LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das nachhaltige Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in all ihren Facetten von Environment über Social bis Governance, von Innovationen über Generationendiskurs bis zu Nachfolgethemen.
Nachdem beim vergangenen Mal um Unternehmen gegangen war, die sich der Anti-Diversitäts-Welle, die aus den USA auch auf Europa überschwappt, entgegenstellen, geht es dieses Mal um Purpose-Tourism. Denn nachhaltiges Reisen allein ist nicht mehr ausreichend. Das neue Leitwort heißt Purpose-Tourism und möchte einen noch tieferen Sinn hinter einer Urlaubsdestination zum Ausdruck bringen: den Mehrwert für das Gastland und die transformative Wirkung auf die Reisenden selber. aehre analysiert: Hype oder Trend?
Text: Uta Gruenberger
Ein historischer Höchststand: Noch nie hat die Menschheit so viel in Reisen und touristische Aktivitäten investiert. Mit 2,1 Billionen US-Dollar an Ausgaben steht 2025 laut des World Travel & Tourism Councils (WTTC) ein neuer Rekordwert an. Mit einem Beitrag von 11,7 Billionen US-Dollar – das sind 10,3 Prozent des weltweiten BIP – und 371 Millionen Arbeitsplätzen ist die Branche ein zentraler Wirtschaftsfaktor mit enormem weiterem Ausbaupotenzial, aber auch massiver Verantwortung. Denn eine der Kehrseiten ist ein Anteil von 6,5 Prozent an den Treibhausgasemissionen. Laut Studien des schwedischen Tourismuswissenschaftlers Stefan Gössling wird die Hälfte davon durch die Flugmeilen einer Elite der Weltbevölkerung (1 %) verursacht. Inmitten dieser Entwicklung kristallisiert sich Purpose-Tourism als neuer Trend heraus, der über nachhaltigen Tourismus weit hinausgeht. Er basiert auf sechs Prinzipien: Authentizität, Respekt, Nachhaltigkeit, Partizipation, Reziprozität im Sinne des gegenseitigen Austauschs und der Transformation, womit das persönliche Wachstum gemeint ist. Reisen wird zu einem Weg der Gesellschaft, der die Freude an Verbindung und Bedeutung in den Mittelpunkt stellt.
"It’s about making better places for people to live in and better places for people to visit", sagt der international renommierte britische Forscher und Experte Harold Goodwin – es geht um die Verantwortung für den jeweils besuchten Lebensraum. Der/die Reisende ist also nicht mehr nur Konsument:in, sondern Mitgestalter:in einer neuen Kultur des Unterwegsseins. Er/Sie stellt sich die Frage: Wem nützt meine Reise? Was lasse ich zurück? Und was nehme ich mit, außer Selfies und Souvenirs?
10,3 Prozent des weltweiten BIP erwirtschaftet die globale Tourismusbranche mit 371 Millionen Arbeitsplätzen – ein zentraler Wirtschaftsfaktor und neuer Rekord.
Im deutschsprachigen Raum hat sich diese Haltung besonders dynamisch entwickelt – der positive Fußabdruck in jeder Hinsicht scheint sich als hehres Lebensziel auch auf die Reiseplanung auszuwirken. Das bedeutet für Unternehmer:innen und Hotelbetreiber:innen die fixe Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in ihr Geschäftsmodell.
Darunter wird die Förderung der lokalen Kultur, Ökonomie und Ökologie durch gezielten Umweltschutz sowie Bildungsprogramme für Gäste wie Einheimische verstanden. Aber auch die Gestaltung von neuartigen Reiseerlebnissen, die den Bezug zur Region nicht nur sichtbar machen, sondern geradezu feiern. Wer sich dabei von Purpose-Washing und Kommerzialisierung fernhält, nutzt eine enorme Chance zur Profilierung.
