"Corona als Brandbeschleuniger": Was die Krise den heimischen Einzelhandel 2020 gekostet hat

Handelsverband und WIFO ziehen Bilanz: Jahresumsatz bricht um rund 2,2 Milliarden auf 74,5 Milliarden Euro ein, Weihnachtsgeschäft schrumpft nicht zuletzt durch "Black-Friday-Kannibalismus" und Packerl-Flut im Dezember sprengt alle Rekorde.

Das Weihnachtsgeschäft gilt als "5. Quartal" für den Einzelhandel, es entscheidet darüber, ob das Geschäftsjahr erfolgreich endet oder nicht. Im Corona-Jahr 2020 gilt dies mehr denn je, wenngleich die Ausgangslage heuer aufgrund des harten Lockdowns von 17. November bis 6. Dezember alles andere als ideal war.

Black Friday-Kannibalismus und 

Das klassische Weihnachtsgeschäft wird definiert als Mehrumsatz im Dezember, der über den durchschnittlichen Umsätzen der Monate Jänner bis November liegt. Dazu werden noch Trend-, Konjunkturentwicklung und kalenderbedingte Effekte (z.B. die Zahl der Verkaufstage oder deren Verteilung) berücksichtigt. Sondereinkaufstage wie der Black Friday sowie der vorgezogene Ausverkauf kannibalisieren mittlerweile das klassische Weihnachtsgeschäft und verschieben die Mehrumsätze immer stärker in den November.

"Generell setzt sich auch heuer der Trend zu Gutscheinen ebenso fort wie die Beliebtheit von Geldgeschenken. Reisen und Wellness, im Vorjahr noch auf Platz 2 der Rangliste, werden hingegen Corona-bedingt deutlich weniger verschenkt", erklärt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes. Bei den bevorzugten Waren greift jedes dritte österreichische Christkind im Einzelhandel zu Spielzeug (33 Prozent), Süßigkeiten (32 Prozent) oder Bekleidung (32 Prozent), immerhin jedes Vierte zu Büchern (27 Prozent) und Kosmetik (26 Prozent), um die Vorlieben der Liebsten zu treffen.

Weihnachtsgeschäft 2020 bringt Mehrumsatz von circa 1,29 Milliarden Euro

Das aktuelle Weihnachtsgeschäft 2020 verläuft aufgrund der behördlichen Schließung des Non-Food Handels bis 6. Dezember sowie der weiterhin geltenden Einschränkungen und Hygiene-Vorgaben im gesamten stationären Handel durchwachsen. Die Umsatzprognose von Handelsverband und Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) für den österreichischen Einzelhandel geht von einem weihnachtsbedingten Mehrumsatz von 1,1 Milliarden Euro netto bzw. 1,29 Milliarden brutto aus. Das entspricht einem Rückgang von 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (1,22 Milliarden Euro netto bzw. 1,43 Milliarden Euro brutto). Betrachtet man lediglich den Nichtlebensmittelbereich, liegt der Umsatzrückgang im November und Dezember sogar bei  minus 14,7 Prozent. Insgesamt wird das Umsatzvolumen heuer im Dezember auf nominell 6,25 Milliarden Euro geschätzt (Vorjahr: 6,4 Milliarden Euro).

Kommende Woche treten die Last-Minute Shopper auf den Plan, oder auf die Regenplane. Rund ein Drittel der Konsumenten sichert sich erst in den letzten Tagen vor Heiligabend die Geschenke für die Lieben. Nach dem 24. Dezember werden dann Geldgeschenke eingelöst und das Gutscheingeschäft hat Hochkonjunktur bis weit in den Jänner 2021 hinein.

Einzelhandel 2020: Jahresprognose der Gesamtumsätze von 74,5 Milliarden Euro

"Aus all diesen Faktoren leitet sich unsere Gesamtjahresprognose 2020 für den österreichischen Einzelhandel von 74,5 Milliarden Euro brutto ab. Ein nomineller Rückgang von minus 2,9 Prozent. Bezieht man die Inflationsrate von 1,3 Prozent ein, wird der heimische Handel heuer real um mehr als minus 4,2 Prozent schrumpfen. Insgesamt rechnen wir für 2020 mit einem Rückgang der privaten Haushaltsausgaben für Dienstleistungen, Konsumgüter und sonstige Investitionen von mindestens 16,5 Milliarden Euro", so Will.

"Wenn wir die Umsätze im Oktober und November auf der Basis der früher verfügbaren Daten zu den bargeldlosen Transaktionen abschätzen und einen teilweisen Nachholeffekt im Dezember unterstellen, dürfte der nominelle Gesamtjahresumsatz im Einzelhandel ohne KFZ und ohne Nahrungsmittel um  minus 4,3 Prozent zurückgehen. Aggregiert über alle Teilbereiche des Einzelhandels konnte der Einbruch durch den ersten Lockdown über den Sommer annähernd wettgemacht werden, wobei die einzelnen Sektoren sehr unterschiedlich betroffen waren", sagt Josef Baumgartner, Senior Economist am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).

