Der russische Angriffskrieg bremst fast alles aus: Trübe Aussichten für die Weltwirtschaft

BIP-Wachstum sinkt 2022 weltweit auf 3,4 Prozent. Anstieg der Insolvenzen um 51 Prozent erwartet. 

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine, höhere Rohstoffpreise, Unterbrechungen der Lieferketten, die weltweit steigende Inflation sowie neue Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie trüben die Aussichten der Weltwirtschaft, und machen sie so unvorhersehbar wie selten. "Wir gehen davon aus, dass das globale Wirtschaftswachstum in diesem Jahr nur noch bei 3,4 Prozent liegen wird – 0,6 Prozentpunkte weniger als bislang prognostiziert", sagt Franz Maier, Generaldirektor Österreich, Ungarn und Südosteuropa von Atradius, in einer aktuellen Analyse.

Hohe Volatilität

Die Rohstoffpreise werden 2022 voraussichtlich erheblich steigen. Die bereits überhitzten Öl- und Gasmärkte zeigen nach der Invasion Russlands in der Ukraine erneut hohe Volatilität. Auch bei anderen Rohstoffen, bei denen Russland und die Ukraine wichtige Produzenten sind, wie Weizen, Gerste, pflanzliche Öle und Basismetalle, erwartet Atradius einen erheblichen Preisanstieg. "Die Androhung von Sanktionen gegen russische fossile Brennstoffe und die Ungewissheit über die Versorgung verschärfen die Marktknappheit", erklärt Franz Maier. Darüber hinaus beeinflusst der Russland-Ukraine-Konflikt einige spezifische Lieferketten negativ, wie die von Halbleitern und der Autoindustrie.

Der russische Angriffskrieg bremst aktuell die durchaus positive Entwicklung der vergangenen Monate. So wuchs der Welthandel zwischen Januar 2021 und Januar 2022 noch um 10,3 Prozent. Das Handelswachstum war bis zum Ausbruch der Feindseligkeiten in allen wichtigen Regionen breit angelegt, und umfasste sowohl Investitions- als auch Konsumgüter. Die Handelsdynamik hatte sich sogar leicht verbessert, doch könnte der Schwung in den kommenden Monaten aufgrund des anhaltenden Inflationsdrucks und fortgesetzter Probleme in den Lieferketten nachlassen. Die Nachfrage verlagert sich wieder von Waren auf Dienstleistungen, nachdem die Covid-bedingten Beschränkungen deutlich nachgelassen haben. Fabrikschließungen im Zusammenhang mit Covid, eine weitere Quelle für Spannungen in den Lieferketten, dürften auch zunehmend weniger werden, da sich die Pandemie verlangsam dürfte.

Maßnahmen, um Inflation abzuwehren

"Die Unternehmen sehen sich mit einem noch nie dagewesenen Anstieg der Einkaufspreise konfrontiert und müssen in der Folge deutlich höhere Verkaufspreise an die Kunden weitergeben", so Maier weiter. Die Gesamtinflation in der Eurozone stieg im Februar auf 5,9 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass die Inflation für den Rest des ersten Halbjahres 2022 nahe bei 5,5 Prozent und im Gesamtjahr bei durchschnittlich 4,8 Prozent in der Eurozone liegen wird", so der Atradius-Manager.

Angespannte Versorgungsketten, hohe Transportkosten und die Situation auf den Energiemärkten haben die Inflation auf ein seit Jahrzehnten nicht mehr gesehenes Niveau getrieben. Franz Maier: "Wir gehen derzeit davon aus, dass die weltweite Inflation im Jahr 2022 durchschnittlich 6,1 Prozent betragen wird."

Die US-Inflationsrate lag im März bei etwa 8 Prozent. In der Eurozone lag sie mit 7,5 Prozent nur geringfügig niedriger. "Wir sind der Meinung, dass der derzeitige Inflationsschub voraussichtlich nur vorübergehend ist“, betont Maier. Neben den Marktkräften ergreifen auch die geldpolitischen Entscheidungsträger noch stärkere Maßnahmen, um die Inflation abzuwehren. Die Fed hat ihr pandemisches Anleihekaufprogramm bereits gestoppt und erörtert einen Plan zum Verkauf von Vermögenswerten und damit zur Schrumpfung ihrer Bilanz. Eine Zinserhöhung um einen Viertelpunkt hat bereits stattgefunden. Atradius rechnet mit einigen weiteren Erhöhungen in diesem Jahr. Auch die EZB hat ihr pandemiebedingtes Anleihekaufprogramm eingestellt. "Zinserhöhungen wurden von der EZB noch nicht angekündigt, aber das scheint nur eine Frage der Zeit zu sein", sagt Franz Maier. Mit einer ersten Zinserhöhung rechnet Atradius entweder im vierten Quartal 2022 oder im ersten Quartal 2023. "Ob dies ausreichen wird, um die Inflation einzudämmen, bleibt abzuwarten", so Franz Maier. Für Österreich rechnet Atradius im Jahr 2022 mit einer Inflationsrate von 4,0 Prozent, für Deutschland von 5,2 Prozent und in der Schweiz von 2,1 Prozent.

BIP-Wachstum: So könnte es weiter gehen

Die aktuelle Basisprognose von Atradius sieht ein BIP-Wachstum von 2,9 Prozent in diesem Jahr und 2,7 Prozent im Jahr 2023 vor. Damit liegt die Wirtschaft des Euroraums um 1,0 Prozentpunkte unter der Basisprognose vor der Invasion. "Sollten die Kämpfe in der Ukraine bis weit in das Jahr 2023 hinein andauern, die Sanktionen verschärft und russische Gaslieferungen eingeschränkt werden, könnte das Wachstum in der Eurozone sogar auf 1,0 Prozent im Jahr 2022 zurückgehen", schätzt Franz Maier. In den Volkswirtschaften Europas erwartet Atradius für 2022 ein BIP-Wachstum von zum Beispiel 2,4 Prozent in Österreich, von 3,0 Prozent in Frankreich, von 2,9 Prozent in Italien, von 2,6 Prozent in der Schweiz und von 2,4 Prozent in Deutschland. Im nächsten Jahr rechnet Atradius mit einem weltweiten Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent.

Starker Anstieg der Unternehmenszusammenbrüche

Die aktuelle Lage wirkt sich auch auf die Zahl der Insolvenzen im Jahr 2022 aus. "Wir erwarten einen starken Anstieg der Unternehmenszusammenbrüche in diesem Jahr, da die staatlichen Unterstützungsregelungen allmählich auslaufen", schätzt Franz Maier. Weltweit rechnet Atradius 2022 mit einem Anstieg der Insolvenzen um 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr. (jw)

www.atradius.at

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