LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Küchli, Sie sind im Bereich Vergaberecht tätig. Was hat Sie daran besonders fasziniert – und wie führte Ihr beruflicher Weg in dieses Spezialgebiet?
Harald Küchli: Mich hat am Vergaberecht von Beginn an fasziniert, dass es an der Schnittstelle von Recht, Technik, Wirtschaft und strategischer Steuerung liegt und zugleich ein zentrales Instrument zur Verfolgung von Zielen wie Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz darstellt. Jedes Projekt ist anders, jedes Verfahren bringt eigene Herausforderungen mit sich – und genau diese Vielfalt macht das Vergaberecht für mich bis heute zu einem der anspruchsvollsten und zugleich spannendsten Bereiche des öffentlichen Wirtschaftsrechts.
LEADERSNET: Sie betonen, dass Vergabeverfahren nicht nur Einkauf sind, sondern Innovation vorantreiben können. Was macht Vergaberecht in Ihren Augen zu einem so wirksamen Zukunftswerkzeug?
Küchli: Vergaberecht ist eines der wirkungsvollsten Steuerungsinstrumente der öffentlichen Hand. Über Vergabeverfahren lassen sich nicht nur Leistungen beschaffen, sondern auch Innovationen anstoßen. Zukunftsorientiert ist das Vergaberecht deshalb, weil es durchaus klare rechtliche Rahmenbedingungen mit erheblichem Gestaltungsspielraum verbindet. Auftraggeber:innen können diesen Gestaltungsspielraum nutzen, um gezielte Anreize für technologische Innovationen zu setzen. Ebenso können sie damit z. B. die Erreichung ökologischer und sozialer Faktoren fördern. So wird Beschaffung zu einem strategischen Instrument, das weit über die reine Bedarfsdeckung hinausgeht. Kurz gesagt: Vergaberecht schafft einen regulierten, aber offenen Rahmen, in dem Innovation nicht zufällig entsteht, sondern bewusst gefördert wird – genau diese Hebelwirkung macht es zu einem Zukunftswerkzeug.
LEADERSNET: Forschungsförderung unterstützt oft Ideen, die noch weit vom Markt entfernt sind. Wie helfen Ausschreibungen dabei, den tatsächlichen Bedarf sichtbar zu machen und Innovationen direkt am Markt zu platzieren?
Küchli: Während Forschungsförderung oft frühe Entwicklungen unterstützt, setzen Ausschreibungen direkt beim konkreten Bedarf der öffentlichen Hand an. Sie machen diesen Bedarf sichtbar, geben dem Markt Orientierung und ermöglichen es, Innovationen unmittelbar in der Praxis zu erproben. Damit übernimmt die öffentliche Hand die Rolle einer frühen Anwenderin neuer Lösungen. Ausschreibungen schaffen in diesem Rahmen sowohl Transparenz über den konkreten Bedarf als auch einen Anreiz für innovationsnahe Entwicklungen am Markt.
LEADERSNET: Sie weisen darauf hin, dass gut gestaltete Ausschreibungen gerechter und transparenter sind. Welche Mechanismen im Vergaberecht sorgen konkret für mehr Fairness im Wettbewerb?
Küchli: Das Vergaberecht stellt Fairness sicher, indem es klare Prinzipien wie Gleichbehandlung, Transparenz und freien Wettbewerb verbindlich vorgibt. Objektive Kriterien, transparente Bekanntmachungen, klare Fristen und eine lückenlose Dokumentation sorgen für Chancengleichheit. Schließlich sorgt der vergabespezifische Rechtsschutz dafür, dass Bieter:innen Entscheidungen prüfen und anfechten können – Fairness wird damit nicht nur gefordert, sondern auch durchsetzbar.
LEADERSNET: Wie lassen sich Vergabekriterien so definieren, dass sie Forschung, F&E-Investitionen oder die Zusammenarbeit mit Start-ups fördern – ohne dabei rechtlich angreifbar zu sein?
Küchli: Vor einer Ausschreibung sollte eine fundierte Marktanalyse oder ein strukturierter Dialog mit potenziellen Anbietern erfolgen, um zu verstehen, was der Markt leisten kann. Anstelle starrer technischer Vorgaben empfiehlt sich eine funktionale Leistungsbeschreibung, die den Bedarf und die gewünschten Ergebnisse definiert und innovativen Anbietern – insbesondere Start-ups – mehr Gestaltungsspielraum eröffnet. Entscheidend sind objektive, transparente und klar auf den Auftragsgegenstand abgestimmte Teilnahmebedingungen, die auch jungen und kleineren Unternehmen den Zugang ermöglichen. Gleichzeitig ist ein konsequenter Schritt weg vom Billigstbieterprinzip hin zum Bestbieterprinzip erforderlich, um Innovation in einem ausgewogenen Preis-Leistungs-Verhältnis vorantreiben zu können.
