"Wien ist das Straßenbahn-Mekka"

Bombardier Austria-Chef Christian Diewald erzählt im Interview über maßgeschneiderte Bims, den außergewöhnlichen Erfolg des Unternehmens in Österreich und wieso einem "Depperten" Glück nichts hilft.

LEADERSNET: Ist es richtig, dass Bombardier alle seine Straßenbahnen hier in Wien produziert?

Diewald: Das kann man so bestätigen. Jede Straßenbahn, die von Bombardier produziert wird, wird in Wien entwickelt und die meisten werden auch hier gebaut.

LEADERSNET: Wieviel Mitarbeiter sind am Standort Wien beschäftigt?

Diewald: Wir haben derzeit rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Tendenz steigend. Wir haben in den letzten zwei Monaten, während der größten Krise seit dem 2. Weltkrieg, 50 neue Arbeitsplätze geschaffen und laufen jetzt mit zahlreichen Projekten – Manchester, Brüssel, Zürich, Karlsruhe, Flexity Wien, Flexity Innsbruck, Wiener Lokalbahn und Göteborg – Richtung Vollauslastung.

LEADERSNET: Wie viele Straßenbahnen werden derzeit produziert?

Diewald: Derzeit stehen neun Straßenbahnen in der Fertigung. Wir können bis zu zwölf Straßenbahnen parallel fertigen. Wenn wir von einzelnen Waggons reden, haben wir derzeit ca. 40 Wagenkästen im Endausbau.

LEADERSNET: Einer der großen Würfe in Ihrer Zeit als CEO ist der Wiener Auftrag. Wie ist das geglückt?

Diewald: Das hatte sicherlich auch ein bisschen was mit Glück zu tun. Man sagt ja so schön: "Aber was macht a Depperter mit'm Glück?" Also Glück alleine reicht nicht. Wir haben hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier am Standort, die für die Stadt Wien eine Straßenbahn entwickelt haben, die an die Anforderungen hier in der Stadt perfekt angepasst wurde. Mit diesem Produkt haben wir uns zurecht gegen unseren Marktbegleiter aus der gleichen Stadt durchgesetzt. Auf das sind wir auch sehr stolz. Es gibt einfach nix schöneres als wenn man eine Straßenbahn für die eigene Stadt bauen kann und wenn man dann selbst in der Stadt unterwegs ist und seine eigenen Produkte fahren sieht. Es hat ja diesen Spruch gegeben "Flexity loves you" und ich denke, das hat sich wirklich durchgesetzt. Die Wienerinnen und Wiener lieben mittlerweile diese neue Straßenbahn und das macht unglaublich stolz und extrem viel Spaß.

LEADERSNET: Was bedeutet es für Sie, dass das Unternehmen gerade in Wien so erfolgreich ist?

Diewald: Wir haben sowohl den Flexity Wien-Auftrag als auch den Auftrag für die Badner Bahn der Wiener Lokalbahnen gewonnen. Das bedeutet, dass wir in zwei Jahren vor der Oper stehen – in der lebenswertesten Stadt der Welt – und von links kommt der Flexity Wien, während von rechts die Wiener Lokalbahn kommt. Wir haben also zwei verschiedene Produktplattformen, an einem der schönsten Plätze in Wien. Wir haben zudem für beide Bahnen einen Wartungsvertrag. Das heißt wir können unsere Kunden einladen und ihnen in Wien beide Plattformen zeigen. Die Wiener Linien sind weltweit bekannt als Vorzeigeunternehmen für öffentlichen Verkehr. Wenn du in Shanghai beim Nahverkehrskongress der UITB sitzt, dann heißt es mindestens drei Mal am Tag: "Fahren Sie nach Wien und schauen Sie sich an, wie öffentlicher Verkehr funktioniert, die Wiener Linien zeigen es vor." Und in der gleichen Stadt gibt es dann noch das weltweite Kompetenzcenter für Straßen- und Stadtbahnen von Bombardier, dann kann man Wien schon als das Straßenbahnmekka bezeichnen.

LEADERSNET: Die von Ihnen gebauten Straßenbahnen sind voll digitalisiert und mit Hightech ausgestattet. Wird das hier in Wien entwickelt?

