LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Schitter, das neue Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG)* wird von der Regierung mittlerweile als "Günstiger-Strom-Gesetz" bezeichnet und als entscheidender Hebel für die Energiewende gesehen. Was sind für Sie die zentralen Stellschrauben, damit das Gesetz seine Wirkung tatsächlich entfalten kann – und wo sehen Sie noch Lücken?
Leonhard Schitter: Das ElWG kann ein starker Hebel sein. Entsprechend braucht es drei Dinge: Tempo bei Genehmigungen, klare Investitionssignale für Netze und Speicher sowie faire, transparente Regeln für alle Marktteilnehmer:innen. Es ist für mich ein Wirtschaftsgesetz und ein Stück Sicherheitspolitik und eben kein 'Billigstromgesetz'. Lücken sehe ich bei der tatsächlichen Verfahrensbeschleunigung, bei der Personalausstattung der Behörden und bei der Finanzierung des Netzausbaus. Wenn wir uns wehrhafter aufstellen wollen, müssen wir diese Punkte mitdenken.
LEADERSNET: Sie fordern seit Längerem Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen für Investitionen. Inwieweit erfüllt das neue ElWG diese Forderung – und wo muss aus Ihrer Sicht nachgebessert werden, etwa beim Netzausbau oder Genehmigungsverfahren?
Schitter: Wir müssen Milliarden in Erzeugung, Speicher und Netze investieren. Dafür brauchen wir verlässliche Spielregeln. Das ElWG kann mehr Klarheit bei Netzentgelten bringen. Planungssicherheit heißt aber auch: verlässliche Gesetze, auf die wir uns verlassen können. Beim Netzausbau brauchen wir eine One-Stop-Logik bei den Behörden und eine neue Finanzierungsarchitektur, etwa einen von uns vorgeschlagenen staatlich gestützten Infrastrukturfonds samt längeren Abschreibungsfristen. Wenn Energieversorgung in den nationalen Sicherheitsplan aufgenommen wird – was ich seit Längerem fordere – dann müssen die Rahmenbedingungen diesem Anspruch auch gerecht werden.
LEADERSNET: Das Gesetz soll die Integration erneuerbarer Energien erleichtern. Welche konkreten Effekte erwarten Sie für Ihr Unternehmen – insbesondere im Hinblick auf Wasserkraft, Photovoltaik und Windkraftprojekte?
Schitter: Wir bauen unsere erneuerbare Erzeugung massiv aus: Wasser, Wind und Sonne, in Oberösterreich und im nahen Ausland wie Italien und Slowenien. Ein ElWG, das Netzanschlüsse, Direktleitungen und netzdienliche Speicher klar regelt, hilft uns, diese schneller ins System zu bringen. Für Wasserkraftprojekte wie Traunfall mit einem Investitionsvolumen von knapp 200 Millionen Euro, für große PV-Anlagen und künftige Windparks bedeutet das: weniger Rechtsunsicherheit, planbarere Erlöse und mehr Flexibilität, Produktion und Verbrauch intelligent zu koppeln. Am Ende geht es immer um dasselbe Ziel: unabhängiger zu werden von fossilen Importen und von Staaten, die Energie als Druckmittel gegen uns einsetzen.
LEADERSNET: Die Energie AG will bis 2035 klimaneutral werden und investiert dafür in Rekordhöhe. Welche Prioritäten setzen Sie bei der Umsetzung – und wie stellen Sie sicher, dass Versorgungssicherheit und Klimaziele gleichrangig erreicht werden?
Schitter: Unser Pfad ist klar: klimaneutral und unabhängiger bis 2035. Prioritäten haben der Ausbau erneuerbarer Erzeugung, starke Netze und flexible Speicher. Versorgungssicherheit und Klimaziele sind für mich keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille: Wer auf Erneuerbare, Speicher und Netzausbau setzt, macht das System stabiler, unabhängiger und wehrhafter. Energiepolitik ist Sicherheitspolitik. Wenn wir jetzt konsequent investieren, schützen wir unseren Wohlstand, unsere Industrie und die Haushalte.
LEADERSNET: Sie setzen stark auf den Ausbau erneuerbarer Erzeugung, u. a. durch Großprojekte wie das Pumpspeicherkraftwerk Ebensee oder das Kraftwerk Traunfall. Welche Rolle spielt dabei das ElWG – und wo stößt die Energie AG in der Praxis auf Hürden?
