Nachdem beim 16. qualityaustria Lebensmittelforum am 30. September 2025 Impulse für eine widerstandsfähige, nachhaltige und zukunftsorientierte Lebensmittelindustrie gesetzt wurden (LEADERSNET berichtete), rückte am darauffolgenden Tag, dem 1. Oktober, die juristische Perspektive in den Mittelpunkt: So drehte sich bei der Tagung "Lebensmittel.Recht.Up2Date" in der wolke19 im Wiener Ares Tower alles um aktuelle und praxisrelevante Fragen im Lebensmittelrecht. Zahlreiche Vertreter:innen des Lebensmittelsektors sowie von Behörden, Begutachtung, Ministerien und Justiz folgten der Einladung von Quality Austria und Saicon zur jährlichen Veranstaltung, durch die der Sachverständige Andreas Schmölzer führte.
Aktuelle Entwicklungen in Lebensmittelrecht und -sicherheit
Eröffnet wurde die Tagung durch einen Vortrag von Rechtsanwältin Hildegard Schöllmann, die einen Überblick zur Rechtssprechung und aktuellen Debatten gab. Thematisiert wurden unter anderem die letztinstanzliche Entscheidung zur Tara bei Wurst, wonach sämtliche unverzehrbare Bestandteile beim Wiegen abgezogen werden müssen, das vom Bundesgerichtshof formulierte "Neue Kooperationsverhältnis" mit deutlichen Pflichten für Unternehmen, die Herkunftstäuschung bei "Dubai-Schokolade" sowie die Gehaltsauslobung bei Protein-Produkten.
Im Anschluss berichtete Ulrich Busch vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Bayern über aktuelle Herausforderungen der Lebensmittelüberwachung. Schwerpunkte waren gefälschte Waldheidelbeeren, abermals die "Dubai-Schokolade" mit hundertprozentiger Beanstandungsquote sowie eine Zunahme illegaler Potenzmittel, Fremdkörper, Pestizidrückstände und mikrobieller Belastungen wie Salmonellen und EHEC.
Überdies gab der Sachverständige Andreas Schmölzer von Saicon Consulting Einblicke in aktuelle Entwicklungen des Lebensmittelrechts. Er kritisierte das österreichische "Gold-Plating" bei BIO-Produkten, da die EU-weit vereinbarte Messunsicherheit oft nicht berücksichtigt werde. Weitere Themen waren neue Auslegungen im Kennzeichnungs- und Zusatzstoffrecht, die niederländische Allergenspuren-Regelung als mögliches EU-Vorbild sowie strengere Bewertungen bei "Shrinkflation", also Füllmengenreduktionen bei gleichbleibender Verpackung.
Mehr Nachhaltigkeit, mehr Bürokratie?
Weiter ging es am Programm mit einem Nachhaltigkeits-Schwerpunkt, den Josef Baumüller von der TU Wien mit einem Überblick zum Klimawandel und EU-Regulierungen eröffnete. Unter dem Motto "Buchhalter retten die Welt" zeigte er, wie Nachhaltigkeitsberichte Kapital in klimafreundliche Technologien lenken – ein Prinzip, das auch außerhalb Europas Anwendung finde. Durch den EU-Omnibus sei der Kreis der CSRD-pflichtigen Unternehmen verkleinert worden, und gleichzeitig mit dem VSME-Standard ein freiwilliges Berichtssystem für KMU entstanden.
An dieses Thema schloss Alexander Saxenhuber vom Consultingunternehmen Sustainable an und erklärte, dass der VSME-Standard KMU eine einfache und standardisierte Möglichkeit biete, erforderliche Nachhaltigkeitsdaten an CSRD-pflichtige Unternehmen zu übermitteln. Eine einheitliche Anwendung im Ernährungssektor könne Aufwand und Kosten deutlich senken, während individuelle Lösungen einen Personalbedarf von zwei bis drei Vollzeitstellen pro Betrieb verursachen würden.
Dass die Bürokratie ohnehin weiter zunehme, demonstrierte Stephan Savic von Agrana anhand des Beispiels der PPWR (Packaging and Packaging Waste Regulation): Ab August 2026 gilt ein PFAS-Verbot für Verpackungen mit Pflicht zur Konformitätserklärung je Produkt, bis 2030 folgen dann strengere Vorgaben zu Recyclingfähigkeit, Kennzeichnung, Werbebeschränkungen und ein Verbot kleiner Kunststoffverpackungen in der Gastronomie.
Schwerpunkt Mikrobiologie
Den Schwerpunkt Mikrobiologie eröffnete schließlich Martin Wagner von der Veterinärmedizinischen Universität (VMU) Wien mit einem Überblick über aktuelle Entwicklungen bei pathogenen Keimen, die weiterhin Hauptverursacher lebensmittelbedingter Erkrankungen seien. Trotz eines Rückgangs um 90 Prozent in 15 Jahren stammen Salmonellen, Campylobacter und EHEC nach wie vor überwiegend aus tierischen Lebensmitteln. Wagner warnte zudem vor neuen Risiken durch Klimawandel und Fleischersatzprodukte. Ein zentrales Problem bleibe jedoch das mangelhafte Hygienebewusstsein der Konsument:innen, das zu steigenden Campylobacter-Fällen beitrage.
Überdies stellte Evelyne Selberherr, ebenfalls von der VMU, neue Erkenntnisse zur Mikrobiomforschung bei Mensch und Lebensmitteln vor. Statt Sterilität gelte heute ein vielfältiges, stabiles Mikrobiom als Grundlage von Gesundheit. Dieses werde sowohl durch die Ernährung als auch durch die Mikroflora der Lebensmittel selbst beeinflusst – besonders bei fermentierten Produkten. Auch die Hausflora spiele dabei eine größere Rolle als bisher angenommen. Vegetarische Alternativprodukte zeigten ein deutlich anderes Mikrobiomprofil als tierische Lebensmittel.
Wie Hygienebestimmungen in der Praxis teils überzogen werden, zeigte schließlich Rechtsanwalt Bernd Roßkothen am Beispiel einer Bäckerei. Nach einer Kontrolle wurden Strafen von über 67.000 Euro verhängt – meist ohne konkreten Bezug zur Lebensmittelsicherheit, sondern basierend auf moralischen Vorstellungen von Hygiene. Der EuGH stellte jedoch bereits 2004 klar, dass Verstöße als Tateinheit zu werten sind und somit nur eine Strafe zulässig ist. Zudem liege die Auslegung unbestimmter Begriffe wie "angemessen" oder "geeignet" im Ermessen des HACCP-Konzepts des Betriebs.
Österreichs Seuchenresilienz
Der letzte Schwerpunkt galt der Seuchenbekämpfung in Österreich: Florian Fellinger vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz berichtete über die wachsende Bedeutung insektenübertragener Tierseuchen durch den Klimawandel. Die MKS-Fälle im Frühjahr zeigten Schwächen in den Krisenplänen, vor allem bei der Kommunikation. Vertreter der Fleischindustrie, darunter Geschäftsführer Gernot Rumpold und Qualitätsmanager Peter Bercek von GeRu Meat sowie Werner Pail von Steirerfleisch, bestätigten dies und betonten zudem die Risiken für den Exporthandel und die Notwendigkeit lückenloser Rückverfolgbarkeit. Künftig sollen Ernstfallübungen helfen, besser auf neue Ausbrüche vorbereitet zu sein.
www.qualityaustria.com
Kommentar veröffentlichen