Das Verteidigungsministerium erstmals in Frauenhand

LEADERSNET hat die Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) zum Interview getroffen und mit ihr über Frauen im Bundesheer, die Rolle des Heeres in der Pandemie, die Ausbildung von Cybersoldaten und warum Landesverteidigung und Sport gut zusammenpassen, gesprochen.

LEADERSNET: Als Verteidigungsministerin sind Sie die oberste Verantwortliche für Sicherheit im Land. Wie sicher ist Österreich?

Tanner: Ich bin überzeugt davon, dass Österreich nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt ist. Das sage nicht nur ich, das sagen auch internationale Gefahrenanalysen und Risikobilder. Aber wir sehen, dass die Welt rund um uns viele Gefahren in sich birgt. In der einen Gefahr leben wir ja noch – nämlich der Pandemie. Die andere ist der Terror, dem wir im vergangenen Jahr ausgesetzt waren, wenn wir an den furchtbaren Anschlag vom 2. November 2020 denken. Ich bin überzeugt davon, dass es notwendig ist, sich darauf vorzubereiten und unser Regierungsprogramm bietet Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten.

LEADERSNET: Welche Möglichkeiten sind das?

Tanner: Wir haben beispielsweise zusätzliche Radpanzer angeschafft, die es unseren Soldaten ermöglichen, in eine Gefahrenzone zu kommen oder diese wieder zu verlassen. Am 2. November war es notwendig, um die Polizei zu entlasten, dass wir zum einen unser Jagdkommando und zum anderen gepanzerte Immobilität in Vorbereitung hatten. Da gilt es, viel zu investieren und sich vorzubereiten – und das tun wir.

LEADERSNET: Sie sind seit 7. Jänner 2020 Verteidigungsministerin. Wie gefällt Ihnen der Job eigentlich?

Tanner: Ich hab immer gesagt, wenn ich auf Bundesebene etwas machen möchte und mir etwas wünschen darf, dann ist es das Verteidigungsressort. Jetzt, nach 14 Monaten, kann ich sagen, es ist tatsächlich so, dass es mein Wunschressort ist. Es ist schön, das als erste Frau auch führen zu dürfen und für die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher zuständig zu sein. Es ist wirklich ein cooler Job und es macht unglaublich viel Freude.

LEADERSNET: Wie sieht der Alltag einer Verteidigungsministerin aus?

Tanner: Wir sind in der Rossauer Kaserne, wo unser Büro beheimatet ist und das Verteidigungsministerium mit seinen Abteilungen und Gruppen. Das Wichtigste ist, dass das Österreichische Bundesheer – so wie jede andere Armee – streng hierarchisch aufgestellt ist. Das heißt, der Generalstabschef führt an, darunter folgen Kommandanten – wie die Brigadekommandanten und die Militärkommandanten. Das geht dann weiter über die Kompanien bis hin zur kleinsten Gruppe. Ich habe von Anbeginn an gesagt, dass ich viel bei der Truppe sein will, um zu merken, wo der Schuh drückt und wohin wir uns ausrichten müssen, damit die Soldatinnen und Soldaten ihren Job bestmöglich erledigen können. Daher war ich sehr viel unterwegs. Natürlich ist es auch so, dass ich in diesem wunderschönen Büro hier auch Besuch erhalte. Es geht darum, dass man die Sorgen der Truppe kennenlernt – das tut man am besten vor Ort, quer durch ganz Österreich – und dann noch schaut, wie wir die Soldaten bestmöglich unterstützen können, damit sie ihren so wichtigen Job erledigen können.

LEADERSNET: Wie groß ist das Österreichische Bundesheer, wie viele Standorte gibt es und wie viele Mitarbeiter?

Tanner: Wenn ich der Pandemie etwas Gutes abgewinnen kann, dann das, dass das Österreichische Bundesheer in seinem Ansehen unglaublich gestiegen ist. Wenn man nach der Größe des Österreichischen Bundesheeres fragt, dann sagt vielleicht die Zahl der 268 militärischen Liegenschaften quer über Österreich etwas aus. Davon sind 63 Kasernen. Wir sprechen von 28.000 Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilbediensteten. Darüber hinaus die Anzahl derjenigen, die dann zu Stellung kommen, wo wir von etwa 40.000 im Jahr reden. Wichtig ist, dass das österreichische Bundesheer und dessen Bedeutung gerade jetzt in der Pandemie erkannt worden ist. Wenn man an den Beginn der Pandemie zurückdenkt, haben wir in den Lebensmittellagern ausgeholfen, damit kein Engpass und damit kein Unsicherheitsgefühl entsteht, das dann erst dazu führen könnte, dass es notwendig wäre, als Sicherheitspolizei in irgendeiner Art und Weise auszuhelfen. Dann haben wir bei den Testungen geholfen und da ist das Ansehen ganz besonders gestiegen. Auch an den Grenzen im Zusammenhang mit gesundheitsbehördlichen Kontrollen sind wir dabei.

