LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Heerdegen, "Fahnen-Gärtner" gibt es nunmehr seit 80 Jahren. Wie hat das Unternehmen gestartet und wo steht es heute?
Gerald Heerdegen: Fahnen-Gärtner wurde vom Ehepaar Arnold und Anni Gärtner gegründet. Es begann in ehemaligen Wehrmachtbaracken mit der Reparatur von alltäglichen Bekleidungsstücken. Da Herr Gärtner aus der Fahnen-Branche kam und aus Wien nach Mittersill übersiedelte, war es klar, dass sobald erste Stoffe lieferfähig waren, mit der Fahnenproduktion begonnen wurde. Über viele Jahre wurde österreichweit ein starkes Netzwerk aufgebaut, das vor allem aus der Gastronomie und Hotellerie heraus entstand, weil Fahnen-Gärtner auf fast allen österreichischen Gastronomiemessen ab 1949 als Aussteller vertreten war. Über die Jahre hat sich Fahnen-Gärtner zum Marktführer in Österreich entwickelt.
Mein Vater Volker Heerdegen ist 1976 ins Unternehmen gekommen. Herr Gärtner hat einen evangelischen Nachfolger gesucht und wurde bei meinem Vater fündig. Mein Vater ist aus dem Iran nach Mittersill gekommen. Er war dort für einen internationalen Konzern (BASF) tätig und wollte, dass meine Schwester und ich in Österreich in die Schule gehen. Deshalb war auch seine Entscheidung, nach Mittersill zu kommen. Er hat dann die Geschäftsführung übernommen und das Unternehmen in technischer Sicht revolutioniert. So wurde zum Beispiel weltweit die erste vollautomatische Siebdruckmaschine in der Fahnen-Branche 1978 in Betrieb genommen. In weiterer Folge konnten wir viele weitere technische Revolutionen einführen. Die Fahnen-Branche selbst wuchs ab den 1970er-Jahren stetig, und Fahnen sind im heutigen Bild von Städten und auch im Marketingmix nicht mehr wegzudenken.
LEADERSNET: Wenn Sie die Zeit im Unternehmen Revue passieren lassen: Was ist der bisherige Höhepunkt für Sie gewesen und wieso?
Heerdegen: Zwei Höhepunkte waren sicherlich die erste vollautomatische Siebdruckmaschine weltweit, die 1978 in Betrieb ging, und in weiterer Folge 2012 die Inbetriebnahme der weltweit ersten doppelseitigen Digitaldruckmaschine in der Fahnenindustrie.
Und einige Highlight-Projekte: von Olympia 64 Innsbruck über diverse Weltmeisterschaften in Österreich. Viele Großprojekte wurden mit Fahnen aus Mittersill beliefert. Eines der Höhepunkte aus produktionstechnischer Sicht war die Kooperation mit dem Lifeball in Wien, wo über 8000 Quadratmeter Dekostoffe für die Innendekoration und die Bühnenverkleidungen von uns produziert wurden. Ebenfalls zu erwähnen ist die EURO 2008, für die wir überdimensionale T-Shirts als Objektfahnen mit den Trikots der beiden Finalisten innerhalb kürzester Zeit fertigen konnten, die dann pünktlich in Wien aufgehängt wurden.
LEADERSNET: Gehen Sie noch immer mit Freude in die Arbeit oder bereiten Ihnen aktuelle Herausforderungen Sorgen? Wenn ja, welche und wie will Fahnen-Gärtner diesen trotzen?
Heerdegen: Die Freude an der Arbeit habe ich wiederbekommen. Die Herausforderungen der letzten fünf Jahre haben sehr an mir gezehrt und ja, ich habe mir Sorgen gemacht. Sorgen um den Standort, Sorgen um die Mitarbeiter:innen, die möglicherweise auf der Strecke bleiben und Sorgen, mit einer hohen nachhaltigen Ideologie und Werteorientierung in der heutigen Welt am Markt zu reüssieren. Die größte Herausforderung war der Ansatz der nachhaltigen österreichischen regionalen Produktion, der leider durch die Krise und auch durch die erhöhten Produktionskosten der letzten Jahre nicht mehr, beziehungsweise nicht mehr genügend am Markt unterzubringen war. Internationale Wettbewerber drängen über Händler in den Markt und in der Krise ist das Hemd näher als der Rock und somit wird an allen Ecken gespart.
Wir waren für die Idee des Green Deal und der Lieferkettengesetze vorbereitet wie kaum ein anderes Unternehmen. Preise wie der "Trigos" 2020 und der "Wikarus" 2016 sind dafür der Beweis. Die Basis dafür wurde von uns sehr früh, und zwar schon vor 15 Jahren, mit nachhaltigen Produkten gelegt, weil wir uns damit intensiv beschäftigen, um die regionale Produktion durch innovative Produkte und eine Unternehmenskultur, die auf Wertschätzung und Menschlichkeit beruht, zu halten. Am Ende hätte dieser ideologische Ansatz fast in den finanziellen Ruin geendet. Jetzt geht es darum, nach vorn zu schauen und mit neuen Produkten, den Markt, die Kund:innen zu erreichen, neuen Nutzen zu stiften und den Handel mehr zu integrieren, damit konkurrenzfähige Preise bei den Kund:innen ankommen, ohne gleichzeitig unsere hohen Werte zu verletzen, beziehungsweise diese aufrechtzuerhalten.
