Europa gehen die Unternehmerpersönlichkeiten aus

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria. 

Vorbei sind die Zeiten der großen Industriellen, der weltbekannten Unternehmerdynastien, vornehmlich mit einem Sonnenkönig, um den sich die Imperien drehten. Agnelli, Onassis, Krupp. Klingende Namen, die sich für lange Zeit in unser Bewusstsein gebrannt haben. Weil sie Erfolg verkörperten, unendlichen Reichtum, einen Lebensstil, dem so viele nach dem Wahnsinn zweier Weltkriege zustrebten. Sie standen aber auch für ein Unternehmertum, das menschliche Arbeitskraft als Selbstverständlichkeit begriff und gewerkschaftliches Engagement als Bedrohung. Diese Zeiten sind vorbei und mit ihnen auch ein patriarchaler, autokratischer Führungsstil.

Die Lichtgestalten von heute heißen Musk, Page, Ambani oder Huateng. Sie haben ihre Unternehmen nicht von Vätern und Großvätern übernommen, sondern aus dem Nichts erschaffen. Entsprechend sind ihre Konzerne innerhalb von 20, 25 Jahren global aufgestellt, systemrelevant, disruptiv. Sie kommen aus den USA, immer öfter aus Asien. Sie kommen aber nicht: aus Europa. Von den Top30 der Forbes-Billionaires-List stammen 19 Unternehmerpersönlichkeiten aus den USA aber nur 3 aus good old Europe. Drei!

Woran das liegen könnte?

Ich bin überzeugt, dass es an einem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Klima liegt, in dem unternehmerischer Erfolg nicht als etwas begriffen wird, für das man sich genieren und verstecken muss. In dem nicht die Neidkultur Erfolg bestraft und Scheitern belacht. Über Jahrhunderte war Europa das wirtschaftliche Zentrum der Welt. Von dort aus wurde die Welt kolonialisiert, dorthin flossen die Schätze, die Rohstoffe, die Technologien. Doch nun ist Europa geworden, wie ein alter Marillenbaum in Omas Garten. Jahrzehnte hat er viele Früchte getragen und keiner hat sich darum gekümmert, ob er zurückgeschnitten werden muss, Dünger braucht oder ob Schädlinge ihn schwächen. Plötzlich bleibt aber die Ernte aus und es wird sehr lange dauern, um ihn wieder fruchtbar zu pflegen. Europa hat verlernt, Erfolg haben zu wollen. Traditionelle Konzepte werden weitgehend innovationslos perpetuiert – siehe die europäische Automotivindustrie, die zwar die schönsten und besten Autos der Welt bauen kann, aber trotzdem gerade im Begriff ist, den globalen elektromobilen Wettlauf zu verlieren. Mit 8 Zylindern, 5-Schichtlackierung, Doppelkupplungsgetriebe und audiophilem Soundsystem in den Abgrund.

Europäische Union und Nationalstaaten haben zudem ein hautenges gesetzliches Korsett um die Unternehmen herum geschneidert, das ihnen jene Bewegungsfreiheit nimmt, die sie im globalen Wettlauf brauchen. Europa wirtschaftet weitsichtig, verdient reales Geld, bezahlt Steuern und Abgaben. Alle anderen nicht. Gewinne der Global Player werden global bewegt, um die Verpflichtungen so gering wie möglich zu halten. Unternehmer mit Verantwortungsbewusstsein sind dagegen etwas aus der Mode gekommen. Sie kämpfen tapfer, aber bisher weitgehend erfolglos.

War‘s das mit Europa? Natürlich nicht – wenn die Zeichen der Zeit endlich erkannt werden! Es braucht einen gesellschaftlichen Wandel, ein echtes Zusammenstehen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, eine unternehmerische Mut-Kultur und weniger „Nanny State“. Wir brauchen keine staatlich verordnete Vollkasko-Versicherung, die so teuer ist, dass wir uns gar keine Risiken mehr leisten können. Und es braucht eine gemeinsame kontinentale Zukunftsvision für Europa. Wo wollen wir, dass unsere Kinder und Enkel in 50 Jahren sein werden? Nur den Wohlstand von heute erhalten zu wollen ist kein Ziel und Zukunftskonzept.

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