"Sich nicht mit KI zu beschäftigen ist organisatorischer Selbstmord"

3. IoT Fachkongress von Austrian Standards: Von Utopie zu Orwell'scher Dystopie.


"Die digitale Welt ist international, sie kennt weder sprachliche noch traditionelle Grenzen", erklärte Austrian Standards-Vizepräsident Manfred Matzka bei der Eröffnung des 3. IoT-Fachkongresses. Im Rahmen der ausgebuchten Veranstaltung zum Trendthema Internet of Things (IoT) begrüßte er am 23. Oktober über 120 Führungskräfte, Technologie-, Sicherheits- und Marketingspezialisten im Meeting Center von Austrian Standards. Internationalen Flair verlieh der Besuch einer 24-köpfigen Delegation russischer Unternehmer, Wissenschaftler und Organisations- bzw. Branchenvertreter unter der Führung von Andrey Lotsmanov vom Russischen Unternehmerverband RSPP.

Fit für 2030: Welche Rolle werden Standards spielen?

Unter dem Veranstaltungstitel "Mit Standards in die Zukunft - gemeinsame Innovation im Zeitalter der Digitalisierung" referierten 24 Expertinnen und Experten u.a. über den neuen Mobilfunkstandard 5G, über Anwendungen und Auswirkungen von Artificial Intelligence, Smart Mobility, neue Geschäftsmodelle des Industrial IoT und die Kraft der Disruption. Durch das umfangreiche Programm führte Manfred Wöhrl (Digital Society Austria), die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig moderierte die kontroversielle Podiumsdiskussion.

Die Keynote von Christopher Frauenberger, Senior Researcher in der Forschungsgruppe Human Computer Interaction der TU Wien, erinnerte an den Netflix-Serienhit "Black Mirror": Er verkündete, dass es 2030 im Internet of Things 125 Milliarden vernetzte Geräte geben wird - das sind rund 15 Geräte pro Erdbewohner.

Ein häufig unterschätzter Nebenaspekt ist jedoch die ungeheure Datenmenge, die durch die Nutzung entsteht. Diese Daten bergen das Risiko, dass sie grundsätzlich bestimmten Personen zugeordnet werden können. Ein "Social Scoring"-System wie in China öffnet so Überwachung, Bewertung und "Aussortierung" von nicht ins System Passenden Tür und Tor.

"Politik der smarten Dinge" notwendig

Dort, wo die Grenzen zwischen Utopie und Dystopie verschwimmen, sei es laut Frauenberger wichtig, dass sich alle an der Entwicklung des IoT Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst sind, was diese Technik mit unserer Gesellschaft macht. Technologen - ob sie wollen oder nicht - werden so zu politischen Akteuren. Von ihren Erfindungen hängen gesellschaftliche Entwicklungen ab.

Eine "Politik der smarten Dinge" garantiere allen Akteuren Hegemonie und Mitbestimmung. Im "Parlament der technischen Zukünfte" würden die Rahmenbedingungen verhandelt, unter diese fallen Gesetze sowie Standards. Was es aber jedenfalls künftig brauche, so der Wissenschaftler, seien Verhandlungsräume, in denen debattiert wird, was erwünscht ist und was nicht.

Standards als regulatives Element

Über die zunehmende Wichtigkeit der Ethik-Debatte in einer exponentiell vernetzten Welt waren sich auch die anderen Vortragenden einig: die AI-Expertin Martina Paul, IT-Services der Sozialversicherung GmbH und Vorsitzende der Arbeitsgruppe 001.42 "Artificial Intelligence" bei Austrian Standards, 5G-Mastermind Elisabeth Rettl von Hutchison Drei Austria GmbH, IoT-Spezialist Mario Drobics vom Austrian Institute of Technology und Clara Neppel vom weltgrößten Ingenieursverband IEEE.

Ingrid Brodnig brachte den Konsens der Podiumsdiskussion auf den Punkt: Es braucht Standards, die regeln, wie Dinge im IoT miteinander kommunizieren. Aber gleichzeitig können Standards nicht ganz allein alle Probleme lösen.

Willkommen in der Spiegelwelt

Markus Petzl führte im Abschlussplenum anhand von Beispielen aus der Musik- und Automobil-Industrie anschaulich die innovative Kraft der Disruption vor Augen. Wenn autonomes Fahren viel sicherer ist, hat das Auswirkungen auf Werkstätten, Versicherungen, Fahrschulen und andere Branchen. Entwicklungen finden nicht mehr linear, sondern exponentiell statt - eine Geschwindigkeit, für die das europäische Wirtschafts- und Bildungssystem, im Gegensatz zum Silicon Valley, nicht ausreichend gerüstet ist.

"Mirrorworld", wie von Kevin Kelly im Wired-Magazin beschrieben, ist ein detaillierter Blick auf den großen Paradigmenwechsel, der sich in den nächsten zwei Jahrzehnten entfalten wird. Eine Spiegelwelt ist eine Repräsentation der realen Welt in digitaler Form. Darin werden bereits Sachen verhandelt und probiert, die noch utopisch klingen. Wer macht dort die Regeln, wer moderiert sie, wer darf dabei sein? Dieser Herausforderung wird sich auch die Standardisierung stellen müssen.

Die Verlierer in einer digital vernetzten Welt

Ein weiterer Grundtenor an dem Tag: Wer nicht flexibel und schnell genug ist, verpasst den Anschluss und überlässt Konsortien mit anderer Agenda das Feld. Sich nicht mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen, sei gar ein organisatorisches Selbstmordurteil, warnte der Digital- und KI-Experte Jürgen Schmidt von Strg.at in seinem Vortrag.

Im Rahmen des 3. IoT-Fachkongresses von Austrian Standards stellte auch Veronika Wolfbauer ihr Buch "Smart Office - Rechtliche Aspekte digitaler Use Cases. Die Grundlagen für Ihre digitale Unternehmenszukunft." vor und informierte über Anwendungsszenarien der Gegenwart und Zukunft.

Der 4. IoT-Fachkongress wird am 4. November 2020 bei Austrian Standards in Wien stattfinden. Eindrücke vom 3. IoT Fachkongress von Austrian Standards finden Sie in unserer Fotogalerie. (red)

www.austrian-standards.at

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