Weniger ist mehr – Selektion mit Digital Detox

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.  

Für Digital Natives ist es die pure Horrorvorstellung: Briefe statt E-Mails, Festnetztelefon mit Anrufbeantworter, analoge Fotografie inkl. dem Weg zum Fotolabor und tagelanges Warten auf die Fotoprints.

Social Media war für Kinder und Jugendliche früher im besten Fall das Freundschaftsalbum, das wir Stammbuch genannt haben. Stammbuch, schon allein das Wort katapultiert uns in eine Zeit, in der Telefonbücher ein ganzes Regal in Anspruch genommen haben. Eine Zeit, in der wir unsere Notizbücher mit den wichtigsten Telefonnummern stets dabeihatten, monströse Desktop-PCs das Interior-Design prägten und fette Nachschlagewerke unverzichtbar waren. Wer vor dem digitalen Zeitalter die wichtigsten Nachrichten im Überblick haben wollte – und das ging auch nur, wenn man nicht gerade beruflich oder privat auf Achse war – setzte auf den good old Teletext. Ich gebe zu, ich bin ein haptischer Mensch und liebe Filofax, Füllfeder und Papier! Aber gute alte Zeit? Nein, nicht wirklich. Die moderne Technik hat schon vieles vereinfacht und uns nach vorne gebracht.

Es gibt aber auch ein aber

Vor allem dann, wenn es fast rund um die Uhr ping macht, es brummt, vibriert, aufleuchtet, eine Pushnachricht nach der anderen eintrudelt oder das Handy im 5-Minuten-Takt läutet. Zu viele Nachrichten, zu viele PNs, zu viele Anrufe, zu viele Kommentare auf den Social-Media-Kanälen, auf die man dann wieder reagiert. Aus einem Reflex heraus. Alles muss gleich und alles muss schnell sein. Wir sind jederzeit und überall erreichbar. Diese ständige Erreichbarkeit erhöht auch den Druck, rasch, am besten in der Sekunde, zu reagieren.

Die digitale Welt und die digitalen Medien sind mittlerweile aus unserem Leben, aus unserem Alltag, nicht mehr wegzudenken. Das Smartphone ist unser ständiger Begleiter, es ist ja auch ein wahrer Alleskönner.

Aufwachen, E-Mails lesen und beantworten, am Weg ins Büro Nachrichten in Echtzeit verfolgen und die Social-Media-Kanäle durchforsten. Zwischendurch Nachrichten via WhatsApp und/oder Signal schreiben, während schon das Ping der nächsten Pushnachricht ertönt. Wir switchen zwischen Smileys und dem Ukraine-Krieg, zwischen den aktuellen Corona-Zahlen und dem Daumen-hoch-Symbol, zwischen Retweets, Promi-Nachrichten und Mobil-Games.

Um dem digitalen Stress ein wenig zu entfliehen, aber auch um nicht abzustumpfen, ist eine digitale Auszeit wichtiger denn je. Das macht auch aktuell der russische Krieg in der Ukraine bewusst: Tagtäglich scrollen wir uns durch diverse Live-Ticker und brutale Bilder: Bomben. Menschen, die exekutiert werden. Kinder, die sterben. Menschen, die um ihr Leben rennen und vertrieben werden. Luftangriffe. Massengräber. Tote.

Seit beinahe zwei Monaten sind wir mit diesen grauenhaften Nachrichten konfrontiert beziehungsweise konfrontierten uns selbst auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen damit.

Nicht das Ergebnis von "schneller-höher-weiter-immer und überall dabei"

Die Nachrichtenflut, der wir uns aktiv aussetzen, wird für uns zur Normalität. Und dieser drohenden Gleichgültigkeit, die durch die Masse an Bildern und an Informationen entstehen kann, müssen wir uns vehement entgegensetzen. Und zwar mit Digital Detox. Man muss ja nicht gleich einen ganzen Monat oder einen ganzen Tag auf digitale Tauchstation gehen und das Mobiltelefon verbannen. Ein bewusster und achtsamer Umgang kann das Stresslevel schon deutlich reduzieren. Beispielsweise nicht gleich nach dem Aufwachen Hunderte von Nachrichten beantworten. Oder jeden Tag konsequent einen Off-Modus einplanen, entspannen, abschalten und Zeit für Familie, Sport oder einen Spaziergang nehmen. Und keine Angst, Sie verpassen dabei nichts. Wir sind permanently online, permanently connected – da schadet ein wenig digitaler Minimalismus für eine bestimmte Zeit kaum. Ich glaube auch, dass uns das davor bewahrt, abzustumpfen. So schreckliche Dinge wie der russische Aggressionskrieg rutschen nicht einfach von Seite 1 auf Seite 17 unseres Bewusstseins.

Und abschließend sei gesagt, ich liebe mein Filofax und meine Füllfederhalter immer noch und diese helfen mir die wirklich wichtigen Sachen langsamer anzugehen und auch mehr echte Briefe zu schreiben. Und auch unsere 238-jährige Unternehmensgeschichte ist nicht das Ergebnis von Schnellschüssen, Multitasking und "schneller-höher-weiter-immer und überall dabei", sondern von wohlüberlegten Weichenstellungen, die diese Langlebigkeit erst ermöglichen.

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