Diewald: Ja, das wird alles am Standort Wien entwickelt. Wir haben natürlich noch Software-Ingenieure in Mannheim und den einen oder anderen Support bei den Wagenkästen aus den Schwesterwerken in Bautzen. Aber das Gesamtsystem wird hier in Wien entwickelt und stellt auch sicher, dass die Fahrerinnen und Fahrer der Wiener Linien ein Produkt bekommen, mit dem sie dann auch hochzufrieden sind. Durch die wachsende Globalisierung sind mehr Leute in der Stadt unterwegs. Das führt auch dazu, dass diese Fahrerinnen und Fahrer immer mehr abgelenkt werden und deshalb ist es umso wichtiger, dass in der jeweiligen Situation immer nur das angezeigt wird, was gerade wichtig ist. Ansonsten kommt es einfach zu einer Reizüberflutung und diese Stresssituation wollen wir den Fahrerinnen und Fahrern ersparen.

LEADERSNET: Diese Straßenbahnen werden von den jeweiligen Städten und Verkehrsbetrieben tailormade bestellt. Welche Möglichkeiten haben die Kunden bei der Konfiguration?

Diewald: Die Möglichkeiten sind eigentlich nach oben offen. Am Ende des Tages ist das meiste natürlich eine Preisfrage. Es gibt eine Ausschreibung, wo der Verkehrsbetrieb definiert, was ihm wichtig ist. Wir versuchen das bestmöglich umzusetzen. Die andere Seite ist, dass wir in unserer Rolle als weltweites Kompetenzcenter für Straßenbahnen und Stadtbahnen im Bombardierkonzern auch für die Weiterentwicklung verantwortlich sind. Wir gehen allerdings auch auf unsere Kunden zu und tragen ihnen neue Entwicklungen an. Wir entwickeln beispielsweise Systeme, die dafür sorgen, dass eine Straßenbahn, wenn sie zu schnell auf eine Kurve zufährt, nicht entgleist. Da kommen richtig spannende Innovationen dabei raus.

LEADERSNET: Der französische Bahnindustriekonzern Alstom möchte Bombardier übernehmen. Ist der Deal schon in trockenen Tüchern?

Diewald: Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass eine Absichtsvereinbarung geschlossen wurde, dass Alstom die Firma Bombardier übernehmen will. Das liegt jetzt bei der europäischen Wettbewerbsbehörde und wird geprüft. Wenn es einen positiven Bescheid gibt, dann kommt es zum Zusammenschluss und es entsteht der größte Bahnhersteller Europas, ein europäischer Champion sozusagen.

LEADERSNET: Bombardier Österreich feiert heuer sein 50-jähriges Jubiläum. Warum hat sich Wien zu so einem wichtigen Standort für Bombardier entwickelt?

Diewald: Am 5. März vor 1970 hat der Bombardierkonzern die Rotax-Werke in Gunskirchen inklusive der Lohner-Werke gekauft. Ursprünglich war man nur an den Motorenwerken interessiert, die in SkiDoos, in die Pistengeräte und in die Löschflugzeuge von Bombardier eingebaut wurden. Der damalige Besitzer von Rotax hat aber darauf bestanden, dass die Lohner-Werke mitgekauft werden, was dann auch geschehen ist. Kurz darauf hat der Bürgermeister von Montreal einen Auftrag für die U-Bahn ausgeschrieben. Da er das Gefühl hatte, von den Anbietern über den Tisch gezogen zu werden, fragte er den langjährigen Bombardier-CEO Laurent Beaudoin, der einer der größten Arbeitgeber in Montreal war, ob diese Firma, die er in Österreich gekauft hatte, nicht auch U-Bahnen bauen könnte, nachdem sie ja Straßenbahnen baue. Das war der Startschuss für uns, aus Wien heraus ein Angebot für die U-Bahn in Montreal zu legen. Wir haben diese Ausschreibung gewonnen. Das war der Einstieg für Bombardier in die Transportation-Sparte. Kurz darauf wurde die U-Bahn-Ausschreibung in New York gewonnen und 15 Jahre später waren wir Weltmarktführer in den wesentlichen Produktsegmenten von Transportation. Man kann also sagen: Der Weltmarktführer Bombardier hat seine Wiege in Wien.

Einen Blick hinter die Kulissen von Bombardier Österreich können Sie in unseren beiden Galerien hier und hier ergattern.

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