Wir haben in etwa 2.000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz gegen COVID-19. Wir haben in etwa 1.000 Soldaten in Zusammenhang mit Migration im Einsatz an den Grenzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Migrationszahlen im Steigen begriffen sind und auch da ist es notwendig, dass wir die Polizei unterstützen. Das heißt zusammengefasst, dass sich niemand mehr die Frage stellt, ob man das österreichische Bundesheer braucht oder nicht und die Wehrpflicht braucht oder nicht. Wer hätte vor einem Jahr noch geglaubt, dass das österreichische Bundesheer mit seinen Soldaten ein Pflegeheim übernehmen muss, so wie es eben in der Steiermark notwendig war. Die Österreicher können sich jederzeit auf ihr Bundeswehr verlassen.

 

LEADERSNET: Stichwort Cyberkriminalität: Hat sich hier das Bedrohungsszenario in den vergangenen fünf Jahren verändert?

Tanner: Die Risikobilder ändern sich laufend und unsere Experten entwerfen auch neue Risikobilder. An diesen sieht man, was die Bedrohungen sind und danach müssen wir uns ausrichten. Entsprechend müssen wir auch investieren – sowohl finanziell als auch personell. Vor einem Jahr hat es einen Cyberangriff auf das Außenministerium gegeben, in einer bisher noch nicht dagewesenen Größenordnung. Da mussten unsere Cybersoldaten zum Einsatz kommen und wir müssen in diesem Bereich personell aufstocken. Das ist ein Bereich, der in der Wirtschaft sehr gut bezahlt wird und daher haben wir uns entschieden auch selber solche Cybersoldaten auszubilden. Wir haben hier einen Studienganglehrgang an der Militärakademie in Wiener Neustadt ins Leben gerufen, der im September 2022 starten wird und der sich genau um dieses Thema auch kümmern wird. Es gibt also viele neue Bedrohungslagen, auf die wir uns vorzubereiten haben und das tun wir auch.

LEADERSNET: Es gibt praktisch alle Berufsbilder, die man sich nur irgendwie vorstellen kann, beim Bundesheer. Was es aber noch nicht so lange gibt – und das mag in unserer Zeit schräg klingen – ist die Karriere für eine Frau beim Bundesheer, Was heißt es, für eine Frau, sich im Bundesheer zu engagieren?

Tanner: Ich fange vielleicht bei den unterschiedlichen Berufsmöglichkeiten an: Es gibt 36 Berufe, die wir ausbilden und wo wir als Lehrherr tätig sind. Das beginnt beim Flugzeugtechniker bzw. der Flugzeugtechnikerin, geht über den Elektriker, bis hin zum Koch und zum Gärtner, um nur einige zu nennen. Allein schon wenn sich jemand bei der Stellung meldet, hat er die Möglichkeit aus 80 verschiedenen Einsatzfunktionen eine Auswahl zu treffen. Wenn Sie die Situation der Frauen ansprechen, dann kann man sicher nicht zufrieden sein. 1998 war der erste Einrückungstermin der Frauen beim Bundesheer und wenn wir jetzt sehen, dass wir über das ganze Haus und über all unsere Verbände hinweg vier Prozent Frauen haben, dann ist das mit Sicherheit zu wenig.

Natürlich kann ich die Zahl anders auch noch beantworten, indem ich sage, wenn ich die Zivilbediensteten dazu zähle, dann kommen wir auf 12,4 Prozent. Wenn man sich einzelne Einheiten anschaut, zum Beispiel die ABC-Truppe, die über sehr viele Akademikerinnen verfügt, dann sind wir dort in einem Bereich der bei 23 bis 24 Prozent liegt. Aber dass wir da etwas tun müssen, steht außer Frage. Das Schöne beim Bundesheer ist ja, dass jede alles werden kann. Wenn ich ein bisschen in die Vergangenheit zurück schaue, dann hat man vielleicht geglaubt, es reicht, wenn man so einen "Girl's Day" macht und irgendwas rosa anstreicht, dann rennen einem die Frauen die Türen ein. So ist es aber nicht und daher mein Aufruf an alle Frauen: Bitte nutzt diese Möglichkeit. Die Chance im Österreichischen Bundesheer eine tolle Karriere zu machen, beginnt wie gesagt bei der Flugzeugtechnikerin, der Pilotin, bis hin zur Ärztin und da könnte ich noch sehr lange weiterreden.

LEADERSNET: Nachdem Sie von einer Karriere im Bundesheer so schwärmen: Haben Sie selber eine Uniform?