Alpine Pearls: Nachhaltig im Alpenraum
Ein schönes Beispiel für sinnvolle und kollegiale Zusammenschlüsse sind die Alpine Pearls – ein von der World Tourism Organization (UNWTO) ausgezeichnetes Netzwerk von aktuell 19 alpinen Tourismusgemeinden entlang des gesamten Alpenbogens – Deutschland, Österreich, Italien, Slowenien. Die beteiligten Dörfer ermöglichen die autofreie An- und Abreise sowie umweltfreundliche Fortbewegung vor Ort. Urlaub ohne eigenen Pkw als neues Gästeerlebnis reduziert nicht nur die Umweltbelastung beträchtlich, sondern kreiert spürbar naturnahe Ferienatmosphäre. Ebenso verpflichten sich die kollegialen Hotelbesitzer:innen zu strengen, ökologischen Standards, unterstützen die örtlichen Wirtschaftskreisläufe und schaffen attraktive touristische Arbeitsplätze. www.alpine-pearls.com
Globale Initiativen als Wegbereiter
Als einer der Avantgarde-Visionäre des regenerativen Reisens gilt der französische Hotelier Thierry Teyssier, der 2015 mit seinen Wandering Hotels weltweite Aufmerksamkeit erregte. Mit der Umweltschutzexpertin Diane Binder gründete er 2023 die Plattform 700.000 Heures Impact für exquisite bis transformative Urlaubserfahrungen.
"Travel as a force for good" – Teyssier und Binder betreiben konsequentes Community-Empowerment: Die Projekte werden gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung entwickelt und die Einnahmen fließen direkt in örtliche Fonds. Auch zahlen die Gäste verpflichtende Spenden, bevor sie buchen können. www.700000heuresimpact.com
The Wayers: Reisen als Persönlichkeitsentwicklung
"Mach’ die Reise Deines Lebens" – Freiwilligenarbeit als Urlaubsspaß und sinnhafter Weg zur Selbstfindung, verstärkt durch professionelle Coachingprogramme vor Ort. So positioniert sich die Work-and-Travel-Plattform Wayers mit ihrem Angebot an junge Leute.
Spannende Bildungsprojekte und Community-Feeling bietet die junge Plattform Wayers an 24 Destinationen.
Kevin Ziegler in München bietet Purpose-Tourism in höchst engagierter Form – mit 88 Projekten an 24 Destinationen rund um den Globus. Über 60.000 Teilnehmer:innen haben sich in den letzten zwanzig Jahren für Tierschutzprojekte, Sozialarbeit oder eigene Recyclinginitiativen eingesetzt und formierten sich zu einer jungen und lebendigen Community des Anpackens. www.wayers.com
Ecohotels: Reisebuchungen mit Wirksamkeitsfaktor
"Jede Buchung ein Baum" – 2020 von Patrizia Plesner in Dänemark gegründet, präsentiert sich Ecohotels als Reiseplattform für klimafreundliche Hotels mit anerkannten Nachhaltigkeitszertifikaten. Durch niedrige Provisionen fördert Ecohotels jeweils die lokale Wertschöpfung – Transparenz schafft Vertrauen. Bis heute wurden in Kooperation mit der Vereinigung Tree Nation über 25.000 Bäume gepflanzt. www.ecohotels.com
The Long Run: Pionier am Markt mit der 4C-Philosophie
Prominenter Visionär der Purpose-Tourism-Bewegung war der ehemalige Puma-CEO Jochen Zeitz. Er gründete bereits 2009 die global agierende Travel-Plattform The Long Run. Parallel zu seiner eigenen Zeitz Foundation initiierte er ein beeindruckend hochkarätiges Netzwerk von mittlerweile über 50 Reisezielen und Partnern.
4C nennt Jochen Zeitz seine Vision von Purpose-Tourism. Die Kriterien sind: Conservation, Community, Culture und Commerce.
Ziel war es, weltweit nachhaltige Projekte sichtbar zu machen und Tourismus als Motor für Naturschutz, Gemeinwohl, kulturelle Vielfalt und nachhaltiges Handeln zu nutzen. Jochen Zeitz etablierte dafür das ganzheitliche System der 4C-Kriterien: Conservation, Community, Culture und Commerce als strikte Grundvoraussetzung für die Aufnahme von Destinationen. Angesichts der um fast 70 Prozent geschrumpften Wildlife-Population in den letzten 50 Jahren liegt Jochen Zeitz der Naturschutz und die Erhaltung der Biodiversität besonders am Herzen. Ein stringentes Ressourcenmanagement zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks hat daher höchste Priorität (Conservation).
