Die Europäische Kommission hat am Mittwoch in Brüssel den Text des Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten vorgelegt und damit den nächsten Schritt im Prozess eingeleitet. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem Meilenstein, der die Position der EU als größten Handelsblock der Welt zementieren werde. Doch bevor das Abkommen vollständig in Kraft treten kann, müssen noch der Rat der EU-Länder und das EU-Parlament zustimmen. In Österreich zeigen Wirtschaft, Industrie und Politik ein deutlich geteiltes Bild und reagieren mit Zustimmung und mit Kritik.
"Fenster für Wachstum, Arbeitsplätze und Export"
Zustimmung kommt etwa von der Industriellenvereinigung (IV). Diese begrüßt den Schritt, dass die EU-Kommission das Mercosur-Abkommen sowie das modernisierte Handelsabkommen mit Mexiko zur Ratifizierung freigegeben hat. "Nach mehr als 25 Jahren zäher Verhandlungen wurde heute ein entscheidender Schritt zur Umsetzung des Mercosur-Abkommens geschafft", sagte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer und fügt hinzu: "Jetzt liegt es an den Mitgliedsstaaten – auch an Österreich – das Fenster für Wachstum, Arbeitsplätze und Export zu öffnen. Laut der IV seien auch angesichts der aktuellen Rezession in Österreich Handelsabkommen ein wichtiger Konjunkturimpuls für die heimische Wirtschaft. Zudem brauche es gerade aufgrund der anhaltend erratischen Handelspolitik der USA und des steigenden Protektionismus regelbasierten Handel mit verlässlichen Partnern weltweit.
Das Abkommen sähe vor, dass ein Großteil der Handelsbarrieren zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten wegfallen würde. Schrittweise würden 91 Prozent der bestehenden Zölle auf EU-Exporte abgebaut werden. Nach Berechnungen der Europäischen Kommission könnten europäische Unternehmen dadurch jährlich Einsparungen von bis zu vier Milliarden Euro erzielen. Studien gehen zudem davon aus, dass die Ausfuhren der EU in die Region um bis zu 64 Prozent steigen könnten, bei Industriegütern sei sogar ein Zuwachs von bis zu 94 Prozent möglich. "Das Mercosur-Abkommen ist wesentlich, um unsere Exportmärkte zu diversifizieren. Gerade in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten und wirtschaftlicher Tieflagen brauchen wir neue Märkte, nicht neue Mauern. Österreich kann und muss von Mercosur profitieren – für unsere Betriebe, unsere Arbeitsplätze, unsere Wettbewerbsfähigkeit", so Neumayer.
"Standort und Standards werden gestärkt"
Zuspruch kommt auch von den NEOS. Das Mercosur-Abkommen sei laut der NEOS-Europaabgeordnete Anna Stürgkh ein klares Signal in Zeiten von US-Zöllen und brüchigen Lieferketten. "Europa baut Brücken, wo andere Mauern hochziehen", begrüßt Stürgkh die Vorlage der EU-Kommission. Europa müsse jetzt dringend in echten Freihandel investieren, so Stürgkh: "Nur wenn wir verlässliche Handelspartner abseits der USA aufbauen, können wir verhindern, dass Europa seine Glaubwürdigkeit verspielt und sich von Trump erpressen lässt. Wir handeln nicht zu jedem Preis, wir handeln zu unseren Bedingungen. Wir öffnen Märkte, aber nicht unsere Standards." Laut der Europaabgeordneten seien die wirtschaftlichen Vorteile für Österreich handfest.
Auch NEOS-Wirtschaftssprecher Markus Hofer ist vom Abkommen überzeugt. "Nach 26 Jahren Verhandlungen steht Europa vor der Möglichkeit, mit mehr als 715 Millionen Menschen eine der größten Freihandelszonen der Welt zu schaffen. Gerade für ein Exportland wie Österreich bedeutet das: neue Absatzmärkte, Investitionen, Wachstum und sichere Arbeitsplätze – das ist insbesondere in Hinblick auf die derzeit schwache Wirtschaftsentwicklung und den aktuellen Handelskonflikt mit den USA enorm wichtig für die Zukunft unseres Landes", so Hofer und ergänzt: "Österreichs Wohlstand hängt von offenen Märkten ab. Um ihn zu sichern, müssen die anderen Parteien ihre reflexartige Ablehnung aufgeben."
