Fachkräftemangel: Drastischer Appell vom Handel an die Politik

| Redaktion 
| 29.03.2023

Die Branche bleibt aber trotz zahlreicher Herausforderungen der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich.

Der Umsatz ist 2022 zwar auf 319,3 Milliarden Euro geklettert, der Arbeitskräftemangel, hohe Energiekosten und die Inflation, weswegen die Menschen beim Einkaufen zurückhaltender seien, belastet die Branche. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass der Handelsverband einen drastischen Appell an die Politik richtet. 

Umsatzstärkster Wirtschaftsbereich

Am Mittwoch präsentierte der Handelsverband gemeinsam mit der KMU Forschung Austria das neue "Jahrbuch Handel 2023". Der Report liefert die neuesten Zahlen zu Umsatz- und Personalentwicklung, Branchenstruktur sowie zu Rentabilität und Wertschöpfung.

"Handel ist Leben. Mit einem Anteil von 22 Prozent stellt der Handel in Österreich die meisten Unternehmen aller Branchen und ist der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich. Wir sind mit mehr als 625.000 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber des Landes und schultern fast ein Fünftel der gesamten Wertschöpfung", sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

"Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Handel sind Frauen, die Teilzeitquote liegt bei 36 Prozent. Der Handel ist auch ein wichtiger Arbeitgeber für Migrant:innen, mehr als ein Viertel der Mitarbeitenden haben Migrationshintergrund", ergänzt Wolfgang Ziniel, Projektleiter der KMU Forschung Austria.

Umsatz seit 2019 real um 3,6 Prozent zurückgegangen

War die Entwicklung zwischen den Jahren 2016 bis 2019 positiv, so änderte sich das in Folge der Corona-Pandemie. Erst 2021 konnte laut dem HV ein leichter Aufwärtstrend beobachtet werden und 2022 trotz des Krieges in der Ukraine, zumindest eine Stabilisierung auf diesem Niveau.

"Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hat sich die Zahl der Unternehmen um ein Prozent erhöht. Die Beschäftigtenzahl konnte zwischen 2019 und 2022 sogar um 2,5 Prozent ausgebaut werden", so Will und fügt hinzu: "Die Umsätze lagen 2022 nominell um 15,3 Prozent über dem Niveau von 2019. Real, also unter Berücksichtigung der Inflation, hat sich die negative Entwicklung jedoch fortgesetzt. Insgesamt sind die Handelsumsätze seit 2019 inflationsbereinigt um 3,6 Prozent zurückgegangen."

Die fünfjährige Bestandsquote von im Jahr 2015 gegründeten Unternehmen belief sich im Handel im Jahr 2020 auf 50 Prozent. Das bedeutet, dass von den 2015 neu gegründeten Handelsunternehmen im Jahr 2020 noch die Hälfte auf dem Markt tätig war. Nachdem es zwischen 2019 und 2021 zu einem starken Rückgang der Insolvenzen im Handel gekommen ist, haben sich diese 2022 wieder deutlich erhöht und auf das Vorkrisenniveau von 2019 (knapp 900 Insolvenzen) eingependelt.

Zwischen Hoffnung und Herausforderung

"Der Handel bewegt sich zwischen Hoffnung und Herausforderung. Die Einzelhandelsumsätze 2022 im Vergleich zu 2021 real um 0,8 Prozent zurückgegangen, gleichzeitig sind die Kosten gestiegen. Umsatz ist auch nicht gleich Gewinn. Viele Händler:innen haben während der Pandemie und zuletzt in der Energiekrise Liquiditätsprobleme bekommen. Sie waren gezwungen, ihre Preise zu senken bzw. weniger stark anzuheben als im Einkauf – gleichzeitig sind die Kostenblöcke in die Höhe geschossen. Das hat bei zwei Drittel der Betriebe die Gewinnspannen stark nach unten und teilweise in die Verlustzone gedrückt", sagt der Handelsverband-Geschäftsführer.

62 Prozent von Arbeitskräftemangel betroffen

Abseits von der Umsatzentwicklung beschäftigt die Handelsbranche am stärksten der Arbeitskräftemangel. Laut der jüngsten HV-Händler:innenbefragung sind aktuell fast zwei Drittel aller Handelsbetriebe davon betroffen. Sechs Prozent mussten in den letzten sechs Monaten bereits einzelne Geschäfte temporär schließen, weil das Personal gefehlt hat. Aktuell sind fast vier Prozent von Filialschließungen betroffen, bei weiteren 14 Prozent ist nur ein eingeschränkter Betrieb möglich. (Weitere Kernergebnisse zum Arbeitskräftemangel siehe Infobox).

