Während digitale Fähigkeiten inzwischen in vielen Branchen zur Grundvoraussetzung geworden sind, klaffen Selbsteinschätzung und tatsächliche Skills oftmals weit auseinander. Dies verdeutlichen die Ergebnisse des neuen "Vienna Digital Skill InSight" – eine Sonderauswertung des Digital Skills Barometer 2025/26, die fit4internet gemeinsam mit den Co-Herausgebern Wirtschaftskammer Wien (WKW) sowie ETC am Mittwoch im Rahmen einer Pressekonferenz präsentierte. Demnach liegt die Selbsteinschätzung der Wiener Erwerbstätigen bei durchschnittlich 69 von 100 möglichen Punkten – ein Wissenstest rund um Cloud, Cyber, Data und KI offenbart jedoch eine Punktzahl von gerade einmal 39 und damit einen Technology Skills Gap von 30 Punkten.
Geringe Skills rund um KI und Daten
Besonders groß sei die Lücke beim Umgang mit Informationen und Daten, wo sich Selbstbild und überprüftes Wissen um 45 Punkte unterscheiden. Das zeigt, dass ein großer Teil der Beschäftigten wesentliche Konzepte rund um Datenqualität, Datenverarbeitung und Datenbewertung nur eingeschränkt versteht. Bei den digitalen Grundlagen verhält es sich mit einer Lücke von 42 Punkten ähnlich. "Diese Selbstüberschätzung ist ein reales Risiko für Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Österreich", betonte Markus Schaffhauser, Präsident von fit4internet und SVP Atos Group. "Wer glaubt, digital souverän zu sein, tatsächlich aber zentrale Mechanismen nicht versteht, trifft im Zweifel falsche Entscheidungen. Wir brauchen diese ehrlichen Bestandsaufnahmen, um daraus gezielte Maßnahmen für den Aufbau von digitalen Kompetenzen entwickeln zu können."
Betrachtet man die Fähigkeiten nach den einzelnen Technologiefeldern, zeigen sich große Unterschiede: Cybersecurity liegt mit 57 Skill-Punkten vorn, dennoch fehlen oft praktische Schutzmechanismen wie Passwortmanager. Cloud-Kompetenzen erreichen 39 Punkte, besonders in kleinen Unternehmen. KI kommt auf 35 Punkte – sie wird zwar zunehmend häufiger genutzt, aber ihre Grundlagen bleiben meist unverstanden. Am schwächsten ist das Verständnis der Daten-Domäne mit nur 27 Punkten. "Wer KI sinnvoll einsetzen will, muss zuerst das Prinzip verstehen, nach dem Daten entstehen, verarbeitet und bewertet werden", erklärte Christoph Becker, Geschäftsführer des ETC. "Solange diese Grundlage fehlt, bleibt das Potenzial neuer Technologien weitgehend ungenutzt."
Große Unterschiede nach Demografie und Anwendungskontext
Unter demografischer Betrachtung der Ergebnisse offenbart sich auch großer Gender Gap – während gerade einmal 30 Prozent der Frauen über eine hohe Technologieaffinität verfügen, sind es bei Männern 54 Prozent. Außerdem erreichen die Unter-30-Jährigen die höchsten Werte in Cybersecurity, Daten und KI, während die über 50-Jährigen zurückfallen. Darüber hinaus weisen Personen mit höherer formaler Ausbildung je nach Domäne ein 30 bis 40 Prozent höheres Kompetenzniveau als der Durchschnitt auf. "Der digitale Gender Gap ist aber kein altersbedingtes Phänomen, sondern ein strukturelles", so Martin Heimhilcher, Spartenobmann Information & Consulting der Wirtschaftskammer Wien. "Wir brauchen digitalen Unterricht in allen Schultypen und eine aktivere Heranführung junger Frauen an digitale Themen. Das ist eine zentrale Zukunftsfrage für den Standort Wien und um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken."
Weiters zeigt sich, dass digitale Technologien privat deutlich bewusster genutzt werden als beruflich: 62 Prozent verwenden KI privat, aber nur 34 Prozent im Job. Bei Cloud-Anwendungen sind es 65 Prozent gegenüber 39 Prozent, bei Cybersecurity 75 Prozent gegenüber 48 Prozent. "In vielen Unternehmen sind digitale Tools längst vorhanden, werden aber entweder nicht bewusst wahrgenommen oder nur teilweise genutzt", erklärte Petra Postl, Geschäftsführerin der Raiffeisen Digital GmbH. "Im Bereich Data Analytics sehen wir jedenfalls, dass Systeme und Anwendungen bereitstehen, die Nutzung und die Kompetenzen zum aktiven Einsatz aber hinterherhinken. Hier geht viel Innovationskraft verloren."
Transformationskurs ohne klare Orientierung
Überdies verstehen 47 Prozent der Beschäftigten die Zielrichtung digitaler Initiativen, 44 Prozent erkennen Digitalisierung als Transformationsprozess, doch nur 39 Prozent behalten im Wandel den Überblick. Besonders groß ist der Nachholbedarf bei KI-Governance: Laut Statistik Austria verfügen lediglich 43 Prozent der Unternehmen über verbindliche KI-Regeln.
Gleichzeitig zeigt die Studie ein starkes Zukunftssignal: 51 Prozent der Wiener Erwerbstätigen wollen die digitale Transformation aktiv mitgestalten, bei den 16- bis 29-Jährigen sind es sogar 67 Prozent. Wien verfügt damit über eine digital affine Bevölkerung, deren Kompetenzen jedoch nicht überall mit technologischen Anforderungen Schritt halten, ordnet Heimhilcher ein: "Wir haben in Wien enormes Potenzial, aber wir müssen es aktiv heben. Die Menschen wollen beitragen – wir müssen ihnen die Fähigkeiten geben." Oder wie es Schaffhauser abschließend zusammenfasst: "Digitalisierung ist kein Spitzensport für wenige, sondern eine gemeinsame Aufgabe für viele, die an der Basis bei den Kompetenzen beginnt."
LEADERSNET war dabei und hat Eindrücke für Sie in der Galerie gesammelt.
www.wko.at/wien
www.fit4internet.at
www.etc.at
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