Schitter: Ebensee wird die grüne Batterie Oberösterreichs, Traunfall stärkt die Wasserkraft als Rückgrat unserer Versorgung. Das Pumpspeicherkraftwerk in Ebensee kann mir niemand nach China tragen, das bleibt in der Region, sorgt für Versorgungssicherheit, Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Das ElWG muss solche Projekte netzseitig ermöglichen: klare Regeln für netzdienlichen Einsatz, Spitzenkappung, zeitvariable Tarife und Ansteuerbarkeit. In der Praxis stoßen wir aber immer wieder auf dieselben Hürden: lange Genehmigungszeiten, zu wenig Kapazitäten bei den Behörden und lokale Interessenkonflikte um Infrastrukturprojekte. Dabei investieren wir genau hier in die regionale Wirtschaft, in die Versorgungssicherheit und sichern noch dazu Arbeitsplätze.
LEADERSNET: Der von Ihnen vorgeschlagene Infrastrukturfonds soll den massiven Netzausbau finanzierbar machen. Wie könnte ein solches Modell konkret aussehen – und wie realistisch ist eine politische Umsetzung?
Schitter: Unser Vorschlag ist ein staatlich gestützter Infrastrukturfonds, eingebettet in bestehende Strukturen wie die Österreichische Kontrollbank. Der Staat stellt seine Bonität zur Verfügung, der Fonds bündelt privates Kapital – etwa von Banken oder Versicherungen – und gibt es als eigenkapitalähnliche Mittel an Netzbetreiber weiter, zweckgebunden für Netzausbau. Die Rückflüsse kommen langfristig über die Netzentgelte, bei geringeren Finanzierungskosten und damit gedämpften Tarifen. Das ist keine Privatisierung, sondern ein Instrument, um unsere Infrastruktur wehrhafter zu machen, ohne den Staatshaushalt zu belasten. Politisch ist das realistisch. Was es jetzt braucht, ist Mut.
LEADERSNET: Netze sind, wie Sie sagen, "die Autobahnen der Zukunft". Was passiert, wenn der Netzausbau hinter den Erneuerbaren-Zielen zurückbleibt – und welche Konsequenzen hätte das für Standort, Industrie und Konsument:innen?
Schitter: Wenn die Netze nicht mithalten, müssen wir günstigen Wind- und Solarstrom abregeln, während teurere Kraftwerke weiterlaufen – das treibt die Systemkosten weiter an. Die Redispatch-Kosten explodieren, weil Netzbetreiber permanent gegensteuern müssen. Redispatch-Kosten sind Mehrkosten, die entstehen, wenn wegen überlasteter Leitungen günstige Kraftwerke gedrosselt, teurere hochgefahren werden müssen. Die Kosten zahlen wir alle und der Standort verliert an Attraktivität, weil Betriebe keine Anschluss- und Leitungsperspektive bekommen. Netze sind die Autobahnen der Zukunft – ohne diese Stromautobahnen gibt es keine Energiewende, keine Versorgungssicherheit und keine industrielle Zukunft in Österreich. Wer Energie als Waffe erlebt hat, weiß: Ein starkes Netz ist die Lebensader einer wehrhaften Volkswirtschaft.
LEADERSNET: Die Energie AG Strategie "Loop" steht nicht nur für technische Transformation, sondern auch für kulturellen Wandel. Welche Rolle spielt Kommunikation und gesellschaftliche Akzeptanz in dieser Energiewende – und wie wollen Sie auch kritische Stimmen einbinden?
Schitter: Loop ist unsere Strategie, mit der wir Energiewende und Kulturwandel zusammendenken. Wir investieren in die Transformation und gleichzeitig verändert sich unser Unternehmen stark: In den kommenden zehn Jahren geht rund ein Drittel der Belegschaft in Pension, erstmals arbeiten fünf Generationen von Babyboomern bis zur Generation Alpha unter einem Dach. Darauf antworten wir mit mehr Diversität und Chancengleichheit, dem Ausbau unserer Lehrwerkstatt und dem Neubau unseres Lehrlingsheims oder Mentoring zwischen den Generationen. Akzeptanz entsteht, wenn Haltung und Handeln zusammenpassen. Genau das ist der Kern von Loop.
www.energieag.at
*Das neue Gesetz soll Anfang 2026 in Kraft treten. Zur Umsetzung braucht die Regierung eine Zwei-Drittel-Mehrheit – also die Zustimmung von mindestens einer Oppositionspartei. Am Donnerstag (11. Dezember) wurde bis zum Abend mit den Grünen und der FPÖ verhandelt, wobei die Grünen der Regierung letztlich die Zwei-Drittel-Mehrheit sicherten.
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