Die lokalen Gemeinschaften werden in touristische Aktivitäten und Entscheidungsprozesse sorgfältig eingebunden (Community). Die Erhaltung und Förderung des kulturellen Erbes stehen im Fokus (Culture). Und der wirtschaftliche Erfolg ist konsequent mit ökologischer und sozialer Verantwortung verknüpft (Commerce). www.thelongrun.com
Best Cases für Purpose-Tourism
Segera Retreat: Luxus, Kunst und Wildlife im Herzen Kenias
Die rigorose Umsetzung seiner 4C-Vision manifestierte Jochen Zeitz in seinem Segera Retreat – einer exklusiven Safari-Oase auf dem Laikipia Plateau in Kenia. In acht Panorama-Villen genießen die Gäste höchsten Komfort bei gleichzeitig minimalem ökologischem Fußabdruck plus eine der größten Sammlungen zeitgenössischer afrikanischer Kunst. Eingebettet in ein 20.000 Hektar großes, privates Wildreservat, dient Segera als überlebenswichtiger Wanderkorridor für die bedrohte Tierwelt – für Elefanten, Löwen, Leoparden, Netzgiraffen und Büffel, für deren Repopularisierung sich seine Conservancy ganz besonders einsetzt.
Segera Retreat. Eine Safari-Oase in Kenia – Luxus, Design und Kunst mit minimalem Öko-Fußabdruck © Segera
Ebenso wegweisend baute die Zeitz Foundation die erste rein weibliche Rangerinnen-Einheit in Ostafrika auf. So sind es hier die Frauen aus den angrenzenden Dörfern, die für Umweltschutz und Bekämpfung der Wilderei die Verantwortung übernommen haben. www.segera.com, www.segerarhino.com
© Segera
Wildlife über Nacht und hautnah im Bird Nest Hotel
Gut fünf Kilometer vom Retreat, mitten in der freien Savanna, thront das legendäre Segera & Nay Palad Bird Nest Hotel – ein auf Stelzen gebautes, Ein-Zimmer-Hotel oder Panoramastudio mit Vogelnest-artiger Dachterrasse für den spektakulären Sonnenuntergang oder gar die ganze Nacht unter dem freien Sternenhimmel.
Bird Nest Hotel mitten in der Wildnis – auf Stelzen gebautes Luxusstudio als unikates Outdoor-Abenteuer © Segera
Die kleine Savannensensation des französischen Architekten Daniel Pouzet war ein Geschenk an die Stiftung von Zeitz’ Freund und Geistes-Kombattanten Bobby Dekeyser, der für absolut ursprüngliche Naturerlebnisse steht.
© Segera
Nay Palad Farm & Hideaway: Barefoot Lifestyle in Reinkultur
Ein zweites Bird Nest steht auf dem Gelände von Bobby Dekeyser selber, auf seiner im Sommer mietbaren Nay Palad Farm in Ibiza. Seit sieben Jahren lebt der bekannte Ex-Profi-Fußballer und Gründer der ikonischen Outdoor-Möbel-Marke Dedon auf der balearischen Insel und hat dort das kreiert, was seinem Life-Purpose entspricht: Lebensräume gestalten, die Menschen mit der Natur und als Gemeinschaft zusammenbringen.
»Gutes Tun heißt wieder Anfänger:in werden.« Bobby Dekeyser zu seinem Nay Palad Hideaway und der Stiftung Dekeyser & Friends auf der Philippinen-Insel Siargao
Derselbe Flow im Nay Palad Hideway auf der Philippinen-Insel Siargao: Zehn runde Designer-Villen am Strand zwischen Palmen und Baumhäusern zelebrieren die philippinische Handwerkskunst und -kultur – als Lifestyle wie als Luxuskulinarik oder durch Karaokeabende im Nachbardorf. Grund für die Flut von internationalen Auszeichnungen: Die Konsequenz seiner All-inclusive-Barefoot-Philosophy – jeder Wunsch wird erfüllt – ist Schlaraffenland pur ohne Signatur.
104 Hektar Mangrovenwälder und Korallenriffe schützt und pflegt die Stiftung Dekeyser & Friends auf der philippinischen Insel Siargao.
Als relevanter Arbeitgeber und Förderer der Bevölkerung engagiert sich die Stiftung Dekeyser & Friends parallel seit 16 Jahren auch für die Biodiversität, schützt 104 Hektar Mangrovenwälder und revitalisiert die Korallenriffe im Meer. www.naypaladhideaway.com
Bobby Dekeyser. Barefoot Lifestyle © Michael Poliza
Shinta Mani: Wild Luxury im Dschungel von Kambodscha
Shinta Mani. Wild Luxury und exquisites Design von Bill Bensley in Kambodscha © Shinta Mani
Bill Bensley, einer der weltweit erfolgreichsten Hoteldesigner, hat mit Shinta Mani sein eigenes Fünf-Sterne-Deluxe-Zeltcamp im Herzen der kambodschanischen Cardamom Mountains geschaffen.
