Interview mit Richard Kühnrich
"Niemand kommt auf die Welt und sagt: 'Ich werde Bestatter'"

In einer neuen Interviewserie bittet LEADERSNET.tv fünf Expert:innen der Wiener Stadtwerke und ihren unterschiedlichen Bereichen zum Gespräch. Dieses Mal ist Richard Kühnrich (Thanatopraktiker & Teamleiter Abholdienst, Bestattung Wien) an der Reihe, der Einblicke in ein selten beleuchtetes Handwerk gibt, das Präzision, medizinisches Wissen und Einfühlungsvermögen vereint. Er spricht darüber, wie Thanatopraktiker Verstorbenen ein natürliches Erscheinungsbild zurückgeben, warum schwarzer Humor im Team manchmal überlebenswichtig ist – und weshalb der Tod für ihn längst kein Tabu, sondern eine Einladung ist, das Leben bewusster zu leben. 

Wer in Wien lebt, begegnet ihnen täglich – meist, ohne es überhaupt zu bemerken: Ob im öffentlichen Verkehr, bei der Energieversorgung, im Bestattungswesen oder durch digitale Services – die Wiener Stadtwerke sind in fast allen Lebensbereichen präsent. Mit rund 18.000 Mitarbeitenden zählt der Konzern, zu dem unter anderem Wiener Linien, Wiener NetzeWien Energie und Bestattung Wien gehören, zu den 15 größten Unternehmen Österreichs und sorgt Tag für Tag dafür, dass die Bundeshauptstadt auch in Zukunft so lebenswert bleibt wie heute – und das alles aus einer Hand.

Im Rahmen einer neuen Interviewserie traf Jacqueline Knollmayr für LEADERSNET kürzlich fünf Vertreter:innen der unterschiedlichen Bereiche der Wiener Stadtwerke in der wienIT-WIT.Base im Wiener Orbi-Tower. Nach Daniela Wieser, Johannes Jungbauer, Georg Geissegger und Florian Kohl ist heute Richard Kühnrich (Thanatopraktiker & Teamleiter Abholdienst, Bestattung Wien) an der Reihe, der über die emotionalen wie handwerklichen Herausforderungen seines Berufs spricht.

Ein oft unsichtbarer Beruf

Über kaum ein Thema wird so ungern gesprochen wie über den Tod – und doch gehört er zum Leben dazu. Diesem ernsten Thema mit einer Prise schwarzen Humors zu begegnen, dafür ist die Bestattung Wien bekannt – und präsentierte erst vergangenen Sommer entsprechenden Merchandise, etwa mit Sonnencreme für die "Leichenblässe" oder einem Schwimmreifen mit dem Slogan "A echta Wiena geht net unta!". Doch hinter all dem morbiden Witz steckt weit mehr, als man auf den ersten Blick vermutet, erklärt Richard Kühnrich. Er ist Teamleiter des Abholdienstes bei der Bestattung Wien und kümmert sich um die tägliche Einsatzplanung, die Organisation und Koordination der Abholungen sowie um Sonderaufbahrungen an besonderen Orten wie dem Stephansdom oder dem Burgtheater. Zudem sorgt er dafür, dass spezielle Artikel und Aufbauten rechtzeitig vorbereitet und an die jeweiligen Friedhöfe oder Veranstaltungsorte geliefert werden.

Des Weiteren ist Kühnrich Thanatopraktiker – ein Begriff aus dem Griechischen, abgeleitet von "Thanatos" (Tod) und "praktikós" (tätig) – also ein Fachmann für die hygienische und ästhetische Versorgung Verstorbener. "Man kann sagen, das ist eine kosmetische Konservierung des Körpers. Der Idealfall ist natürlich, dass das Aussehen so natürlich wie möglich bleibt – als würde die Person einfach schlafen." Dies soll den Angehörigen, wenn sie einen letzten Blick auf ihre Liebsten richten, einen pietätvollen Abschied ermöglichen – eine wichtige Aufgabe, und dennoch gebe es laut Kühnrich lediglich vier aktive Thanatopraktiker in Wien.

