Martin Kocher im Interview
"Österreich kämpft mit hausgemachten Inflations-Treibern"

| Tobias Seifried 
| 17.09.2025

Martin Kocher übernimmt in einer heiklen Phase die Führung der Oesterreichischen Nationalbank. Im LEADERSNET-Interview spricht der neue OeNB-Gouverneur über Inflation, Zinsen, Konjunktur und Milliardenverluste im eigenen Haus. Zudem erklärt Kocher, warum er die Unabhängigkeit der Notenbank für unverzichtbar hält, wie die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gestärkt werden kann und wieso er den Vorwurf einer zu kurzen Cooling-off-Phase für unbegründet hält.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Kocher, Sie übernehmen die OeNB in einer herausfordernden Phase: hohe Inflation, verschärfte Zinspolitik in Europa und Milliarden-Schulden in der Bilanz. Was sind Ihre kurzfristigen Prioritäten?

Martin Kocher: Tatsächlich ist die Ausgangslage anspruchsvoll. Sowohl kurz- als auch langfristig geht es für mich darum, Stabilität und Verlässlichkeit zu garantieren, sowohl in der Geldpolitik als auch in der Kommunikation der OeNB. Die wichtigste Aufgabe des Eurosystems und damit auch der OeNB ist es, Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Das heißt: Wir müssen mit einer klaren, faktenbasierten Geldpolitik die Inflation auf zwei Prozent halten. Nach der jüngsten Prognose der EZB erwarten wir für den Euroraum eine Gesamtinflation von durchschnittlich 2,1 Prozent für 2025, 1,7 Prozent für 2026 und 1,9 Prozent für 2027.

Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die Rahmenbedingungen in Österreich mit einer höheren Inflationsrate als im Euroraum-Durchschnitt besonders fordernd sind. Hier sehe ich eine wichtige Rolle der OeNB darin, die öffentliche und auch nicht-öffentliche Diskussion mit Daten, Analysen und Empfehlungen zu unterstützen. Für Österreich zeigt die jüngste Interimsprognose (LEADERSNET berichtete), dass die Inflation 2025 durch das Auslaufen der Energiehilfen auf 3,5 Prozent steigt. Im Folgejahr 2026 fällt dieser Basiseffekt weg, wodurch die Inflation auf 2,4 Prozent sinkt. Aufgrund der hohen Dienstleistungsinflation bleibt sie 2027 noch bei 2,3 Prozent.

LEADERSNET: Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) war in Österreich zuletzt nicht unumstritten – wie beurteilen Sie den aktuellen Kurs?

Kocher: Es ist völlig nachvollziehbar, dass die Zinsentscheidungen der EZB in den Euro-Ländern intensiv diskutiert werden; schließlich betreffen sie jede:n: von Kreditnehmer:innen über Unternehmen bis zu Sparer:innen. Wichtig ist aber, dass die EZB und damit auch der EZB-Rat, dem ich nun angehören darf, Entscheidungen nicht aus einer nationalen Perspektive treffen kann, sondern für den gesamten Euroraum.

Der aktuelle Kurs ist darauf ausgerichtet, die Inflation nachhaltig auf unserem Ziel von zwei Prozent zu stabilisieren. Dabei geht es nicht um kurzfristige Effekte, sondern um die mittel- und langfristige Preisstabilität, die für das Vertrauen in unsere gemeinsame Währung entscheidend ist. Insgesamt ist für mich wichtig, dass die EZB glaubwürdig, konsistent und faktenorientiert agiert. Nur so können wir einerseits die Inflation in den Griff bekommen und andererseits das Vertrauen der Menschen und der Märkte sichern.

LEADERSNET: Österreich verzeichnet eine im EU-Vergleich besonders hohe Inflation – laut Statistik Austria ist sie im August sogar auf über vier Prozent geschnellt. Woran liegt das aus Ihrer Sicht – und kann die OeNB etwas tun, um gegenzusteuern?

Kocher: Es gibt mehrere Ursachen, warum Österreich bei der Inflation über dem Euroraum-Durchschnitt liegt. Zum einen wirken sich bei uns bestimmte strukturelle Faktoren stärker aus: Viele Preise sind automatisch an die Inflation gekoppelt, etwa Mieten oder Gebühren. Auch ein oft begrenzter Wettbewerb in manchen Sektoren spielt eine Rolle. Hinzu kommen die internationalen Rahmenbedingungen: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Energiepreise gerade in Mitteleuropa massiv nach oben getrieben, und seine Folgen spüren wir bis heute. Auch geopolitische Spannungen, etwa mit Blick auf Lieferketten und Handelsströme, belasten Österreich als stark exportorientierte Volkswirtschaft besonders. Wenn Europa insgesamt nur schwach wächst, trifft das eine offene Volkswirtschaft wie Österreich oft doppelt: über die Kosten im Inland und die Nachfrage im Ausland.

