Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Demokratie braucht Wirtschaft – und Wirtschaft braucht Demokratie

| Redaktion 
| 11.05.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Ein Blick auf die Weltkarte lässt einen erschrecken – besonders, wenn man sich vergegenwärtigt, wie wenige Länder tatsächlich demokratisch regiert werden. Verschiedene Studien zeigen ähnliche Tendenzen: Laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2022 waren von 137 untersuchten Staaten nur noch 67 Demokratien – 70 dagegen galten als Autokratien. Diese Zahlen haben sich seither vermutlich nicht wirklich gebessert.

Fortschritt und Innovation benötigen Freiräume

In vielen dieser autokratischen Staaten herrscht ein diktatorisch geprägtes Wirtschaftsmodell, das auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen basiert. Diese Systeme funktionieren meist ineffizient, sind kurzfristig ausgerichtet und nützen nur wenigen – meist jenen, die ohnehin Macht und Einfluss besitzen. Doch warum ist das so?

Fortschritt und Innovation in einer funktionierenden Marktwirtschaft benötigen Freiräume: Unternehmer:innen müssen Entscheidungen unabhängig treffen und sich – körperlich und geistig – frei bewegen können. Diese grundlegende Freiheit ist auch Voraussetzung für das Gedeihen der Wirtschaft innerhalb eines demokratischen Systems.

Demokratie und Wirtschaft 

Demokratie und Wirtschaft sind in einer symbiotischen Beziehung miteinander verbunden. Eine funktionierende Demokratie mit unabhängiger Justiz schafft Rechtssicherheit und Planbarkeit. Beides ist essenziell für wirtschaftliches Handeln. Nichts hingegen ist schädlicher für Investitionen und unternehmerische Entwicklung als mangelnde Vorhersehbarkeit der politischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen.

Ein Blick in die USA zeigt, wie empfindlich diese Balance ist. Die US-Wirtschaft hat hier einen massiven Dämpfer erlitten – nicht zuletzt durch politische Instabilität und Angriffe auf demokratische Institutionen. Auch in Ungarn beobachten wir einen ähnlichen Trend: Einschränkungen der Pressefreiheit, Eingriffe in die Justiz und der zunehmende Druck auf Unternehmen sind deutliche Warnsignale.

Demokratien sterben in der Regel nicht plötzlich, sondern schleichend

Dennoch würde niemand leichtfertig behaupten, dass Ungarn oder die USA keine Demokratien mehr sind. Doch es sind – zumindest phasenweise – keine uneingeschränkt funktionierenden Demokratien mehr. Denn Demokratien sterben in der Regel nicht plötzlich, sondern schleichend.

Woran erkennt man diese Entwicklung? Ein zentrales Merkmal ist die Missachtung der Gewaltenteilung. Wenn etwa ein Präsident – wie Donald Trump es mehrfach tat – Gerichtsurteile ignoriert oder Richter unter Druck setzt, wenn er sich selbst gleichzeitig als Gesetzgeber und Exekutive wahrnimmt, dann ist das ein deutliches Warnsignal.

Beschuss der Pressefreiheit besonders bedenklich

Auch wirtschaftliche Akteur:innen geraten zunehmend unter politischen Druck. Gesetze werden so verändert, dass sie bestimmten Unternehmen schaden oder ihnen Vorteile verschaffen – abhängig von ihrer Nähe zur Macht. Gleichzeitig werden Verfassungen infrage gestellt, die Geschichtsschreibung geändert und damit die Vergangenheit umgedeutet und gesellschaftliche Debatten auf ideologische Engführungen reduziert. Besonders bedenklich ist es, wenn die Pressefreiheit – die sogenannte "vierte Gewalt" – unter Beschuss gerät.

Diese Entwicklungen sind nicht auf ferne Länder beschränkt. Auch in Österreich zeigen sich beunruhigende Tendenzen. Es fängt schon bei vielen Institutionen und Repräsentant:innen mit der Wortwahl an: Wer etwa Wendungen wie "Umvolkung", "Remigration von Staatsbürger:innen" oder "Enteignungen von Kapitalist:innen" in den Mund nimmt, bewegt sich schon mehr als im Graubereich. Auch das Rechtssystem stellt für viele Bürger:innen sowie Unternehmen mittlerweile eine enorme Hürde dar: überlange Verfahren, hohe Gerichtsgebühren, keine ausreichende Kostenerstattung für Anwält:innen und eine Überregulierung, die insbesondere kleine und mittlere Betriebe lähmt. Gleichzeitig werden immer mehr Entscheidungen an nicht demokratisch legitimierte Behörden ausgelagert – ohne ausreichende Kontrolle. Entscheidungen werden immer intransparenter und im stillen Kämmerlein getroffen. Es fehlt an Transparenz, nachvollziehbaren, weitreichenden und weitsichtigen Entscheidungen.

Demokratie ist kein Selbstläufer 

Das alles führt dazu, dass sich wirtschaftliche Akteur:innen zurückziehen, Investitionen verschoben oder ins Ausland verlagert werden. Wo keine demokratische Verlässlichkeit herrscht, fehlt der Nährboden für Innovation, Wachstum und Wohlstand.

Demokratie ist kein Selbstläufer – sie muss täglich verteidigt und weiterentwickelt werden. Und sie braucht eine starke, freie Wirtschaft, ebenso wie die Wirtschaft auf ein funktionierendes, gerechtes demokratisches System angewiesen ist. Viele Demokratien sind mittlerweile wehrhafte Demokratien geworden. Manchmal schrecken diese Länder und ihre Institutionen zurück, diese Mittel – beispielsweise ein Parteiverbotsverfahren in Deutschland – einzusetzen. Man darf aber nicht alles den Institutionen überlassen, jeder und jede ist aufgefordert, NICHT wegzuschauen und sich, wo immer möglich, FÜR demokratische Rechte einzusetzen. Dies betrifft dann auch die Wirtschaftstreibenden und Unternehmen selbst, die aufgefordert sind, klar Stellung zu beziehen und sich nicht wegzuducken. Wir als JTI Austria tun das nicht. Uns ist der offene Austausch auf Augenhöhe mit den politisch Verantwortlichen des Landes stets ein besonders wichtiges Anliegen. Denn wir sind überzeugt: Nur im Gleichklang können Wirtschaft und Demokratie langfristig erfolgreich bestehen.

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