Wie kommt man also dazu, solch einen Karriereweg einzuschlagen? "Niemand kommt auf die Welt und sagt: 'Ich werde Bestatter' – meist gibt es dafür einen bestimmten Auslöser." Der gelernte Tischler selbst wollte sich nach verschiedensten Tätigkeiten um die Jahrtausendwende herum beruflich verändern und sei dann über einen Bekannten zur Bestattung Wien gestoßen. 2005 sei er schließlich gefragt worden, ob er sich eine Ausbildung zum Thanatopraktiker vorstellen könne, und habe sich nach kurzer Bedenkzeit dafür entschieden. Diese dauert rund ein Jahr, bevor man mit einer Meisterprüfung abschließt und schließlich offiziell bei der Wirtschaftskammer Österreich registriert wird.

Wie das Handwerk eines Thanatopraktiker aussieht

Nach rund 20 Jahren Berufserfahrung in diesem Gebiet sei die Tätigkeit immer noch eine tägliche Herausforderung – sowohl mental als auch handwerklich. Bei der Behandlung der Verstorbenen geht es nämlich vor allem darum, den natürlichen Veränderungen des Körpers nach dem Tod entgegenzuwirken, erklärt der Experte: "Der Körper besteht aus circa 70 Prozent Flüssigkeit. Bei Eintritt des Todes beginnt diese zu verdunsten. Wenn man zum Beispiel eine Wurst stehen lässt, trocknen die Ränder ein – und so passiert es eigentlich beim Körper auch." Um dem entgegenzuwirken, bringe man eine konservierende und farbgebende Flüssigkeit über das arterielle System in den Körper ein, während gleichzeitig über das venöse System das Blut entnommen wird. Dadurch werden Volumen und natürliche Farbgebung des Körpers wiederhergestellt, und der Zersetzungsprozess wird für einen gewissen Zeitraum gestoppt – wie lange dies gelingt, sei von Fall zu Fall unterschiedlich.

Man sieht also: Das Handwerk eines Thanatopraktikers setzt großes Fachwissen voraus. Die Ausbildung umfasse dementsprechend viele Fachbereiche – von Anatomie über Chemie bis hin zu rechtlichen Grundlagen: "Ich maße mir nicht an, ein Arzt zu sein", betont Kühnrich, "aber man kriegt zumindest in der kurzen Zeit die anatomischen Grundkenntnisse mit." Diese seien wichtig, um sicher und verantwortungsvoll am und im Körper arbeiten zu können. Ebenso zentral sind aber auch Themen wie Desinfektion und der sachgerechte Umgang mit den verwendeten chemischen Substanzen. Und nicht zuletzt bedarf es natürlich auch des nötigen Feingefühls für den Umgang mit den Angehörigen. Dies sei insbesondere bei unerwarteten Todesfällen – etwa durch Unfälle oder Gewalteinwirkungen – ein heikles Thema, da der:die Liebste hier mitten aus dem Leben gerissen wird und sich die Hinterbliebenen zuvor meist noch nicht mit dem Tod der konkreten Person auseinandergesetzt haben. Um ihnen, falls gewünscht, eine Verabschiedung am offenen Sarg zu ermöglichen, führen Thanatopraktiker an "zerstörten" Körpern auch rekonstruktive Arbeiten durch – natürlich in enger Absprache mit den Angehörigen und nur im Rahmen des Möglichen.