Handelsverband fordert Arbeitsmarktreform

Daher setzt sich der Handelsverband vehement für die Umsetzung der angekündigten Arbeitsmarktreform ein. Der dringende Bedarf zeige sich in fast jedem Betrieb. "Alle reden über Nachhaltigkeit, aber niemand über ein nachhaltiges Pensionssystem. Die Bundesregierung muss eine ‚Generation geringfügig' vermeiden, über die negativen Konsequenzen von Teilzeitarbeit für die eigene Pension aufklären und dem Arbeitskräftemangel aktiv entgegenwirken", fordert Handelssprecher Will und fügt hinzu: "Was es dafür braucht? Bessere Anreize, um arbeitslose Menschen ins Erwerbsleben zu integrieren. Jenen Beschäftigten, die ihre Stunden erhöhen wollen, darf die zunehmende Abgabenlast keinen Strich durch die Rechnung machen. Genau das ist jedoch derzeit der Fall."

Die Bundesregierung sei aufgerufen, eine breitflächige Aufklärung zu starten und zu erklären, dass durch die Teilzeitfalle nicht nur die Auswirkungen der Teuerungskrise verstärkt werden, sondern langfristig Altersarmut droht, wenn Pensionsansprüche dahin schmelzen.

Das Problem dabei, kaum wo in der EU zahlen Arbeitgeber:innen so viel für ihre Beschäftigten, ohne dass es den Angestellten selbst bleibt.

"Der Handel bietet attraktive Jobmöglichkeiten. Aber im EU-Vergleich ist die Abgabenbelastung nur in Belgien und Deutschland noch höher als in Österreich. In allen anderen EU-Ländern bleibt einem Durchschnittsverdiener:innen monatlich mehr Netto vom Brutto. Wir müssen jene Menschen mobilisieren, die arbeiten können, aber nicht wollen, um auch jene nachhaltig in ihrer Lebenssituation abzusichern, die arbeiten wollen, aber nicht können", bestätigt Will und fügt abschließend hinzu: "Zwei Drittel unserer Betriebe suchen Mitarbeiter:innen. Wenn sich mehr Menschen für Vollzeit statt Teilzeit entscheiden sollen, dann brauchen wir nicht nur eine flexiblere Gestaltung von Arbeit, sondern auch flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen im ganzen Land und vor allem mehr Netto vom Brutto. Es geht nicht darum, Teilzeit gegen Vollzeit auszuspielen. Es geht vielmehr darum, dass es sich finanziell auch proportional auszahlen muss, die Stunden zu erhöhen. Leistung muss sich wieder lohnen, das Zauberwort heißt Anreize setzen."

LEADERSNET war bei der Pressekonferenz. Einen Eindruck können Sie sich hier machen. 

www.handelsverband.at

www.kmuforschung.ac.at

Weitere Kernergebnisse zum Arbeitskräftemangel

  • 26 Prozent der Händler:innen sehen sich trotz Arbeitskräftemangel bis Jahresende zu einem Personalabbau gezwungen.
  • 32 Prozent schreiben zurzeit offene Stellen als Teilzeit aus, obwohl sie Vollzeit-Beschäftigte bevorzugen.
  • 23 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten auf der Fläche sind aktuell maximal vier Tage pro Woche im Einsatz.
  • 74 Prozent der Handelsbetriebe lehnen die Einführung der Vier-Tage-Woche (32 Stunden pro Woche) bei vollem Lohnausgleich ab, weil dies finanziell nicht leistbar wäre.
  • Für 19 Prozent der Händler:innen wäre die generelle Einführung der Vier-Tage-Woche denkbar, aber nicht bei vollem Lohnausgleich;

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  • 32 Prozent schreiben zurzeit offene Stellen als Teilzeit aus, obwohl sie Vollzeit-Beschäftigte bevorzugen.
  • 23 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten auf der Fläche sind aktuell maximal vier Tage pro Woche im Einsatz.
  • 74 Prozent der Handelsbetriebe lehnen die Einführung der Vier-Tage-Woche (32 Stunden pro Woche) bei vollem Lohnausgleich ab, weil dies finanziell nicht leistbar wäre.
  • Für 19 Prozent der Händler:innen wäre die generelle Einführung der Vier-Tage-Woche denkbar, aber nicht bei vollem Lohnausgleich;

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