Knapp 40 Prozent weniger Firmenpleiten, fast 23 Prozent weniger Privatkonkurse: Das paradoxe Bild von gesunkenen Insolvenzzahlen während einer der größten Wirtschaftskrisen des Landes bleibt aufgrund von künstlich eingreifenden Maßnahmen der Bundesregierung aufrecht. "Für eine gesunde Volkswirtschaft ist es wichtig, dass das Insolvenzrecht regelkonform zum Einsatz kommen kann", kommentiert Karl-Heinz Götze, Leiter KSV1870 Insolvenz, die aktuelle KSV1870 Umfrage.
Betrachtet man die Zahlen von Jänner bis Mitte März diesen Jahres, so ist der Beginn dieser verdrehten Situation eindeutig mit dem ersten Lockdown und den damals in Kraft tretenden Verordnungen festzulegen. "Die Maßnahmen im Frühling waren wichtig, um die heimische Wirtschaft nicht in den Abgrund stürzen zu lassen. Nun ist es aber umso wichtiger, wieder das bewährte österreichische Insolvenzwesen seine Arbeit machen zu lassen", so Götze. Bis zum ersten Lockdown waren die Insolvenzzahlen um nur 5 Prozent geringer als 2019, nach dem ersten Lockdown bis Ende des Jahres sind die Insolvenzzahlen auf die Hälfte zurückgegangen, sodass wir auf das Gesamtjahr gerechnet ein Minus von fast 40 Prozent bei den Insolvenzen erreicht haben. Dass hier Unternehmen, die nicht einmal in einem normal verlaufenden Insolvenzjahr überlebt hätten, künstlich am Leben gehalten werden, ist nur offensichtlich.
Die Branche mit den meisten Pleiten ist jene der Unternehmensbezogenen Dienstleistungen mit einem Anteil von 30,3 Prozent (518 Fälle). Danach reiht sich die Bauwirtschaft mit 29,9 Prozent (510 Fälle) und das Gastgewerbe mit 25,1 Prozent (428 Fälle) ein.
Wie eine Achterbahnfahrt
Die konstant positive Wirtschaftsleistung der vergangenen Jahre ist über Nacht eingebrochen. Zwar kam es zwischenzeitlich zu einer vorsichtigen Entspannung, welche jedoch aufgrund des neuerlichen Lockdowns jäh gestoppt wurde. Und dennoch: Laut der Anfang Dezember durchgeführten Austrian Business QuickCheck-Umfrage des KSV1870 bewerten 52 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage mit sehr gut bzw. gut – Anfang September waren es 44 Prozent. "Positiv betrachtet ist das Glas der österreichischen Wirtschaft derzeit noch halbvoll. Wir müssen uns dieses Momentum beibehalten, damit die Unternehmen 2021 wieder voll durchstarten können", so Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG.
Die Umfrageergebnisse zeigen weiters, dass die wirtschaftlichen Folgen des zweiten Lockdowns "zumindest nicht negativer ausfallen als jene des ersten". Der direkte Vergleich bestätigt: 30 Prozent der Befragten stufen die wirtschaftlichen Konsequenzen beider Lockdowns als "gleich negativ" ein. Für 25 Prozent hat der neuerliche Lockdown weniger Folgen gebracht, während 17 Prozent angeben, dass für sie keiner der beiden Lockdowns zu finanziellen Auswirkungen geführt hat. Demgegenüber stehen 16 Prozent, die aktuell mit gravierenderen wirtschaftlichen Folgen als im Frühjahr zu kämpfen haben.
Passiva deutlich gestiegen
Die Statistik zeigt, dass im Vergleich zum Vorjahr die Passiva in diesem Jahr um rund 75 Prozentr auf fast 3 Mrd. Euro angestiegen sind. Rechnet man die drittgrößte Insolvenz der österreichischen Geschichte, die Commerzialbank mit rund 800 Millionen Euro weg, bleiben immer noch rund 2,2 Mrd. Euro. Somit belaufen sich die Schäden der rund 40.000 Gläubiger ohne der Großinsolvenz immer noch auf ein Plus von 28 Prozent - und das trotz des massiven Rückgangs von Insolvenzen. Dieser Umstand ist besonders dem Anstieg der Großinsolvenzen geschuldet und dass das Finanzamt und die Gesundheitskassa angehalten wurden, keine Insolvenzanmeldungen zu veranlassen. Diese machen sonst rund 50 Prozent aller aus.
Zwar bleibt die Zahl der von einer Insolvenz betroffenen Dienstnehmer zum Vorjahr mit 16.300 relativ gleich (- 5,2 Prozent), hier sei aber auf den Umstand hingewiesen, dass die Zahl der Insolvenzen massiv gesunken ist. Die weiterhin hohe Zahl der in Kurzarbeit befindlichen Personen ist den Experten zufolge jedoch ein weiteres Indiz dafür, dass das Ende der in das Insolvenzwesen eingreifenden Maßnahmen auch ein deutlich anderes Bild bei den von Pleiten betroffenen Dienstnehmern zeichnen würde.
Dumpingpreise
Trotz des massiven Eingriffs der letzten Monate in das Wirtschaftsleben, kam es zu einer dramatischen Insolvenzverschleppung. Künstlich am Leben gehaltene Unternehmen bieten nun ihre Leistungen zu Dumpingpreisen an und reißen damit an sich gesunde Unternehmen mit in den Abgrund, da sie nun ebenfalls vergünstigt anbieten müssen. Am Ende werden wir vermehrt Insolvenzen und darüber hinaus Liquidationen erleben, bei denen aufgrund der fehlenden werthaltigen Aktiva Sanierungen unmöglich werden. Der KSV1870 rechnet daher ab dem 2. Quartal 2021 mit einem konstanten Insolvenzanstieg von rund 20 - 25 Prozent verglichen zu 2019, unter der Annahme, dass die Bundesregierung keine weiteren Hilfsmaßnahmen ergreift.
Wann kommt die Entspannung?
Mit Blickrichtung Zukunft geht mehr als die Hälfte der befragten Betriebe davon aus, dass eine wirtschaftliche Erholung im kommenden Jahr eintritt, mehrheitlich wird diese allerdings erst ab dem 3. Quartal (27 Prozent) erwartet. Während weitere 27 Prozent mit einer Entspannung ab 2022 rechnen, sind 11 Prozent der Befragten sogar erst für die Zeit ab 2025 optimistischer. Als Herausforderungen der Zukunft werden der Fachkräftemangel (64 Prozent) sowie der hohe Grad an Bürokratie (58 Prozent) gesehen. Weitere Themen, die für Kopfzerbrechen sorgen, sind die "Überalterung der Gesellschaft" (46 Prozent), die Arbeitslosigkeit (45 Prozent) und Cyber-Attacken (38 Prozent). Zudem wird die Digitalisierung (34 Prozent) als essenziell bewertet.
"Um die gesamte Energie auf den dringend notwendigen Neustart konzentrieren zu können, wird es notwendig sein, möglichst bald den Krisenaktionismus hinter uns zu lassen und zu einem nachhaltigen volkswirtschaftlichen Handeln inklusive einem korrekt funktionierenden Insolvenzwesen zurückzukehren", so Vybiral und Götze abschließend unisono. (red)
www.ksv.at