"Man wird wohl attestieren müssen, dass man nur mit Härte, Stärke und Einigkeit zu einer Lösung und Frieden kommen wird"

| 08.03.2022

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria. 

Die vergangenen beiden Wochen machen mich sprachlos und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich hierzu überhaupt etwas schreiben soll. Einerseits führt die Sprachlosigkeit dazu, keine einzige Zeile zu Papier zu bringen, andererseits gibt es so viel zu sagen, dass der Platz nie ausreichen würde.

Ich möchte es dennoch versuchen:

Seit zwei Jahren gibt es nur ein alles dominierendes Thema: Corona und die Folgen der Pandemie für Gesellschaft, Wirtschaft und das Gesundheitswesen. Im Schatten dieser globalen Dauer-Gesundheitskrise sind sogar brennende Themen wie der Kampf gegen den Klimawandel nahezu unsichtbar geworden. Es schien so, als wäre das Virus unser einziges Problem. Bis zum 24. Februar 2022 – dem Tag als der Sturm der russischen Armee auf die Ukraine begann. Von einer Sekunde auf die andere war die kollektive Emotionalität der ganzen Welt auf den Staat am Rande der Europäischen Union gerichtet. Auch für uns als internationales Unternehmen, in dem sowohl viele Ukrainer:innen wie auch Russ:innen eng zusammenarbeiten und die die Aggression nicht verstehen oder akzeptieren wollen.

Rational schwer zu erklären

Wenige hundert Kilometer von Wien entfernt tobt ein erbitterter Krieg, den man rational schwer erklären kann, der aber innerhalb weniger Tagen völlig eskaliert ist – inklusive Alarmbereitschaft der Atomwaffen-Arsenale auf russischer Seite.

Niemand hätte für möglich gehalten, dass 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und über 20 Jahre nach dem Ende der blutigen Jugoslawien-Kriege von einem Tag auf den anderen der europäische Kontinent wieder ein Kriegsschauplatz ist. Und dass damit das „Friedensprojekt Europa“ auf der Kippe steht. Die EU-Institutionen, die europäische Zusammenarbeit und Integration stehen auf dem Prüfstand und die Prüfung ist hart.

Zum Krieg selbst haben sich schon alle klugen und nicht so klugen Köpfe geäußert. Um Wiederholungen zu vermeiden, lasse ich meine persönlichen Analysen hier weg. Vieles dabei ist auch einfach müßig zu diskutieren, es reicht am Ende doch die Tatsache: es herrscht KRIEG in Europa. Ein Aspekt, der mir wichtig erscheint, hier beleuchtet zu werden, ist die Rolle die die bisherige EU-Außenpolitik hier spielt. Diese scheint offensichtlich krachend gescheitert zu sein. Und bitte verstehen Sie dies nicht falsch, aber ich meine, diese EU-Außenpolitik hat es leider mitzuverantworten, wo wir heute stehen.

Falsch eingeschätzt

Man hat sein Gegenüber wohl falsch verstanden und vor allem falsch eingeschätzt. Man hat wohl gedacht, wenn wir Dinge nicht sofort ansprechen und keine wirklichen Maßnahmen ergreifen, wird die Zeit dies schon wieder richten. Man hat mehr auf symbolische Zeichen und "Beleuchtungsaktionen" gesetzt als auf wirkliche Politik. Man wird, wenn wir wieder durchatmen können, die gesamte, uns wohlig fühlend machende Appeasement-Politik der EU in Frage stellen müssen.

Grundsätzlich wird man hier wohl attestieren müssen, dass man nur mit Härte, Stärke und Einigkeit zu einer Lösung und Frieden in Europa kommen wird. Das so viel geschmähte Wort der Abschreckungspolitik wird wieder greifen müssen. Rückschauend müssen wir anerkennen, dass während der Zeit der Abschreckungspolitik mehr Frieden herrschte als während der Appeasement-Zeit.

Die „EU-Außenpolitik“ wird nur dann funktionieren, wenn ihr eine wirkliche und selbständig handelnde „EU-Militärpolitik“ zur Seite stehen kann.

Man muss aus den Lippenbekenntnissen der EU „wir sind einig“ eine wirkliche, eine politische Einigkeit erzeugen müssen. Die politische Uneinigkeit hat es Despoten sehr einfach gemacht, mit der EU zu spielen. Es gab „die EU“ oft viel zu wenig.

Europa ist nun akut gefordert, harte Kante zu zeigen, die aber gleichzeitig zu Deeskalation führt. Die Aggressivität nicht weiter anzuheizen, aber auch keinen Millimeter nachzugeben, wenn es um unsere europäischen Werte geht. Dies ist alles andere als einfach und ich maße mir nicht an, die Lösung parat zu haben. Ganz sicher braucht es jetzt aber auf allen Seiten kühle Köpfe und alle Anstrengungen, um diesen Krieg schnellstmöglich und ohne weitere Menschenopfer zu beenden – damit Europa zu seinem Wert als Friedensprojekt zurückfindet.  


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