Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Warum Kochshows und Falstaff den Nerv der Zeit treffen

| Redaktion 
| 08.12.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Die Leser:innen, die mich kennen, wissen: Ich liebe gutes Essen und Trinken. Ich zelebriere das gemeinsame Genießen. Damit bin ich mit Sicherheit nicht allein, ganz im Gegenteil. Es ist eine der erstaunlichsten Verschiebungen unserer Zeit – und vor allem unserer Medienkultur. Während Politik und Wirtschaft von Krisenmeldungen dominiert werden und unter dem Motto "nur schlechte Nachrichten verkaufen sich" immer weiter an Reichweite verlieren, zählen Kochshows und Gourmet-Magazine noch immer zu den unangefochtenen Gewinnern im Unterhaltungsbereich. Sie verwandeln das Alltägliche – Kochen, Essen, Trinken – in ein Spektakel, das Millionen fesselt.

Drama, Comedy und Wettbewerb

Warum ist das so? Die einfache Behauptung, es handle sich nur um leichte Ablenkung, greift aus meiner Sicht zu kurz. Schaltet man abends den Fernseher ein, wird schnell klar, warum Kochshows so erfolgreich sind. Gordon Ramsay brüllt in "Hell's Kitchen" Kandidat:innen zusammen, als ginge es um Leben und Tod – und doch geht es nur um ein Steak. Jamie Oliver vermittelt in "The Naked Chef" die Leichtigkeit des Kochens, als könnte jede:r mit ein paar Kräutern und Olivenöl die Welt retten. Tim Mälzer, der deutsche "Koch-Berserker", macht aus "Kitchen Impossible" ein Duell, das eher an Gladiatorenkämpfe erinnert als an Rezeptbücher. Und bei "Grill den Henssler" oder "Das perfekte Dinner" wird längst mit einem Repertoire gearbeitet, das einem Kinoabend Konkurrenz macht.

Das Erfolgsrezept wirkt simpel: Kochshows sind keine Lehrsendungen mehr, sondern Drama, Comedy und Wettbewerb zugleich. Sie inszenieren das Alltägliche als Ausnahmezustand. Ein Teller Pasta wird zur Metapher für Kreativität, ein Dessert zum Triumph über die Konkurrenz. Eine Kochshow kann schon mal so anstrengend sein wie ein Marine-Bootcamp, und wer den Sieg davonträgt, gehört gefühlt zur Elite.

Genuss ist der Gegenentwurf zur Hektik des Alltags

Warum schalten Menschen ein? Natürlich, weil man mitfiebern und sich mit Teilnehmer:innen identifizieren kann. Aber vor allem, so denke ich, weil Genuss der Gegenentwurf zur Hektik des Alltags ist. In einer Welt voller Termindruck und negativer Schlagzeilen, in der positive Zukunftsgedanken rar werden, bieten Kochshows eine Oase der Sinnlichkeit. Sie zeigen Dinge, die sich nicht rationalisieren oder digitalisieren lassen: Geschmack, Geruch, Textur.

Essen ist darüber hinaus Gemeinschaft – manchmal sogar Schicksalsgemeinschaft. Wer "Die Küchenschlacht" im ZDF verfolgt, sieht Hobbyköch:innen, die mit Leidenschaft antreten. Die Identifikation entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch das Ritual des Kochens, das verbindet.

Zeichen der Sehnsucht 

Noch deutlicher wird die kulturelle Aufladung des Essens beim Magazin Falstaff. Was Wolfgang Rosam mit einer Auflage von über 170.000 Exemplaren im DACH-Raum und einer enormen Social-Media-Präsenz aufgebaut hat, ist bemerkenswert. Das Magazin hat eine Leserschaft, die wohl mehrheitlich zur oberen Einkommensschicht gehört und darf sich zu den erfolgreichsten Gourmet-Magazinen im deutschsprachigen Raum zählen. Und wie wir es etwa auch von Reisemagazinen kennen, werden die Leser:innen in Sphären geführt, die sie sich vielleicht selbst nicht leisten können, was sie aber umso mehr zum Träumen verführt.

Das Gourmet-Magazin verkauft nicht nur Informationen über Wein, Küche und Reisen, sondern ein Lebensgefühl. Wer es liest, fühlt sich als Teil einer Welt von Kenner:innen, derjenigen, die wissen, welcher Bordeaux gerade en vogue ist oder welches Restaurant in Wien das beste Degustationsmenü serviert. Das Magazin ist Medium und Marke zugleich – ein Symbol für Status, Exklusivität und Genuss. Gerade in eher depressiven Zeiten ist das kein Zufall, sondern eher ein Zeichen der Sehnsucht.

Entertainment, Identität und Wirtschaftsfaktor

Am Ende sind Kochshows und Falstaff zwei Seiten derselben Medaille. Die einen demokratisieren Genuss – jede:r kann mitkochen, jede:r kann sich inspirieren lassen und sich als Sieger:in fühlen. Die anderen inszenieren Genuss als Luxusgut – wer dazugehören will, muss investieren und auch etwas leisten. Gemeinsam zeigen sie, dass Kulinarik heute Entertainment, Identität und Wirtschaftsfaktor zugleich ist. Es zeigt also wahrscheinlich auf seine Art und Weise, wie es eigentlich auch im wirklichen Leben sein soll.

Der Erfolg dieser Formate ist also kein Zufall, sondern Ausdruck einer Gesellschaft, die Essen wieder als Kultur begreift. In einer Welt voller Unsicherheit bieten sie Orientierung, Genuss und ein Stück Lebensfreude. Sie sind Spiegel unserer Sehnsüchte und zugleich Motor einer Industrie, die aus dem Alltäglichen ein Spektakel macht. Und ja, es ist ein Phänomen der sogenannten "First World", und dennoch sollte man deshalb kein schlechtes Gewissen haben (müssen).

Kochen ist heute Bühne, Essen ist (nicht immer, aber immer öfter) Status, und Genuss ist Kultur und vice versa. Und genau darin liegt der Triumph von Ramsay, Oliver, Mälzer und Magazinen wie Falstaff. Ich gönne ihnen diesen Erfolg von ganzem Herzen, denn er zeigt uns eine der schönsten Seiten unseres Lebens. Eine Welt, in die wir uns hineinziehen lassen können – und vielleicht sogar eine, die uns hilft, besser mit Krisen umzugehen.

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