Ab Mai 2026 muss die novellierte EU-Gebäuderichtlinie in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union umgesetzt werden. Über die Auswirkungen der neuen Vorgaben auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität wurde nun beim mittlerweile sechsten Smatrics E-Mobility Talk von heimische Experten diskutiert. Gastgeber Hauke Hinrichs, CEO Smatrics, konnte Peter Engert, Geschäftsführer Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI), Martin Wagner, Geschäftsführer Verbund Energy4Business GmbH und Gerald Ebner, Geschäftsführer Österreichisches Volkswohnungswerk, Gemeinnützige Ges.m.b.H., zum Talk begrüßen.
Einigkeit bestand darin, dass Gebäude nicht nur energieeffizient, sondern auch für eine dekarbonisierte Mobilität gerüstet sein müssen. Langfristigkeit sei dabei das A und O, schließlich sollen heute errichtete Gebäude auch noch in 100 Jahren "funktionieren".
Herausforderungen und Chancen
Neben ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit spielt die soziale Nachhaltigkeit bei Gebäuden eine wichtige Rolle – und Mobilität sei ein entscheidender Teil davon, so Peter Engert, der in der Gebäuderichtlinie eine Chance sieht, um den Gebäudebestand CO2-neutral und nachhaltig zu verändern, Menschen weniger mit Betriebskosten zu belasten und eine lebenswerte bebaute Umwelt zu schaffen. Die Umsetzung der Richtlinie innerhalb der nächsten 14 bis 15 Monate erfordere von der Regierung jedoch rasches Handeln. Erschwerend komme hinzu, dass die Umsetzung in Österreich auf Länderebene erfolgen muss, denn Bundesländer sind unter anderem für Bauordnungen, Bauvorschriften und damit auch für energieeffizienzbezogene Regelungen zuständig. Also brauche es laut Engert nicht eine Anpassung, sondern neun. "Die Vorgaben seitens der EU sind an sich schon sehr ambitioniert, die Zeit ist knapp – das wird ein Kraftakt", so der Experte. Er fordert gezielte Finanzierungsmaßnahmen anstelle von Förderungen nach dem "Gießkannenprinzip" und betont die Notwendigkeit, frühzeitig zu handeln: "Wir können nicht auf die vollständige Umsetzung der Richtlinie warten, sondern müssen jetzt aktiv werden."
Ladeinfrastruktur als Teil der urbanen Energiewende
Ladeinfrastruktur ist den Experten zufolge ein zentraler Bestandteil der urbanen Mobilitätswende. Aktuell gibt es 27.665 öffentliche Ladepunkte (Stand Februar 2025). "Öffentliche Ladeinfrastruktur ist in ganz Österreich bereits stabil und gut ausgebaut, jetzt müssen wir in den Wohnraum rein und dort das Gleiche machen", betonte Hauke Hinrichs. Gerade im urbanen Raum seien Lademöglichkeiten zuhause oder am Arbeitsplatz allerdings noch nicht in dem Umfang vorhanden, wie sie auf lange Sicht gebraucht werden. Blicke man auf Wien, werde deutlich, was das bedeutet: Hier gibt es aktuell rund 930.000 Fahrzeuge und bis 2040 werde ein Bestand von rund 450.000 E-Fahrzeugen erwartet. "Der erste Schritt für die benötigte Infrastruktur in Wohngebäuden und gewerblichen Immobilien ist die Richtlinie, welche unter anderem vorsieht, ab 2027 jeden fünften Stellplatz im Neubau oder jeden zehnten im Bestand zu elektrifizieren", erklärte der Smatrics-CEO. Ladeinfrastruktur zu Hause oder am Arbeitsplatz sei entscheidend, damit Elektromobilität in der breiten Masse nachhaltig ankommen kann. "Wir stehen vor einem disruptiven Wandel. Um Elektromobilität nahtlos in die Energieversorgung der Zukunft zu integrieren, müssen Immobilienbranche, Energieversorger und Netzbetreiber zusammenarbeiten."
Smartes Lastmanagement für stabile Stromnetze
Die Integration von Ladeinfrastruktur erfordert jedoch intelligente Steuerungslösungen. Denn der limitierende Faktor bei Immobilien sei das Netz. "Die größte Herausforderung liegt nicht in der Installation der Ladepunkte, sondern in der Steuerung der Lastverteilung", erläuterte Martin Wagner. Intelligentes Lastmanagement, netzdienliches Laden und Speichermöglichkeiten könnten eine gleichmäßige Verteilung der Ladevorgänge gewährleisten. Wagner warnte zudem vor einem Engpass im nächsten Jahr: "Wir dürfen nicht warten, bis die Richtlinie in Kraft ist. Dann wird es einen enormen Ansturm auf Anbieter:innen von Ladeinfrastruktur und Elektriker:innen geben – umso wichtiger ist es, frühzeitig vorzusorgen." Zudem brauche es passende Use Cases: Für Dauerparker:innen in Mietverhältnissen müssen unkomplizierte Lademöglichkeiten geschaffen werden, ohne operativen Aufwand für die Objekteigentümer.
Lösungen für Mieter:innen und Immobilienbesitzer
Das Österreichische Volkswohnungswerk hat laut eigenen Angaben bereits in 16 Objekten insgesamt 240 Ladepunkte beauftragt. Denn Ladeinfrastruktur am eigenen Stellplatz werde von Mieter:innen vermehrt angefragt und gefordert. Für Gerald Ebner stehe daher fest: "Es kann und soll nicht Aufgabe der Mieter:innen sein, sich um private Lademöglichkeiten zu kümmern." Gleichzeitig müsse darauf geachtet werden, dass Investitionen in Ladeinfrastruktur keine übermäßige finanzielle Belastung für Immobilienbesitzer darstellen. "Thermische Sanierung und Ladeinfrastruktur-Nachrüstung sind nur bei ausreichenden Rücklagen möglich. Für gemeinnützige Wohnbauträger kann das schwierig werden – gerade, wenn Maßnahmen, wie die Mietpreisbremse, einen Aufbau der Rücklagen erschweren." Nachhaltigkeit im Gebäudesektor sollte aber immer eine Frage des Wollens und nicht des Müssens sein. Das Potenzial der Gebäuderichtlinie liege vor allem darin, für einheitliche Vorgaben und mehr Tempo zu sorgen, so Ebner abschließend.
LEADERSNET war beim Smatrics E-Mobility-Talk. Fotos sehen Sie in unserer Galerie.
www.smatrics.com
www.verbund.com
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