Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Zwischen Angst und Respekt

| Redaktion 
| 17.08.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria. 

Ich habe einen sehr mutigen Freund. Neben vielem anderen setzt er sich intensiv für Hilfe in der Ukraine ein, für humanitäre Unterstützung, aber auch für wirtschaftliche Aufbauprojekte und vor allem für die Grundsteine der Zukunft nach dem Krieg. Dabei setzt er leider auch sein eigenes Leben aufs Spiel und wurde bereits durch einen russischen Artillerieangriff in der Ukraine verwundet. Das nenne ich persönlich Mut.

Kürzlich fragte er mich, ob ich ihn bei einer Hilfsfahrt in die Ukraine begleiten wolle. Diesen Wunsch hatte ich schon lange – nicht nur, um zu helfen, sondern auch, um die Situation vor Ort kennenzulernen. Auf seine konkrete Frage antwortete ich sofort mit "Ja". Und dann kam dieses kribbelnde Gefühl, gepaart mit den Fragen, ob das wirklich die richtige Entscheidung ist? Habe ich mir das gut überlegt? Was könnte passieren?

Dieses Gefühl kenne ich, es hat mich schon früher in unterschiedlichen Situationen beschlichen, etwa vor dem Abitur, vor dem ersten Fallschirmsprung, bei wichtigen beruflichen oder persönlichen Entscheidungen. Aber auch, wenn es um Familie, Freund:innen oder die eigene Zukunft geht. Aber war oder ist das Angst? Und wenn ja, ist Angst schlimm oder beherrschbar?

Wie Sie, meine geneigten Leser:innen es gewohnt sind, versuchen wir uns diesen Fragen mit einer allgemeinen Definition anzunähern: "Angst ist ein ungerichteter Gefühlszustand, der eine unbestimmte, oft diffuse Bedrohung signalisiert und mit Anspannung, Nervosität, Fluchtreaktionen und eventuell psychosomatischen Symptomen einhergeht."

Angst hemmt Entscheidungen

Puh, nach dieser Definition kann ich für mich in dieser Situation sagen: Nein, Angst im engeren Sinn ist es wohl nicht, aber sicher ein sehr großer, "höllischer Respekt". Diese Unterscheidung ist wichtig, weil – wie der Volksmund sagt – Angst kein guter Ratgeber und auch kein guter Begleiter ist. Angst verengt den Blick. Man fokussiert sich auf die Bedrohungen und übersieht oft die Chancen und Lösungen. Angst hemmt Entscheidungen, lässt uns verharren statt handeln. Vor allem aber hat Angst oft einen Langzeiteffekt: Sie nährt Selbstzweifel, belastet auf Dauer und kann im schlimmsten Fall sogar körperlich krank machen.

Respekt hingegen ist etwas anderes: Er ist eine bewusste Achtung vor einer Gefahr, bei der man die Risiken sieht, ohne sich davon lähmen zu lassen. Natürlich wäre es übertrieben und arrogant zu behaupten, man hätte nie Angst. Das wäre auch unsinnig – denn Angst hat durchaus positive Seiten. Sie ist unser Alarmsystem, das uns vor Schaden bewahrt und unser Überleben sichert. Sie kann uns sogar motivieren, Risiken abzuwägen und Chancen zu erkennen.

Viele Wege 

Die Frage ist also: Wie gelingt es, mit Angst so umzugehen, dass sie etwas Positives bewirkt? Dafür gibt es sicher viele Wege. Meine, zugegeben laienhaften, Grundsätze helfen zumindest mir:

Als ersten Schritt muss man seine Angst erkennen und sie auch benennen, denn das bloße Aussprechen nimmt ihr oft schon einen Teil ihrer Macht. In weiterer Folge ist es hilfreich, sich mit Vertrauten über die konkrete Situation auszutauschen – andere Perspektiven können helfen, das Gefühl einzuordnen. Man sollte sich zudem bewusst machen, dass Angst etwas völlig Normales ist. Angstsymptome sind eine übliche Stressreaktion, kein persönliches Versagen. Deshalb sollte man nicht danach trachten, angstauslösende Situationen zu meiden, denn das verstärkt sie oft. Wer sich ihnen stellt, kann Routinen entwickeln und diese als Referenz für künftige Herausforderungen nutzen. Dazu zählt auch, seine Ängste nicht mit zusätzlichen negativen Gedanken zu füttern. Und schließlich sollte man seine Erfolge feiern und sich Momente, in denen man eine angstauslösende Situation erfolgreich gemeistert hat, bewusst machen – als Bestätigung, dass man es kann.

Angst gehört zu unserem Leben 

Auch in Unternehmen spielt dieser Umgang mit Angst eine entscheidende Rolle. Angst vor Fehlern, vor Kritik oder vor dem Scheitern kann Innovation und Zusammenarbeit massiv behindern. Erfolgreiche Organisationen schaffen daher ein Umfeld, in dem Mitarbeitende psychologische Sicherheit erleben – also das Gefühl, ihre Meinung frei äußern zu können, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Bei JTI Austria setzen wir daher auf unterschiedliche Methoden, um unseren Mitarbeitenden diese Sicherheit zu vermitteln: von offener, wertschätzender Feedback-Kultur über Trainings zu Resilienz und Stressbewältigung bis hin zu strukturierten Dialogformaten, in denen jede Stimme zählt. Denn nur in einem Umfeld ohne lähmende Angst können Menschen ihr volles Potenzial entfalten, mutig denken, kreativ handeln und gemeinsam Großes erreichen.

Vielleicht ist am Ende aber die wichtigste Erkenntnis, dass Angst zu unserem Leben gehört. Mut bedeutet in diesem Sinne nicht, keine Angst zu haben, sondern trotz Angst zu handeln. Und manchmal, so glaube ich, liegt die wahre Kraft darin, aus der Angst Respekt zu machen und aus Respekt Entschlossenheit.

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