diskussion.

Vor wenigen Tagen formulierte Eckart Lohse in der von mir sehr geschätzten Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass es bei der Dienstpflicht weniger „um die Rekrutierung von Nachwuchs für die Bundeswehr (Anm. bzw. Bundesheer in Österreich) ginge, sondern vielmehr um gesellschaftlichen Zusammenhalt jener Generationen, die immer früher im Leben mit der Schule, der Ausbildung und dem Studium fertig sind und sich bis dahin vor allem um ihr eigenes Fortkommen kümmern müssen, während weniger Zeit für gesellschaftliches Engagement bleibt.“

Unterschreibe ich so. Und ich ergänze: Auch für Selbstfindung bleibt der jungen Generation immer weniger Zeit. Dazu aber später mehr. Natürlich ließe sich nun trefflich darüber streiten, wie sinnvoll der Einsatz junger Menschen im Zuge eines solchen Dienstes in Bereichen ist, die eine gewisse Ausbildung voraussetzen – etwa im Pflegebereich, in Krankenhäusern. Dafür ist ein Jahr dann doch sehr kurz, und der Aufwand für die Einarbeitung frisst womöglich die eigentlich intendierte Entlastung auf. Zudem können die frisch Ausgebildeten erst ein Jahr später ins „eigentliche“ Berufsleben einsteigen und fehlen womöglich als Fachkräfte – ein Prekariat, dass sich in Wahrheit auch nicht weiter verschärfen sollte.

Vielleicht darf man es aber einfach nicht zu eng denken, sondern sollte erstens den Radius für die Einsatzmöglichkeiten erweitern – Soziales, Gesundheit, Umwelt, Administration, Bildung, Kultur, Sport, Gemeinwesen – und zweitens auch die jungen Menschen in die Konzeption mit einbinden. Es geht darum, dieses Engagement auch attraktiv zu machen und es nicht als lästige Pflicht, sondern als Bereicherung für die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu positionieren. Bei einem – wenn man das so nennen will – schichtübergreifenden Zusammentreffen und -arbeiten können nämlich alle Seiten voneinander lernen. Die eher „Betuchten“, dass einem nicht alles auf dem Silbertablett serviert wird und jene aus bildungsferneren Schichten, dass seine Wünsche nicht zwangsläufig derjenige durchsetzt, der am lautesten und rücksichtslosesten ist, sondern dass manchmal Diplomatie der Schlüssel zum Erfolg ist. Geben und nehmen in jedem erdenklichen Sinne. Erfolgserlebnisse mitnehmen, Lernen für’s Leben, also genau das, was der Schulbildung ohnehin abgesprochen wird. Das muss am Ende eines solchen Jahres stehen.

Die Augen geöffnet

Nach dem Abitur (dem deutschen Pendant der Matura) habe ich fast zwei Jahre bei der Bundeswehr verbracht und ich kann nur sagen, es hat mir in vielerlei Dingen die Augen geöffnet. Ich habe ganz unterschiedliche Menschen kennengelernt, mit denen ich vorher nie Kontakt hatte und andernfalls nie gehabt hätte. Ich konnte lernen, wie Menschen in Krisensituationen reagieren und vor allem, wie ich darauf reagiere.

Das führt mich noch zu einem weiteren Aspekt: Stichwort Selbstfindung: Wie viele junge Menschen wissen nach der Pflichtschulzeit oder nach der Matura noch nicht so genau, was sie künftig machen möchten? Die dann einfach mal „auf die Uni gehen“, um zu studieren, was schon die Eltern studiert haben, weil sie einfach keinen anderen Plan haben – und dann wenig Erfüllung in ihrer Tätigkeit finden. Ein Jahr mehr Zeit, um in einen Bereich zu blicken, den man sonst nicht kennenlernen würde und dort eine Richtung zu entdecken, eine Beschäftigung, die einem sinnvoll erscheint, würde hier vielleicht Abhilfe schaffen bzw. neue Möglichkeiten und Denkweisen eröffnen.

Auch in der modernen Arbeitswelt erweisen sich abteilungs- bzw. hierarchieübergreifende Kooperationsformen als äußerst produktiv. Das Einnehmen anderer Positionen und die projektbezogene Zusammensetzung von Teams aus unterschiedlichen Abteilungen, ja sogar Ländern, gehört etwa bei JTI Austria und global innerhalb des Konzerns zu einem Erfolgsrezept, das durch flexibles und agiles Arbeiten Einzug gehalten hat und bleiben wird.

Und um zur gesellschaftlichen Diskussion zurückzukommen, ich glaube, dass John F. Kennedy absolut richtig lag, als er sagte: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst.“ Mit dieser Einstellung würde es uns auch einfacher fallen, jene Herausforderungen, die gerade auf uns zukommen, einfacher, schneller und besser zu lösen. Die Dienstpflicht wäre nur eine Auswirkung oder ein Tool dieser Einstellung zum Staat und zur Gesellschaft.

Am Ende des Tages muss vor allem auch eines klar sein:

Die Jugend verlangt – zu Recht! – von der Gesellschaft, ihr eine lebenswerte Welt sicherzustellen, sie nehmen sie dafür in die Pflicht und stellen Forderungen. Ein Pflichtjahr sehe ich in diesem Sinne daher nicht als Gegenleistung, sondern als Beitrag dazu an – und das müsste doch ganz im Sinne der jungen Menschen sein, nicht?

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