Stationäre Geschäfte als große Verlierer der Krise

Im Handel betreffen die negativen Auswirkungen der Krise jedoch fast ausschließlich die stationären Geschäfte. Hier dürfte der inflationsbereinigte Umsatzrückgang heuer bei mindestens  minus 4,7 Prozent liegen (nominell: minus 3,4 Prozent). Am stärksten sind KMU-Händler mit Geschäftsflächen betroffen. Fast ein Zehntel der heimischen Händler mussten ihren Betrieb aufgrund der Corona-Krise bereits schließen, 6.500 Unternehmen sind akut insolvenzgefährdet. "Allein der zweite harte Lockdown hat im Nichtlebensmittelbereich einen deutlichen Einbruch von minus 20 Prozent im November und mehr als minus 10 Prozent im Dezember gegenüber den Vorjahrsumsätzen gebracht", bestätigt Baumgartner.

"Der Onlinehandel wird hingegen heuer um mehr als 17 Prozent wachsen. Corona war hier eindeutig ein Brandbeschleuniger. Am Ende des Jahres werden wir erstmals einen eCommerce-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz von mehr 11 Prozent erreichen. Das entspricht rund 8,2 Milliarden Euro", so Handelssprecher Rainer Will. Viele heimische Händler haben das Potenzial in den letzten Monaten erkannt und in ihren Webshop investiert - eine gute Entscheidung.

Rekord-Packerl-Flut und ein Wunsch ans Christkind

Noch stärker als der Distanzhandel wird heuer der sog. KEP Markt (Kurier-, Express- und Paketdienste) zulegen. 2019 lag die Zahl der zugestellten Pakete im B2C Bereich bereits bei 151 Millionen ( plus 14 Prozent). Für heuer erwarten wir ein Paketvolumen von 180 Millionen – ein Anstieg von mehr als 19 Prozent innerhalb eines Jahres. Hauptgründe für die Paketlawine sind neben dem generellen eCommerce-Boom vor allem überproportional steigende Teillieferungen und Retouren. Im Weihnachtsgeschäft werden heuer an manchen Tagen über eine Million Pakete zugestellt. Das bringt zahlreiche Paketdienstleister an ihre Grenzen.

Der Weihnachtswunsch des Handelsverbandes richtet sich heuer an die Konsumenten: "Das größte Geschenk, das wir dieses Weihnachten jemandem schenken können, ist ein sicherer Arbeitsplatz. Wie das geht? Indem wir unsere Geschenke im heimischen Handel kaufen - egal ob in einem der 13.500 heimischen Online Shops oder vor Ort in den Geschäften. Alle Österreicherinnen und Österreicher können einen Beitrag leisten. Alle, die ein Zeichen der Solidarität setzen wollen und deren Herz für die eigene Region schlägt", sagt Rainer Will.

Vier Neujahrswünsche

"Derzeit existieren im Handel zwei Geschwindigkeiten". so Will, und versinnbildlicht die Situation wie folgt: "Die österreichischen Händler müssen mit einer Ritterrüstung, mit starren Zuschlägen und hohen Lohnnebenkosten einen wahren Hürdenlauf absolvieren." Die Internet-Giganten ohne Betriebsstätte in Österreich können dem Handelsverbandschef zufolge hingegen "frei wie ein Vogel" agieren und einen "eleganten Sprint hin zum Konsumenten absolvieren". Daher brauche es endlich lenkungspolitische Schritte, "und zwar jetzt", fordert Will. Die Regierung hat bereits Unterstützung zugesichert – welche Punkte das betrifft, haben wir in der Infobox für Sie aufgeschlüsselt.

Eindrücke von der gemeinsamen Pressekonferenz von Handelsverband und WIFO zur Jahresbilanz des Österreichischen Einzelhandels im Coronajahr finden Sie in unserer Fotogalerie. (red)

www.handelsverband.at

www.wifo.ac.at

Regierungsmaßnahmen zur Unterstützung des Handels

Es gibt sinnvolle einzelstaatliche Maßnahmen, um den beschäftigungsintensiven stationären Handel zu unterstützen. Globale Plattformen wie Amazon dominieren das Spielfeld im eCommerce und sind Einfallstor für die Paketlawine aus Asien. Länder wie England, Frankreich, Italien oder Schweden haben darauf reagiert, sie haben effektive einzelstaatliche Lösungen umgesetzt. Die Politik hat zu folgenden Punkten regulative Unterstützung zugesichert:

Maßnahme 1: Fiktive Gewinnbesteuerung für Online-Giganten ohne Betriebsstätte in Österreich
Maßnahme 2: Subsidiäre Plattformhaftung für Fake-Produkte
Maßnahme 3: Plattformhaftung für Verpackungsentpflichtung
Maßnahme 4: Paketlawine aus Asien stoppen und 22 Euro MwSt-Freigrenze abschaffen
Maßnahme 5: Regulative Entdiskriminierung des stationären Handels

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