Als OeNB können wir keine nationalen Maßnahmen setzen, um die Inflation zu senken, denn die Geldpolitik kann die Preisstabilität nur einheitlich im gesamten Euroraum sichern. Aber wir können durch fundierte Analysen und Empfehlungen dazu beitragen, dass in Österreich die inflationstreibenden Faktoren reduziert werden. Insgesamt braucht es ein gemeinsames Vorgehen – Geldpolitik, Regierung, Sozialpartner. Die OeNB ist bereit, dabei ihren Beitrag zu leisten: sachlich, faktenbasiert und unabhängig.

LEADERSNET: Die Bilanz der OeNB wies in den letzten beiden Jahren einen Milliardenverlust auf. Wie wollen Sie mit dieser Erbschaft umgehen?

Kocher: Zunächst einmal muss man klarstellen: Die Verluste in den letzten Jahren sind kein Österreich-spezifisches Phänomen, sondern betreffen viele nationale Notenbanken im Euroraum und der westlichen Welt. Auch die EZB verzeichnete 2024 einen Verlust. Diese Verluste sind Folge der außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen im letzten Jahrzehnt. Die Verluste sind systembedingt und kein Hinweis auf eine Schieflage. Ob eine Zentralbank Gewinne oder Verluste macht, ist ein nachrangiges Ergebnis ihres Ziels, die Preisstabilität auf mittlere Frist zu gewährleisten.

Die geldpolitischen Belastungen werden sich in absehbarer Zeit für die OeNB verringern. Danach sind wieder Gewinne zu erwarten, mit denen die entstandenen Verluste kompensiert werden. Somit bleibt die Finanzkraft der OeNB unbeeinflusst.

LEADERSNET: Notenbanken stehen international zunehmend unter politischem Druck – zuletzt etwa in den USA, wo Donald Trump offen gegen den Fed-Chef Jerome Powell wettert. Wie wichtig ist die Unabhängigkeit einer Zentralbank, und wie kann man sie in solchen Zeiten schützen?

Kocher: Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist eine der zentralen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Sie ist keine technische Idee, sondern eine ganz konkrete Lehre aus der Wirtschaftsgeschichte: Immer dann, wenn Regierungen versucht haben, kurzfristig mit billigem Geld politische Ziele zu finanzieren, mündete das in Inflation und Instabilität. Das hat am Ende immer die Bürger:innen am stärksten getroffen.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Notenbanken unabhängig agieren können – frei von Parteien, Regierungen und anderen Institutionen. Wie schützt man nun diese Unabhängigkeit? Indem man sie lebt. Das bedeutet für mich: Entscheidungen faktenbasiert und nachvollziehbar zu treffen, sie transparent zu erklären und sich nicht von kurzfristigen politischen Stimmungen treiben zu lassen. Wenn die Bevölkerung versteht, warum und wie wir handeln, steigt auch die Akzeptanz und damit der Schutz vor politischem Druck. Glücklicherweise ist die Unabhängigkeit der Notenbanken in Europa institutionell sehr stark abgesichert. Aber wir dürfen sie nicht als selbstverständlich betrachten, sondern müssen sie jeden Tag durch unser Handeln neu rechtfertigen.

LEADERSNET: Kritiker:innen werfen Ihnen vor, nahezu "fliegend" vom Ministeramt in den Gouverneurssessel gewechselt zu sein – mit einer sehr kurzen Cooling-off-Phase. Was entgegnen Sie diesen Stimmen?

Kocher: Die letzten Monate haben es mir ermöglicht, Distanz zur früheren politischen Funktion zu schaffen und mich vollständig auf die geldpolitische Verantwortung einzustellen. Die Bestellung ist gesetzeskonform erfolgt, und sie ist inhaltlich unproblematisch, da ich als Minister keine Aufsicht über die OeNB hatte, sondern der Finanzminister.

Es ist mir sehr wichtig zu sagen, dass die Unabhängigkeit der OeNB für mich an oberster Stelle steht und dass ich alles dafür tun werde, um diese Unabhängigkeit auch zu leben. Meine Aufgabe ist es, die OeNB gemeinsam mit meinen Kolleg:innen im Direktorium ausschließlich im Interesse der Bürger:innen zu führen. Daran werde ich mich messen lassen.

LEADERSNET: Inwiefern bringen Ihnen Ihre Erfahrungen als Arbeits- und Wirtschaftsminister sowie als IHS-Chef Vorteile für die Rolle als Notenbank-Gouverneur?

Kocher: Ich sehe meine bisherigen beruflichen Stationen als eine wertvolle Grundlage. In meiner Zeit als Wissenschaftler und IHS-Chef habe ich gelernt, wirtschaftliche Entwicklungen zu analysieren, Daten sorgfältig auszuwerten und langfristige Trends im Auge zu behalten. Die Jahre als Arbeits- und Wirtschaftsminister haben mir gezeigt, wie wichtig politische Entscheidungsprozesse, Kompromissfähigkeit und klare Kommunikation sind. Beide Erfahrungen sind für eine Notenbank von großem Nutzen.

LEADERSNET: Blicken wir auf die Wirtschaft insgesamt: Wie schätzen Sie die Risiken für Österreichs Konjunktur in den kommenden Jahren ein – Stichwort Energiepreise, geopolitische Unsicherheit und Fachkräftemangel?

Kocher: Wir bewegen uns in einem Umfeld, das von einer Vielzahl an Risiken geprägt ist. Die Energiepreise sind nach wie vor volatil, auch wenn sie sich gegenüber den Spitzen der letzten Jahre etwas beruhigt haben. Österreich als stark exportorientierte Volkswirtschaft ist zudem besonders sensibel gegenüber geopolitischen Verwerfungen. Hinzu kommen strukturelle Herausforderungen wie beispielsweise der demografiebedingte Fachkräftemangel, der in vielen Branchen bereits heute die Wachstumschancen begrenzt.

Gleichzeitig sollten wir aber die Chancen nicht übersehen: Investitionen in neue Technologien, Digitalisierung und Innovation können die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken. Entscheidend ist, dass wir uns rechtzeitig auf diese Veränderungen einstellen und sie aktiv zum Vorteil des österreichischen Standorts nutzen.

LEADERSNET: Wenn Sie abschließend einen Blick nach vorne wagen: Welche Rolle soll die OeNB in den kommenden Jahren in Österreich und Europa spielen?

Kocher: In den kommenden Jahren möchte ich, dass die OeNB noch sichtbarer wird – als kompetente, unabhängige Stimme in wirtschafts- und finanzmarktrelevanten Fragen. Wir haben eine enorme Expertise im Haus – von der Geldpolitik über die Finanzmarktstabilität bis hin zu Bargeld und Zahlungsverkehr. Diese Kompetenz steht im Dienst der Österreicher:innen. Unsere Aufgabe ist es, Stabilität und Orientierung zu geben, auch in unsicheren Zeiten. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die OeNB Ruhe, Klarheit und Verlässlichkeit ausstrahlt, dann haben wir einen entscheidenden Beitrag geleistet – für Österreich und für Europa.

LEADERSNET: Vielen Dank.

www.oenb.at

Wie in Österreich so üblich wird geredet geredet und geredet ohne auch nur einen Schritt nach vorne zu machen.
Im Gegenteil versucht man es immer wieder mit gegenseitigen Schuldzuweisungen um über die Runden zu kommen.
Wir sind ein Land das sich in der höchsten Inflation im europäischen Raum befindet,das einzige was endgegen zu setzen haben sind Kürzungen der Pensionen unserer älteren Generation die dieses Land überhaupt erst aufgebaut haben um ein Fundament zu Schafen das die Menschen hier in Wohlstand leben können.
Genau diese Politik die es nicht geschafft har rechtzeitig gegen zu steuern wählen denn einfachsten Weg unseren Pensionisten deren mühevollen Pensionen unverschämt zu kürzen.
Es ist alles nur abschaum
Je suis Charlie
Nicht genügend, setzen und zwar auf den Posten des Nitenbankchefs. So verkommt Österreich nur weiter.

Bei einen Take-or-Pay-Vertrag Erdgas nicht abzunehmen, das dann Russlands Energiekonzerne am anderen Ende teurer an China und Indien verkauft, wo es dann über Indien teuer verflüssigt nach Europa zurück kommt, ist ruinös und die Wurzel der Inflation neben dem Zuzug von Nichtskönnern und der Vertreibung von Nettozahlern durch Überfremdung und Steuern.

Dazu kommt die Rückständigkeit in technischen Belangen, die die Kosten für Dienstleistungen treibt. In Österreich wurden Telefongespräche noch per Hand vom "Fräulein" gesteckt, während von Japan über Südafrika bis in die USA alles schon automatisiert war. Jetzt hinkt die Logistik gewaltig nach. Verstopfte Südosttangente und Parlsheriffs statt Straßen- und Garagenbau (z.B. unter Fahrbahndecken) gepaart mit händischer Zustellung statt Zustellrobotern von Yandex, treiben die Dienstleistungsinflation. Wenn die Stadt Wien Pfleger als Parkraumüberwachungsorgane anwirbt, um Geld für die Hamas einzutreiben (Geldübergabe im Floridsdorfer Haus der Umgebung) wandern Anständige eben aus und Verbrecher zu.

Merkelpoller beim Weihnachtsmarkt und Röntgenstraßen bei Gerichten treiben die Inflation.
Faszinierend. Ein Mensch ohne Selbstkritik. Verantwortlich für die Misere, dafür noch belohnt mit dem Job .....den Rest des Kommentars spare ich mir .....
Genau diese Person sollte sich sehr zurückhaltend im Bezug auf dieses Thema verhalten! Mutig sich so zu äußern, scheinbar immer noch kein Selbst-Feedback vorhanden

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