LEADERSNET: Innovationen bergen auch Risiken. Wie stellt das Vergaberecht sicher, dass Auftraggeber und Unternehmen gemeinsam Verantwortung übernehmen und Projekte nicht im Sand verlaufen?
Küchli: Leistungsbeschreibungen, klare Vertragsbestimmungen und definierte Meilensteine – ausgestaltet in einem partnerschaftlichen Rahmen – schaffen die Grundlage dafür, dass innovative Projekte strukturiert und steuerbar bleiben. Ergänzend braucht es eine fachkundige, partnerschaftlich ausgerichtete Projektorganisation, die agile Projektmanagement-Methoden nutzt und den kontinuierlichen Austausch mit den Unternehmen fördert. So werden Risiken gemeinsam getragen und Innovationen zuverlässig in die Umsetzung geführt. Und klar ist: Auch das beste Projektmanagement scheitert, wenn überbordende Vorgaben der öffentlichen Hand den notwendigen Handlungsspielraum einschränken.
LEADERSNET: Sie beschäftigen sich u.a. mit KI im Vergaberecht. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Ausschreibungen und Bewertungsverfahren?
Küchli: Der Einsatz von KI könnte im Vergaberecht künftig erhebliche Effizienz- und Qualitätsgewinne ermöglichen. Sie könnte etwa bei der Marktanalyse unterstützen, bei vergabespezifischen Prüfvorgängen – etwa der Eignungs- und Angebotsprüfung – entlasten und insbesondere dazu beitragen, Ausschreibungsunterlagen konsistenter zu gestalten. Gleichzeitig ergeben sich wesentliche Herausforderungen. KI-Systeme müssen in der Lage sein, DSGVO-konform zu arbeiten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu wahren. Zudem wäre darauf zu achten, Halluzinationen auf ein Minimum zu reduzieren, etwa durch strikte Qualitätskontrollen, eine sorgfältige Modellvalidierung und einen konsequenten Human-in-the-Loop. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass KI zwar wertvolle Unterstützung leisten kann. Sie ersetzt jedoch nicht die fachkundige Beurteilung und das professionelle Augenmaß, das erfahrene Vergaberechtsexpert:innen mitbringen.
LEADERSNET: Wie müssen öffentliche Auftraggeber und Kontrolleinrichtungen heute arbeiten, damit Vergaberecht nicht nur eingehalten, sondern wirklich effektiv und sinnvoll angewendet wird?
Küchli: Öffentliche Auftraggeber müssen heute strategisch, fachkundig und datenbasiert arbeiten: klare Bedarfsanalysen durchführen, Verfahren professionell strukturieren, Entscheidungen transparent dokumentieren und moderne Methoden – z.B. agiles Projektmanagement, Digitalisierung, KI – verantwortungsvoll einsetzen. So wird Vergaberecht nicht nur eingehalten, sondern wirksam und zweckorientiert angewendet.
LEADERSNET: Inwiefern beeinflussen EU-Recht, EuGH-Urteile oder internationale Vergaberichtlinien die österreichische Rechtspraxis – und wie können nationale Besonderheiten sinnvoll berücksichtigt werden?
Küchli: EU-Vorgaben setzen den rechtlichen Rahmen, aber innerhalb dieses Rahmens können nationale Besonderheiten sinnvoll berücksichtigt werden – etwa indem Verfahren an österreichische Marktstrukturen und organisatorische Abläufe angepasst werden. Ein wirksames Instrument ist etwa die Losvergabe, die kleineren regionalen Unternehmen den Zugang zu Vergabeverfahren erleichtert. Auch Kriterien, die Prioritäten wie Nachhaltigkeit, Resilienz und regionale Wertschöpfung unterstützen, können in angemessener Weise und auf den österreichischen Markt abgestimmt eingesetzt werden. So bleibt das System europarechtskonform und gleichzeitig praxistauglich für österreichische Bedürfnisse.
LEADERSNET: Wer darf mit welchen Aufgabenstellungen Ihre Expertise zum Thema Vergabeausschreibungen in Anspruch nehmen?
Küchli: Meine Expertise steht sowohl öffentlichen Auftraggebern als auch Unternehmen zur Verfügung. Öffentliche Auftraggeber unterstütze ich insbesondere dort, wo strategische und innovationsorientierte Beschaffung gefragt ist, sowie bei der rechtssicheren und effizienten Durchführung komplexer Vergabeverfahren. Unternehmen begleite ich vor allem dabei, innovative Lösungen marktfähig in Ausschreibungen einzubringen, tragfähige Angebote zu erstellen und (vergabe-)rechtliche Fragen im laufenden Verfahren zu klären. Darüber hinaus unterstütze ich beide Seiten bei der Vertragsgestaltung, der Projektumsetzung und im Rechtsschutz. Damit decke ich beide Perspektiven ab – mit einem klaren Schwerpunkt auf der Unterstützung öffentlicher Auftraggeber.
LEADERSNET: Vielen Dank!
www.partner.law
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