Gespräche und Humor als emotionales Ventil

Aber auch emotional bringe der Beruf selbst die erfahrensten Mitarbeiter:innen immer wieder an ihre Grenzen, erzählt Kühnrich: "Man bringt als Bestatter:in eine gewisse Härte mit. Aber wenn das dann nicht mehr ausreicht, sprechen wir beispielsweise nach einer Abholung im Auto darüber – man redet es sich von der Seele." Diese Gespräche im Team seien wichtig, um Erlebtes zu verarbeiten. Darüber hinaus stehe den Bestatter:innen aber auch professionelle psychologische Unterstützung zur Verfügung – sowohl anonym als auch in Form gemeinsamer Gruppengespräche. Dieses Angebot sei vor allem bei besonders belastenden Einsätzen, wie etwa bei Großereignissen mit vielen Toten, essenziell. Um sich innerlich "Freiraum zu schaffen", sei aber auch eine Prise Humor ein gutes Mittel: "Der Mensch braucht einfach ein Ventil, um nicht zu explodieren", so der Thanatopraktiker.

Tod als Tabuthema in der Gesellschaft

Insgesamt hätten all die Erlebnisse der letzten 25 Jahre in der Branche seinen persönlichen Umgang mit dem Tod stark verändert: "Als ich bei der Bestattung Wien angefangen habe, war ich in einem Alter, in dem ich über den Tod noch nicht nachgedacht habe", erinnert sich Kühnrich. "Man kriegt einen anderen Zugang zum Tod, wenn man bei einer Bestattung arbeitet. Heute bin ich mir meiner eigenen Vergänglichkeit sehr bewusst und versuche, so gut es geht, intensiver und bewusster zu leben." Denn im Laufe der Jahre habe er vor allem eines gelernt: "Der Tod ist unbarmherzig – er kennt kein Alter, keinen Zeitpunkt und sagt nicht: 'Jetzt nicht.'"

Dementsprechend würde er sich wünschen, dass das Thema Sterben im gesellschaftlichen Konsens künftig nicht mehr so stark an den Rand gedrängt werde. "Natürlich sollte man sich nicht jeden Tag Gedanken um den Tod machen – sonst würde man früher oder später wahrscheinlich überschnappen. Aber dennoch sollte man sich selbst bewusst sein und auch Kindern vermitteln: Der Tod gehört zum Leben dazu."

Was Richard Kühnrich sonst noch zum Thema Tod sagt, welche konkreten Fälle ihn emotional an seine Grenzen brachten, was ihn in seiner Arbeit täglich antreibt, was angehende Thanatopraktiker mitbringen müssen und was der Tod für ihn persönlich bedeutet, sehen Sie in unserem Video.

Mehr über die LEADERSNET-Interviewserie mit Vertreter:innen der Wiener Stadtwerke, die hiermit endet, lesen Sie zudem in unserer Infobox.

www.wienerstadtwerke.at

www.bestattungwien.at

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Interviewserie mit Expert:innen der Wiener Stadtwerke

Im Rahmen einer neuen LEADERSNET-Interviewserie sehen und lesen Sie in den kommenden Wochen fünf Expert:innen-Talks mit Vertreter:innen der Wiener Stadtwerke und ihren unterschiedlichen Bereichen – von Mobilität über Energie bis hin zum Bestattungswesen.

Konkret traf LEADERSNET Daniela Wieser (Head of Multimodal Mobility, Wiener Linien), Johannes Jungbauer (Abteilungsleiter Erneuerbarer Wasserstoff, Wien Energie), Georg Geissegger (Abteilungsleiter für Planung & Errichtung, Wien Energie), Florian Kohl (Abteilungsleiter Digitalisierung und Strategie, Wiener Netze) und Richard Kühnrich (Thanatopraktiker & Teamleiter Abholdienst, Bestattung Wien) zum Interview.

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Konkret traf LEADERSNET Daniela Wieser (Head of Multimodal Mobility, Wiener Linien), Johannes Jungbauer (Abteilungsleiter Erneuerbarer Wasserstoff, Wien Energie), Georg Geissegger (Abteilungsleiter für Planung & Errichtung, Wien Energie), Florian Kohl (Abteilungsleiter Digitalisierung und Strategie, Wiener Netze) und Richard Kühnrich (Thanatopraktiker & Teamleiter Abholdienst, Bestattung Wien) zum Interview.

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