Wer in Wien lebt, begegnet ihnen täglich – meist, ohne es überhaupt zu bemerken: Ob im öffentlichen Verkehr, bei der Energieversorgung, im Bestattungswesen oder durch digitale Services – die Wiener Stadtwerke sind in fast allen Lebensbereichen präsent. Mit rund 18.000 Mitarbeitenden zählt der Konzern, zu dem unter anderem Wiener Linien, Wiener Netze und Wien Energie gehören, zu den 15 größten Unternehmen Österreichs und sorgt Tag für Tag dafür, dass die Bundeshauptstadt auch in Zukunft so lebenswert bleibt wie heute – und das alles aus einer Hand.
Im Rahmen einer neuen Interviewserie traf Jacqueline Knollmayr für LEADERSNET kürzlich fünf Vertreter:innen der unterschiedlichen Bereiche der Wiener Stadtwerke in der wienIT-WIT.Base im Wiener Orbi-Tower. Nach Daniela Wieser, Johannes Jungbauer und Georg Geissegger ist heute Florian Kohl (Abteilungsleiter Digitalisierung und Strategie, Wiener Netze) an der Reihe, der über die Bedeutung von Smart Grids für die Versorgungssicherheit Wiens spricht.
Digitalisierung des Netzes
Die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft der Energieversorgung. Intelligente Stromnetze – sogenannte Smart Grids – sind dabei ein zentraler Baustein auf dem Weg zu einer nachhaltigen und stabilen Energiezukunft. Sie ermöglichen es, Stromflüsse in Echtzeit zu messen, zu steuern und an den steigenden Anteil erneuerbarer Energien anzupassen. Auch bei den Wiener Netzen ist die Digitalisierung des Stromnetzes ein zentrales Thema: Mit modernen Sensoren und einem umfassenden Informationsnetz sammle man hier Daten und werte diese in der Zentrale aus, um die Steuerbarkeit und die Beobachtbarkeit des Netzes zu erhöhen und es in somit effizienter und zuverlässiger zu gestalten, erklärt Florian Kohl.
Als Bindeglied zwischen Netzbetreiber und Kund:innen gelten hier die sogenannten "Smart Meter", sprich elektronische Stromzähler. Sie würden den Energieverbrauch transparenter und nachvollziehbarer machen, erläutert der Experte: Während früher klassische Zähler lediglich den Stromverbrauch erfassten, ermöglichen die digitalen Messgeräte heute detaillierte Einblicke in den eigenen Energiebedarf. So können Konsument:innen etwa erkennen, wie sich Heizen, Kochen oder Klimatisieren konkret auf den individuellen Verbrauch auswirken. Zudem bieten Smart Meter den Vorteil, dass die Wiener Netze die Stromzähler nicht mehr ablesen kommen müssen: "Bei über 1,6 Millionen Zählpunkten im Netz ist das ein großer Aufwand, der uns aber auch den Kund:innen erspart bleibt", so Kohl.
Von Wien nach San Francisco und wieder zurück
Doch wie smart ist das Wiener Netz heute bereits? "Das Netz ist genauso smart, wie es sein muss", erklärt der Experte. Eine fixe Kennzahl für den Digitalisierungsgrad gebe es bewusst nicht, denn "das Ziel der Digitalisierung wird quasi täglich neu definiert". Um dem gerecht zu werden, investiere man für die Digitalisierung bzw. Modernisierung bei den Wiener Netzen aktuell 400 Millionen Euro jährlich. Statt das gesamte System auf einmal umzurüsten, würde man dabei auf gezielte Investitionen an jenen Stellen, wo sie den größten Nutzen bringen, setzen. "Ich muss sehr zielgerichtet und intelligent Punkte auswählen, an denen ich in die Digitalisierung investieren kann", betont er.