Tanner: Nein, das würde überhaupt nicht passen. Da darf man die Zuständigkeiten nicht verwechseln. Ich stehe an der Spitze dieses Ressorts. Das ist eine verantwortungsvolle politische Aufgabe, die mich sehr erfüllt. Aber die Uniformen tragen unsere Soldatinnen und Soldaten und sie tragen sie mit Stolz. Im Übrigen haben wir hier auch einiges zu tun und aufzuholen. Der neue Kampfanzug ist in der Ausrollung und da müssen wir auch an Geschwindigkeit zulegen.

LEADERSNET: Eines der Vorzeige- und Prestigefelder des Bundesheeres ist der Sport. Jetzt gerade bei der Biathlon Weltmeisterschaft können Heeressportler richtige Erfolge feiern. Warum sind denn Sport und Bundesheer so nah beisammen?

Tanner: Irgendwie beinhaltet das Berufsbild des Soldaten schon die Notwendigkeit sowie die Freude am Sport und daher führt das eine zum anderen. Daraus ergibt sich dann, dass wir über 400 Heeressportlerinnen und -sportler haben. Dabei freut mich besonders, dass wir auch sehr viele Athletinnen und Athleten im Behindertensport haben, die sehr erfolgreich sind. Und Sie haben es ja schon angesprochen: Der Weltmeistertitel von Biathletin Lisa Hauser ist natürlich eine besondere Sensation.

LEADERSNET: Die Polizei gilt als "Freund und Helfer". Diese Beschreibung würde im Moment auch gut auf das Bundesheer passen, nachdem man im Rahmen der Pandemie überall dort einspringt, wo es Engpässe gibt. Ist das der Versuch das Image des Bundesheeres neu zu positionieren?

Tanner: Das, was immer gleich bleiben wird, ist wofür wir stehen: "Schutz und Hilfe". Dazu muss man sagen, dass nur derjenige verteidigen und helfen kann, der auch verteidigen kann. Aber umgekehrt ist es nicht zwangsläufig so: Derjenige, der helfen kann, kann nicht notwendigerweise verteidigen. Damit meine ich, dass an erster Stelle schon die Aufgabe der Landesverteidigung steht. Aber da haben Sie natürlich vollkommen recht: So notwendig, dieses breite Spektrum des Bundesheers zu zeigen, wie es im vergangenen Jahr war, so notwendig war es noch nie. Die Aufgabe ist, dass wir das verteidigen, was wir lieben. Das sind unsere Mitmenschen und vor allem, dass sie in Sicherheit leben können.

LEADERSNET: Wenn Sie auf das letzte Jahr zurückblicken, wie fällt Ihre Leistungsbilanz aus?

Tanner: Wir waren besonders gefordert, weil die Pandemie ziemlich bald nach Regierungsantritt begonnen hat. Es gab zwei historische Dinge, die wir machen mussten. Das war einerseits die erste Teilaufbietung der Miliz und andererseits der Aufschub-Präsenzdienst. Das heißt, wir mussten Grundwehrdiener um zwei Monate verlängern, um allen Anforderungen, über die wir gerade gesprochen haben, auch gerecht zu werden. Darüber hinaus ist es uns geglückt, den Investitionsstau, der sich über Jahre und Jahrzehnte angesammelt hat, abzubauen bzw. werden wir dies noch tun.

Das ist möglich, weil wir ein Regelbudget erkämpft haben, das zweimal in Folge gesteigert worden ist, und wir haben zusätzlich bis zum Jahr 2024 Sonder-Investpakete in der Höhe von 654,1 Millionen Euro ausverhandelt. Das gibt uns die Möglichkeit, bei der Sanierung der Kasernen zu beginnen, uns um die Schutzausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten zu kümmern und genau in die Bereiche zu investieren, die aufgrund der Risikobilder notwendig sind. Das geht eben von ABC, über Cybercrime, bis hin zur Terrorabwehr, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Leistungsbilanz sieht man jeden Tag, wenn tausende Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind – nicht nur im Kampf gegen die Pandemie, sondern für die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher.

LEADERSNET: Es ist oft vom subjektiven Sicherheitsgefühl die Rede. Wie können wir in unseren Köpfen Sicherheit positionieren und uns bewusst zu machen, dass Österreich ein sicheres Land ist?

Tanner: Ich glaube, wir müssten alle viel mehr darüber sprechen. Sicherheit ist nicht etwas, das selbstverständlich ist. Sprechen wir darüber in der Familie, mit unseren Freunden und tun wir auch etwas dafür. Jeder Einzelne kann seinen Beitrag leisten: Schaut's auf den Seiten des Bundesheeres, auf der Seite der Polizei oder auch des Zivilschutzverbandes und ihr werdet Informationen finden, was jeder Einzelne und jede Einzelne dazu beitragen kann, um in Sicherheit zu leben. Selber einen Beitrag zu leisten, ist jetzt in der Pandemie ohnehin erforderlich.

Fotos vom LEADERSNET-Besuch im Verteidigungsministerium finden Sie in unserer Fotogalerie.

www.bundesheer.at

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