Wohlstand Österreichs in Gefahr
So reagieren Industrie und Wirtschaft auf das Scheitern der Koalitionsverhandlungen

| Tobias Seifried 
| 12.02.2025

Am Mittwochnachmittag hat FPÖ-Obmann Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung zurückgelegt, womit die blau-türkisen Verhandlungen endgültig geplatzt sind. Für den heimischen Wirtschaftsstandort wird das mittlerweile lange Fehlen einer handlungsfähigen Regierung zum immer größeren Problem, was nun für harsche Kritik sorgt.

Was sich seit dem Wochenende bereits abgezeichnet hatte, wurde am Mittwoch offiziell: Die blau-türkisen Koalitionsverhandlungen sind endgültig geplatzt. FPÖ-Obmann Herbert Kickl hat am Nachmittag in der Wiener Hofburg nach einem letzten persönlichen Treffen mit VP-Obmann Christian Stocker den Auftrag zur Regierungsbildung zurückgelegt. Damit hat Österreich auch mehr als vier Monate nach der Nationalratswahl noch immer keine handlungsfähige Regierung. Das ist nicht nur für das Land insgesamt alles andere als ideal, sondern natürlich auch für den heimischen Wirtschaftsstandort, der sich ohnehin in einer der längsten Krisen der zweiten Republik befindet. Dementsprechend harsch sind die ersten Reaktionen von Branchenvertreter:innen ausgefallen.

"Schauspiel der Zukunftsvergessenheit"

So verwies beispielsweise die Industriellenvereinigung erneut auf die aktuelle wirtschaftliche Lage in Österreich, die nach wie vor Anlass zur Sorge gebe. Die neuesten Zahlen zur Industrieproduktion und zum Export hätten erneut einen deutlichen Abwärtstrend gezeigt. Im Dezember 2024 sank die Industrieproduktion der IV zufolge um 9,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. "In den letzten zwei Jahren haben wir jeden 15. Wertschöpfungseuro in der heimischen Industrie verloren – das ist nicht nur ein alarmierendes Signal für den Wirtschaftsstandort, sondern auch der Erhalt unseres Wohlstandes und unseres Sozialsystems ist damit gefährdet. Die Unternehmen in Österreich stehen vor immer größeren Herausforderungen", heißt es von der Interessenvertretung. Den politischen Verantwortlichen sei offenbar dennoch nicht bewusst, wie schlecht es um den Wirtschaftsstandort stehe. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen seien rasche und entschlossene Entscheidungen der Politik notwendig. Stattdessen erlebe man ein Schauspiel der Zukunftsvergessenheit – die politische Verantwortung für den Standort suche man in der Politik derzeit vergeblich. Dass ein erneuter Versuch einer Regierungsbildung nun abermals an Ideologieversessenheit und sturem Beharren auf veralteten Konzepten aber auch am Unwillen zu Strukturreformen gescheitert ist, sei bedauerlich und zeige, dass Eigeninteressen und Parteitaktik der wirtschaftlichen Zukunft des Landes vorgezogen werden.

Österreich brauche eine entschlossene und handlungsfähige Regierung, die mit wirksamen Maßnahmen die Rahmenbedingungen für Industrie und Wirtschaft verbessert, um den Standort nachhaltig zu stärken, zeigt man sich bei der IV überzeugt. Machtspiele und Tricksereien seien fehl am Platz und schadeten dem Ansehen sowie dem Potenzial Österreichs. Aufgrund von Partikularinteressen habe das Land weitere sechs Monate verloren, die dringend gewesen wären, um Reformen und wichtige Schritte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit umzusetzen. Es sei daher längst überfällig, die Ärmel aufzukrempeln und die Dinge anzupacken, um den Standort wieder "auf Vordermann zu bringen".

Nur mit einer klaren wirtschaftspolitischen Agenda, die auf Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und offene Märkte setzt, könne Österreich seine Position als Wirtschaftsstandort sichern.

Koalitionschaos gefährdet Wirtschaftsstandort

Bei oecolution geht man ähnlich hart ins Gericht. Laut der Organisation, die aufzeigen will, dass Klimaschutz und erfolgreiches Wirtschaften Hand in Hand gehen, stürze das wiederholte Scheitern der Koalitionsverhandlungen nach der Nationalratswahl vor einem halben Jahr Österreich weiter in eine politische und wirtschaftliche Krise. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und des massiven Budgetdefizits wären dringend umfassende Strukturreformen erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu sichern, so Elisabeth Zehetner, Geschäftsführerin von oecolution.