Eine vollständige Modernisierung wäre nicht nur technisch, sondern auch finanziell unverhältnismäßig – immerhin sei das Stromnetz in Wien mit seinen rund 20.000 Kilometern längenmäßig einer Strecke von Wien bis San Francisco und wieder zurück gleichzusetzen, und umfasse gleichzeitig über 10.000 Trafostationen, rund 50 Umspannwerke und tausende Masten. Überdies dürfe man nicht vergessen, dass sich die Kosten von Modernisierungen letztendlich weitestgehend auf die Kund:innen umwälzen würden. "Im Kern geht es darum, heute die richtigen Schritte zu setzen, um morgen und übermorgen jene Dienstleistungen anbieten zu können, die unsere Kund:innen von uns erwarten. Diese Balance zu halten, ist stets ein schmaler Grat – aber ich denke, das gelingt und bisher sehr gut, denn unsere Versorgungssicherheit ist mit 99,99 Prozent durchaus herzeigbar", meint Kohl. Demnach seien die Wiener:innen statistisch gesehen im Schnitt gerade einmal alle vier Jahre von einem Stromausfall betroffen, mit einer maximalen Behebungszeit von 90 Minuten. Diese hohe Versorgungssicherheit sei nicht nur erfreulich, sondern auch essenziell, denn: "Ohne eine funktionierende Stromversorgung ist man de facto in der Steinzeit. In dem Moment, wo der Strom aus ist, ist auch jegliche Form des normalen Lebens zu Ende."
Flexibilität als Schlüsselfaktor der Energiewende
Damit diese hohe Versorgungssicherheit auch künftig so bleibt, gelte es laut dem Experten, Verbrauchsspitzen zu reduzieren und den Verbrauch mehr in die Breite aufzuteilen. Dies sei für die Energiewende essenziell, denn gerade erneuerbare Energien wie Solar- oder Windenergie lassen sich nicht steuern und sind abhängig von Wetter und Jahreszeit. Damit es also auch in produktionsschwächeren Zeiten nicht zu Versorgungsunterbrechungen komme, müsse man entsprechende Anreize schaffen, sodass Konsument:innen beispielsweise die Waschmaschine zu Mittag laufen lassen oder einen Batteriespeicher gezielt aufladen. Dies seien kleine, aber wichtige Beiträge zum reibungslosen Gelingen der Energiewende – darüber seien sich allerdings die wenigsten Menschen wirklich bewusst, erläutert Kohl: "Für 99,8 Prozent der Menschen kommt der Strom einfach aus der Steckdose – und das ist auch gut so. Genau das ist schließlich ein Qualitätsmerkmal unserer Arbeit: dass man sich darüber keine Gedanken machen muss. Gleichzeitig führt das aber auch dazu, dass vielen gar nicht bewusst ist, welchen Beitrag sie selbst leisten können, damit die Welt eine so schöne bleibt, wie sie ist."
Dementsprechend sei das Stichwort für eine grüne Zukunft Flexibilität. Diese könnte am Markt durch flexible Stromtarife ermöglicht werden, was bedeutet, dass Strom die Konsument:innen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich viel Geld kostet. Hier wünsche sich Kohl einen entsprechenden rechtlichen Rahmen, der eine solche Flexibilität auch bei den Netztarifen ermöglicht. "Das würde dazu beitragen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Energie kein Flatrate-Produkt ist, sondern – so wie unsere Welt nun einmal funktioniert – zu unterschiedlichen Zeiten auch unterschiedliche Kosten verursacht", meint der Experte, und ergänzt abschließend: "Die Energiewende passiert nicht von selbst. Wir brauchen nicht nur digitale Maßnahmen, sondern vor allem Menschen, die diese vorantreiben."
Was Florian Kohl sonst noch zum Thema Smart Grids, Digitalisierung des Stromnetzes und die Bedeutung von Flexibilität der Preisgestaltung sowie der Konsument:innen sagt, sehen Sie in unserem Video.
Mehr über die LEADERSNET-Interviewserie mit Vertreter:innen der Wiener Stadtwerke lesen Sie zudem in unserer Infobox.
www.wienerstadtwerke.at
www.wienernetze.at
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