Die Wirtschaft im Osten: Das sind die Probleme

| Redaktion 
| 04.11.2025

Mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung zeigt sich, dass Ostdeutschland zwar wirtschaftlich große Fortschritte erzielt hat, doch der Abstand zu den westdeutschen Bundesländern ist spürbar. Eine aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat verdeutlicht, dass die Aufholphase zwar lange angehalten hat, inzwischen aber ins Stocken geraten ist.

Fortschritte mit Grenzen

Laut der Analyse des IW hat die Wirtschaft in den neuen Bundesländern mittlerweile rund 78 Prozent des westdeutschen Niveaus erreicht. Das wurde mit dem sogenannten IW-Einheitsindex gemessen, der verschiedene Faktoren wie Produktivität, Kapitalausstattung, Qualifikationsniveau und Beschäftigungsquote einbezogen hat. Damit hat der Osten seit dem Jahr 1990 einen großen Teil des Rückstands aufgeholt. Dennoch kann von wirtschaftlicher Gleichheit keine Rede sein.

Seit rund fünf Jahren zeigt sich sogar eine Stagnation: Die Angleichung schreitet nicht mehr voran, in einzelnen Bereichen hat sich die Kluft sogar wieder vergrößert. Das IW spricht von einer „verfestigten Differenz“, die strukturelle als auch demografische Ursachen hat. Trotz zahlreicher Förderprogramme, Investitionen und Modernisierungen fehlt es vielerorts an Wachstumstreibern, die mit westdeutschen Regionen mithalten können.

Auch beim Einkommen und der Wirtschaftsleistung pro Kopf gibt es weiterhin Unterschiede. Besonders die alten Industrieregionen im Osten des Landes kämpfen mit geringerem Kapitalstock und einer schwächeren Unternehmensstruktur. Zwar stellen Städte wie Leipzig, Jena oder Dresden positive Ausnahmen dar, doch im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen groß.

Arbeitsmarkt und Forschung als Problemfelder

Ein zentrales Thema ist in erster Linie die Erwerbsbeteiligung. Nach Angaben der Studie liegt sie in Ostdeutschland bei etwa 86 Prozent des westdeutschen Werts und stagniert damit auf dem Stand von 2020. Das Problem wird durch die demografische Entwicklung verschärft: Die Bevölkerung altert schneller, was langfristig zu einem weiteren Rückgang der Erwerbstätigen führen wird. Bereits im Jahr 2022 war mehr als ein Viertel der Ostdeutschen über 65 Jahre alt, während es im Westen nur rund jeder Fünfte war.

Auch in den Bereich Forschung und Entwicklung bleibt der Osten zurück. Rund drei Viertel der in diesem Sektor Beschäftigten arbeiten bundesweit in Großunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Solche Firmen sind in Ostdeutschland jedoch ausgesprochen selten, weshalb dort weniger Innovationen entstehen. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Zahl der Patentanmeldungen: Westdeutsche Unternehmen melden im Durchschnitt fünfmal so viele Patente an wie die ostdeutschen Wettbewerber.

Dieser Mangel an großen Forschungsträgern wirkt sich auch auf die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen aus. Ohne enge Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen oder Investitionen in eigene Entwicklungsabteilungen bleibt die Innovationskraft begrenzt. Das ist ein Faktor, der das regionale Wachstum langfristig hemmen kann.

Digitalisierung und Investitionen bleiben entscheidend

Auch bei der Digitalisierung zeigt sich ein klarer Rückstand. Die Unternehmensbefragungen deuten darauf hin, dass ostdeutsche Firmen deutlich seltener digitale Prozesse einsetzen oder in Informations- und Kommunikationstechnologien investieren. Der Anteil dieser Branche an der gesamten Bruttowertschöpfung beträgt im Osten nicht einmal 3 Prozent. Das ist weniger als die Hälfte des westdeutschen Werts.

Diese Zahlen belegen, dass die digitale Transformation vielerorts noch in den Kinderschuhen steckt. Fehlende IT-Infrastruktur, geringe Fachkräfteverfügbarkeit und unzureichende Investitionen in moderne Technologien bremsen die Entwicklung zusätzlich. Dabei gilt gerade die Digitalisierung als Schlüssel, um Produktivität und Effizienz langfristig zu steigern. Doch leider setzt man in Deutschland auch immer wieder auf das falsche Pferd. Ein gutes Beispiel ist das Glücksspielgesetz. Der Glücksspielstaatsvertrag, der seit 2021 in Kraft ist, verbietet etwa das Live Casino und schreibt vor, der maximale Einsatz pro Spin darf 1 Euro nicht übersteigen. Somit ist es nicht überraschend, dass immer mehr deutsche Glücksspieler nach Anbietern im Ausland ohne deutsche Lizenz suchen, weil sie keine Einschränkungen hinnehmen wollen. Das hat zur Folge, dass es weniger Einnahmen aus dem Bereich der Glücksspielsteuer gibt. Auch haben Anbieter von Online Casinos kein großes Interesse, sich mit dem Standort Deutschland zu befassen.

Perspektiven und notwendige Schritte

Laut dem IW-Experten Klaus-Heiner Röhl sind die strukturellen Unterschiede tief verankert und kurzfristig kaum aus der Welt zu schaffen. Eine vollständige wirtschaftliche Angleichung zwischen Ost und West sei daher „auf absehbare Zeit nicht realistisch“. Um das Wachstum wieder anzukurbeln, brauche es vor allem entschlossene Maßnahmen: Der Osten müsse offener für ausländische Fachkräfte werden, stärker in die Digitalisierung investieren und Forschungseinrichtungen enger mit Start-ups und Unternehmen vernetzen.

Besonders wichtig sei es, dass man junge Fachkräfte in der Region hält und neuen Betrieben attraktive Bedingungen zu bieten. Bildung, Infrastruktur und Innovationsförderung könnten so zur Grundlage einer nachhaltigen Wirtschaftsdynamik werden.

Der IW-Einheitsindex, auf dem die Analyse basiert, berücksichtigt neben der Wirtschaftsleistung pro Einwohner auch Produktivität, Kapitalbestand, Anteil der Hochqualifizierten sowie Beschäftigungs- und Arbeitslosenquoten. Diese Faktoren zeigen deutlich, dass Fortschritt zwar möglich ist, aber nur dann, wenn sich der Osten des Landes konsequent den Zukunftsthemen widmet. Digitalisierung, Zuwanderung und Innovation sind dabei die Schlüssel, um das Wachstumspotenzial wieder  entfalten zu können.

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