350 Hektar Dschungel werden durch das Luxus-Zeltcamp Shinta Mani in Kambodscha vor Abholzung und Wilderei geschützt.
Das Ziel ist es, ein 350 Hektar großes Dschungelareal vor Abholzung und Wilderei zu schützen und die Ursprünglichkeit zu erhalten.
© Shinta Mani
Das bedeutet null Plastik, eine eigene Biofarm und eine Bill-Bensley-Akademie für Hotellerie, die auch ehemalige Wilderer beruflich auffängt. Der Gast kann es sich in den inspirierend gestylten Zelten und im Spa am Wildbach nicht nur köstlich gut gehen lassen, sondern auf seinen Ausflügen auch Ranger-Patrouillen live erleben – welcome to Reality. www.shintamani.com
© Shinta Mani
Babylonstoren: Wissenstransfer & kulinarische Genüsse in Südafrika
Zweihundert Hektar weites Land am Fuße des Simonsbergs als faszinierende, lehrreiche Erlebniswelt für innovative Landwirtschaft, Weinbau und Biodiversität.
200 Hektar weites Land am Fuße des Simonsbergs in Südafrika – die Circularity Farm Babylonstoren © Babylonstoren
Für ihre Circularity-Oase Babylonstoren in den südafrikanischen Cape Winelands zogen Karen Roos, Ex-Chefredakteurin von Elle Decoration, und der Medienmogul Koos Bekker alle kreativen Register. Während sich die Gäste in den stylish gestalteten Hotelhäusern bei Weinverkostungen und auf sportlichen Ausflügen vergnügen, wird der einheimischen Bevölkerung eine Vielzahl an Workshops rings um Garten und Tierwelt geboten.
Weinverkostungen und Ausflüge – zahlreiche Workshops rund um Garten und Tierwelt für die einheimischen Familien in Südafrika © Babylonstoren
Das Gourmetrestaurant und die Weinbar sorgen für buntes Publikum und stets lebhaftes Treiben. www.babylonstoren.com
Son Blanc Menorca: Agrikultur und Lifestyle im Boutiqueformat
Son Blanc Menorca. Ein Heritage-Juwel aus dem 19. Jhd. als zeitgeistiges Farming- & Community-Konzept © Maria Missaglia
Klein und fein – ein Heritage-Juwel auf Menorca. Für Son Blanc wurde ein Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert sorgfältigst restauriert und durch einen modernen Anbau souverän ergänzt: 14 betörend geschmackvolle Zimmer und Luxussuiten in den Gewölben, Panoramapool und Yogadeck über den weiten Feldern.
© Maria Missaglia
Benedicta Linares Pearce, gebürtig von Menorca und in London zu Hause, hat sich mit ihrem Ehemann Benoit Pellegrini einen Lebenstraum erfüllt und präsentiert im Son Blanc die mediterrane Schönheit sowie das kulturelle Erbe ihrer Heimatinsel. Das historische Anwesen mit konsequent regenerativer Farm auf 130 Hektar ist energieautark, nutzt lokale Ressourcen und zelebriert "Farm to Table". Ein Ort der Begegnung und des Austauschs: Die Gäste werden ermuntert, gemeinsam zu kochen und zu speisen. Das Gesamtkonzept machte Son Blanc zum Modell auf der Insel. www.sonblancmenorca.com
© Maria Missaglia
Purpose-Tourism – ein Fazit
So animierend die Aspekte und Beispiele für diese neue Art des Reisens sind – man muss sie sich leisten können.
"Purpose-Tourism sollte nicht das Luxusvergnügen einer Elite bleiben." - aehre-Fazit
Wenn der Urlaub mit Impact, also mit Sinn und positiver Auswirkung für alle Beteiligten zur Zukunftsausrichtung unserer Gesellschaft werden soll, kann er kein Exklusivvergnügen einer Elite bleiben – könnte aber der freudvolle Weg zu einem generell neuen Bewusstsein für unsere Welt und zu einem Paradigmenwechsel werden. Dafür wird es jedoch vermutlich institutionelle Förderungen brauchen – national wie global. Wir freuen uns darauf. –
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im nachhaltigen Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe, die am Kiosk oder auch online erhältlich ist.
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