Die Organisation sieht im Stillstand und dem Ausbleiben notwendiger Reformen eine erhebliche Gefahr für die österreichische Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Innovationskraft des Landes. "Während unsere Wettbewerber in den USA für einen Bruchteil der Kosten produzieren, wird Energie in Österreich immer teurer. Das gefährdet nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch den Klimaschutz – denn wenn die Produktion ins Ausland verlagert wird, steigen die globalen Emissionen. Wir brauchen jetzt eine echte Energiepolitik, die Versorgungssicherheit garantiert und Kosten senkt. Statt über Abschottung nachzudenken, müsste Österreich stärker mit europäischen und internationalen Partnern zusammenarbeiten", betont Zehetner. Gefordert wird nun ein rasches Maßnahmenpaket, das sichere und erschwingliche Energieversorgung, Freihandel und den Abbau überflüssiger Bürokratie kombiniere.

Schuldzuweisungen

Der Wirtschaftsbund macht den FPÖ-Chef für das Scheitern verantwortlich. "Die FPÖ hat mit ihrer Blockadepolitik gezeigt, dass es ihr nur um Macht und Posten geht. Statt Lösungen für den Standort, Inflation und Arbeitskräftemangel zu suchen, ließ Kickl die Verhandlungen mutwillig scheitern – mit fatalen Folgen für die Wirtschaft. Investoren verlieren das Vertrauen, Unternehmen stehen ohne Perspektive da, und dringend nötige Reformen bleiben blockiert – dafür ist allein Kickl verantwortlich", kritisiert Generalsekretär Kurt Egger.

Ähnlich sieht man es beim Österreichischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitnehmerbund (ÖAAB). "Herbert Kickl hat eindeutig nicht das Wohl des Landes vor Augen, das hat er in den Gesprächen deutlich gezeigt. Ein Unterschied von 2,5 Prozent bei den Nationalratswahlen bedeutet Teilen auf Augenhöhe. Auch, was die Kompetenzen betrifft. Die ÖVP hat mit 1,3 Millionen Stimmen nur 120.000 Stimmen weniger als die FPÖ. Die FPÖ wurde zwar Erster, aber das rechtfertigt keinen Anspruch auf die Allmacht", so ÖAAB-Generalsekretär Christoph Zarits.

Herbert Kickl selbst sieht das freilich anders, wie er via Aussendung am Mittwoch mitteilte: "In einem ersten Schritt ist es uns gelungen, mit einem klaren Konsolidierungspfad ein drohendes EU-Defizitverfahren abzuwenden und damit sowohl der Wirtschaft als auch den Bürger:innen drohende Zusatzkosten zu ersparen. Daraufhin wurden die inhaltlichen Verhandlungen in 13 Untergruppen gestartet. Ehe jedoch die noch strittigen Punkte auf Chefverhandler-Ebene geklärt werden konnten, bestand die ÖVP Anfang Februar darauf, die Ressortverteilung zu klären. Am 4. Februar 2025 haben wir Freiheitliche einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Obwohl wir in den darauffolgenden Gesprächen der ÖVP in vielen Punkten entgegengekommen sind, waren die Verhandlungen zu unserem Bedauern letztlich nicht von Erfolg gekrönt."

Laut diversen Politikanalyst:innen waren letztendlich beide Verhandlungsseiten schuld am Scheitern.

Fazit

Für den Wirtschaftsstandort Österreich ist die Schuldfrage sekundär. Wie die beispielhaft angeführten Reaktionen zeigen, geht es in erster Linie darum, so rasch wie möglich eine handlungsfähige Regierung zu bekommen. Denn die Herausforderungen sind für zahlreiche Branchen enorm. Um die Wirtschaft zu stärken, braucht es zahlreiche Entscheidungen und Maßnahmen. Nur wenn es Klarheit gibt und die Verunsicherung ad acta gelegt wird, kann es gelingen, den Wirtschaftsstandort voranzubringen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und eine positive Stimmung im Land zu entfachen. Denn für einen Aufschwung braucht es neben einer positiv gestimmten Wirtschaft auch eine Bevölkerung, die positiv in die Zukunft blickt. Das kann nur mit einer stabilen und handlungsfähigen Regierung funktionieren.

www.iv.at

www.oecolution.at

www.wirtschaftsbund.at

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV