Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
"2–1–0"

| Redaktion 
| 07.09.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Nein, meine geschätzten Leser:innen, das ist weder ein merkwürdiges Fußballergebnis noch der Countdown zu einem Raketenstart. Viele Kenner:innen der österreichischen Innenpolitik werden es bereits erkannt haben: "2–1–0" sind die jüngst verkündeten Ziele von Bundeskanzler Christian Stocker für das Jahr 2026. Konkret: Die Inflation soll auf 2 Prozent sinken, das Wachstum 1 Prozent erreichen und es soll 0 Toleranz für Intoleranz geben.

Klare, messbare und nachvollziehbare Zielsetzungen

Kaum ausgesprochen, waren die Kritiker:innen zur Stelle. Die Ziele seien unambitioniert, würden ohnehin von selbst eintreten und seien daher reine Symbolpolitik. Doch so einfach ist es nicht: Österreich verzeichnete im August dieses Jahres noch eine Inflation von 4,1 Prozent. Für 2025 erwarten Expert:innen ein Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,1 Prozent. Und der Koalitionspartner der Bundesregierung ist nicht gerade dafür bekannt, wirtschaftsfreundliche Maßnahmen zu forcieren, sondern diese – leider – eher zu blockieren.

Insofern ist es keineswegs selbstverständlich, dass die Ziele von selbst erreicht werden. Zwar ist richtig, dass Wirtschaftsforschungsinstitute diese Werte prognostizieren. Und ja, ambitioniert sind sie nicht. Aber immerhin handelt es sich um klare, messbare und nachvollziehbare Zielsetzungen – etwas, das in der Politik leider viel zu selten vorkommt. Aus Unternehmersicht ist das selbstverständlich: Jedes Handeln wird an Key Performance Indicators (KPIs) gemessen. Warum also nicht auch in der Politik? Ich erlaube mir daher, einige Gedanken zu ergänzen, die dazu beitragen könnten, die gesteckten Ziele nicht nur zu erreichen, sondern zu übertreffen. Ich mache dies vor allem deshalb, weil die von der österreichischen Bundesregierung nach ihrer Klausur vom 2. und 3. September verkündeten Maßnahmen wirklich eher homöopathisch erscheinen, oder wie Michael Hammerl im Kurier schrieb "Die Regierung klebt ein Pflaster auf einen offenen Bruch". Deshalb – die österreichische Bundesregierung möge es mir nachsehen – was wirklich passieren müsste, wäre zumindest Folgendes:

Reform des Pensionssystems und Co. 

Eine nachhaltige Inflationsbekämpfung braucht vor allem günstigere Energiepreise. Dazu gehören auch moderatere Lohn- und Pensionserhöhungen, die nicht über der Inflationsrate liegen. Der Staat muss seine Ausgaben reduzieren, anstatt neue Steuern einzuführen – denn Österreich hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Besonders dringlich ist die Reform des Pensionssystems. Ein späteres Pensionsantrittsalter ist unumgänglich. Wer jetzt nicht handelt, verbaut den kommenden Generationen die Chance auf ein finanziell tragfähiges System. Allein die Anpassung der Strukturen benötigt Jahrzehnte. Ebenso notwendig ist eine zielgerichtete Sozialpolitik. Der deutsche Bundeskanzler hat recht, wenn er sagt: Wir leben über unsere Verhältnisse – und das gilt auch für Österreich. Nur mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme und konsequentem Handeln wird sich die Inflation dauerhaft eindämmen lassen.

Wachstum wiederum entsteht durch Wettbewerbsfähigkeit. Österreich braucht eine Entlastung der Arbeit: geringere Lohnnebenkosten und mehr Netto vom Brutto. Ebenso notwendig sind Deregulierung und Entbürokratisierung, und zwar nicht nur kleine kosmetische Korrekturen wie die Abschaffung der Belegpflicht, sondern ein wirklicher struktureller Wandel, der mindestens die Abschaffung von 30 Prozent aller Regularien zur Folge hat. Der Staat sollte sich darauf konzentrieren, die Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb im In- und Ausland zu schaffen, anstatt immer tiefer in die Märkte einzugreifen. Unternehmer:innen müssen wieder mehr Freiheit bekommen, zu investieren, zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Alte Denkweisen müssen hinterfragt werden 

Der dritte Punkt, null Toleranz für Intoleranz, scheint auf den ersten Blick selbstverständlich. Aber er umfasst mehr als wirkliche Integration, Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit. Null Toleranz für Intoleranz bedeutet auch, alte Denkweisen zu hinterfragen – etwa die österreichische Neutralität. Sie mag historisch wertvoll sein, darf aber nicht als Vorwand für ein ewiges Durchlavieren und für faule Kompromisse missbraucht werden. Wenn Österreich etwa aus Russland bedroht wird – sei es verbal oder politisch –, dann braucht es eine klare, selbstbewusste Positionierung und keine kleinlaute Antwort à la "Wir werden ohnehin kein NATO-Mitglied". Nur so kann Intoleranz in jeder Form glaubwürdig bekämpft werden.

Es gibt hier sicherlich noch viele weitere Punkte, die vielen meiner geneigten Leser:innen hier einfallen würden, aber ich will es damit erst einmal bewenden lassen.

All diese Punkte wurden leider nicht berücksichtigt, und auch wenn die Ziele des Bundeskanzlers nicht übermäßig ambitioniert wirken, ist es ein wichtiger Schritt, dass er überhaupt konkrete und überprüfbare Vorgaben macht. Politik braucht mehr davon. Doch am Ende reicht es nicht, wenn die Regierung allein Ziele setzt. Es liegt an uns allen – Unternehmer:innen, Arbeitnehmer:innen, Bürger:innen –, Verantwortung zu übernehmen, Reformen einzufordern und mitzugestalten. Die kommenden Jahre werden nicht einfach, aber wenn wir ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, können wir die "2–1–0"-Agenda nicht nur erreichen, sondern übertreffen. Entscheidend ist, dass wir heute damit beginnen – im Wissen, dass wir es für ein besseres Morgen tun.

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