Kritik kommt von FPÖ und Grüne
Die Ablehnung kommt etwa von der FPÖ. "Was die EU-Kommission hier treibt, ist ein demokratiepolitischer Skandal allererster Güte", warnen die FPÖ-EU-Abgeordneten Harald Vilimsky und Roman Haider. Laut der FPÖ plant Brüssel das Abkommen so aufzuteilen, dass der Handelsteil samt neuen Zollregeln als sogenannter 'EU-only'-Deal beschlossen werden kann. Damit könnte laut den Freiheitlichen die Kommission die Ratifizierung per Mehrheitsentscheidung durchdrücken, ohne Zustimmung der nationalen Parlamente. Der EU-Außenhandelsexperte Haider führt weitergehend aus: "Die EU-Kommission hat die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen bereits im Dezember abgeschlossen – trotz massiver Bedenken aus mehreren Mitgliedsstaaten, gerade auch aus Österreich. Damals wurde auf Druck vor allem von Deutschland und anderen exportgetriebenen Ländern der Text durchgepeitscht. Jetzt versucht man, die kritischen Stimmen gezielt auszuschalten und die Entscheidung an den Bürger:innen vorbeizutreffen."
Billigfleisch aus Südamerika, das unter deutlich niedrigeren Umwelt-, Arbeits- und Tierschutzstandards produziert werde, bedrohe die heimischen Bauern existenziell, ist sich Haider sicher. "Gleichzeitig hebelt Brüssel unsere Lebensmittel- und Umweltstandards aus – und stärkt internationale Agrar-Großkonzerne. Das ist ein Schlag ins Gesicht der heimischen Landwirtschaft", so Haider.
Neben der FPÖ kommt Kritik auch von den Grünen. Thomas Waitz, EU-Delegationsleiter und Landwirtschaftssprecher der Grünen, sagte: "Wir brauchen Handel unter fairen Bedingungen, nicht freie Fahrt für Großkonzerne. Das Abkommen jetzt zeigt vor allem eines: Profitinteressen einiger Weniger gelten mehr als die Interessen von Mensch, Tier und Natur. Unsere heimischen bäuerlichen Betriebe stehen schon jetzt unter immensem Druck. Durch das Abkommen werden landwirtschaftliche Produkte auf den europäischen Markt drängen, die die hohen europäischen Standards nicht einhalten. Das führt zu Wettbewerbsverzerrung und wird das Höfesterben weiter vorantreiben." Mit dem Abkommen würden Konsument:innen und Landwirt:innen beiderseits des Atlantiks verlieren. Die Gewinner seien die Autoindustrie, Agrarchemie, Bergbau- und Maschinenbaukonzerne, so Waitz.
"Faire Bedingungen statt Mercosur-Billigimporte"
Kritisch äußerte sich auch der Österreichische Bauernbund gegenüber dem Handelsabkommen. Dieser sieht darin eine massive Gefährdung der heimischen Landwirtschaft und fordert weiterhin ein klares Nein. "Das Mercosur-Abkommen ist im Bereich der Landwirtschaft unfair und unausgewogen. Österreich hat sich per Parlamentsbeschluss klar gegen dieses Abkommen ausgesprochen und daran gibt es nichts zu rütteln", stellt Bauernbund-Präsident Georg Strasser klar. Strasser warnt eindringlich vor den Folgen: "Unsere bäuerlichen Familienbetriebe kämpfen bereits heute mit hohen Produktionskosten und internationalen Wettbewerbsverzerrungen. Das nun vorgelegte Abkommen mit den Mercosur-Staaten würde den Import von Billigfleisch, Zucker und Honig erleichtern und damit die Existenz vieler Betriebe massiv bedrohen. Wir fordern faire Rahmenbedingungen und ein faires Einkommen für unsere Arbeit und das ist mit Mercosur in dieser Form nicht möglich."
Daher fordert der Bauernbund von Bundesregierung und Europäischem Parlament, sich mit aller Kraft gegen die Unterzeichnung des Abkommens einzusetzen.
Ablehnung von der LKÖ
Das Abkommen wird aber auch von der Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ) abgelehnt. Die Entscheidung der EU-Kommission, konkrete Vorschläge für ein Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur vorzulegen, zu dem laut LKÖ auch umstrittene Agrarexportriesen wie Brasilien und Argentinien zählen, ist von LK Österreich Präsident Josef Moosbrugger scharf kritisiert worden. Laut Moosbrugger sei das Handelsabkommen aus landwirtschaftlicher Sicht weiterhin klar abzulehnen. Es laufe nach seinen Worten den Bestrebungen zur Absicherung der bäuerlichen Familienbetriebe sowie der Versorgungssicherheit und des Klima- und Umweltschutzes völlig entgegen.
Laut Moosbrugger verfolge die EU-Kommission konsequent eine für die Gesamtgesellschaft fatale Strategie. Weniger gemeinsame Agrarpolitik, geringere Anreize für Produktion sowie für Umwelt- und Klimaleistungen und dafür mehr Handelsabkommen und wachsende Importabhängigkeit bei Lebensmitteln würden die Richtung bestimmen. Alle jüngsten Vorschläge aus Brüssel würden nach seinen Worten eine massive Schwächung der wirtschaftlichen Basis der Bauernfamilien und der Lebensmittelerzeugung in Europa bewirken, von den ökologischen und weiteren bäuerlichen Leistungen für die Gesellschaft ganz zu schweigen.
www.iv.at
www.bauernbund.at
www.lko.at
www.commission.europa.eu
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