LEADERSNET: Wie hat sich die Herstellung von Fahnen und anderen Erzeugnissen im Laufe der acht Jahrzehnte verändert? Benutzen Sie noch heute Geräte o. Ä., die damals schon verwendet wurden?
Heerdegen: Herstellung von Fahnen ging von der reinen Handarbeit über Handdrucktische hin zum automatisierten Siebdruck und schließlich in den Digitaldruck über. Sämtliche Produktionsschritte und Vorbereitungsschritte wurden schrittweise verändert, angepasst. Von der 1-zu-1-Belichtung von Schablonen mit Maskierfilmen zur Direct Light Engraver-Technologie (DLE) bei der mittels Licht das Bild auf beziehungsweise das Druckbild auf Schablonen übertragen wird. Im Druck ging die Entwicklung vom reinen Handdruck über zu automatisierten Druckmaschinen bis zum heutigen Digitaldruck in verschiedener Art und Weise. Auch in der Konfektion kommen Nähautomaten beziehungsweise in der Stickerei Stickautomaten zum Einsatz, um beide Sachen, und zwar Qualität und Produktivität, zu gewährleisten.
Und ja, es werden heute immer noch Geräte verwendet, die schon damals verwendet wurden. Manche Maschinen vor allem in der Kunststickerei sind seit Jahrzehnten im Einsatz und bei manchen Maschinen ist es immer noch die gleiche Produktionsart nur haben sich die Maschinen einfach verbessert z. B. Nähmaschinen, die als Bild von Fußantrieb zum automatisierten Motorantrieb natürlich übergeführt werden. Oder zum Beispiel, die Zeiterfassung mit Steckkarte. Die Zeit wird heute mittels Barcode und Laser erfasst und automatisiert weiterverarbeitet. Das führt gleichzeitig dazu, dass wir einen digitalen Warenlauf abbilden und so auch die Möglichkeit haben, genau zu wissen, welcher Artikel auf welcher Ware wann produziert wird.
LEADERSNET: Wo sehen Sie das Unternehmen in 80 Jahren?
Heerdegen: Ich hoffe, dass es uns gelingt, das Unternehmen erfolgreich in die vierte Generation zu führen, um damit die Basis für weitere Generationen zu schaffen. Wir sind in der Fahnen-Branche seit 1945, also nach 80 Jahren, sicher an einem gewissen Zyklusende angekommen. Vieles verändert sich gerade. Manches davon liegt aber nicht in unserer eigenen Hand, sondern auch daran, wie sich der Markt entwickelt.
Vielleicht kann nicht mehr alles in Mittersill hergestellt werden. Es ist allerdings das Ziel, die Technologie und die handwerklichen Fähigkeiten aufrechtzuerhalten und auch weiterhin in der österreichischen und auch europäischen Fahnenindustrie als Technologie und Themenführer unseren Platz einzunehmen.
LEADERSNET: Sie haben erst kürzlich ein Buch geschrieben. Wie kam es dazu?
Heerdegen: Ja, ich habe ein Buch geschrieben, mit dem Titel "Flagge zeigen – Eine Metamorphose". Die Idee entstand aus einem Podcast gemeinsam mit dem Co-Autor Thomas W. Albrecht, der mich im Anschluss fragte, ob ich nicht Interesse hätte, ein Buch zu schreiben. Ich entschied mich sofort zu einem Ja, weil ich seit fünf Jahren schon darüber nachgedacht habe. Der Inhalt des Buches und der rote Faden: Es geht um das Thema "Flagge zeigen" genauer um Bewusstsein, bewusst und eigenverantwortlich sein Leben zu gestalten. Als Fahnenhersteller liegt der Titel "Flagge zeigen" natürlich sehr nahe. Wichtig war mir, die Verbindung zu bringen, wie man als Mensch, als Unternehmer in unserem Alltag, jeder einzelne für sich persönlich und in der Gesellschaft Flagge zeigt, denn jede:r kann mit seinen Produkten Flagge zeigen!
Die Fahne hat sich in unserem deutschen Sprachgebrauch auch sehr verfestigt und wird in verschiedensten Sprüchen verwendet, wie zum Beispiel "das Ende der Fahnenstange" oder "man hat sich etwas auf seine Fahnen geschrieben". Im Grunde geht es darum, dass die Botschaften, die auf Fahnen geschrieben sind, die Botschaften des Unternehmens sind, die sie in die Welt tragen. Und genauso können wir als Mensch unsere Werte nach außen tragen, indem wir Haltung zeigen und mit dieser Haltung Flagge zeigen in unserem Leben und unsere Werte wieder verstärkt leben. Es geht um ein neues Miteinander. Es geht darum, dass jede:r einzelne Mensch einen Unterschied ausmachen kann, indem er erkennt, dass er:sie zum:r Gestalter:in seines:ihres eigenen Lebens werden kann und sich nicht als Opfer der Umstände sieht. Dazu will ich anregen, das ist der Hintergrund des Buches und ich habe es mit viel Freude und sehr viel Herzblut gemeinsam mit Thomas W. Albrecht realisiert.
LEADERSNET: An wen ist das Buch also gerichtet?
Heerdegen: Das Buch ist an alle gerichtet, die Flagge zeigen wollen. Ich glaube, es ist einfach an der Zeit, dass wir in einen neuen Dialog treten. Darum geht es mir auch, Dinge anzusprechen, über die sich manche nicht mehr trauen zu reden. Die letzten fünf Jahre haben uns sehr in eine Spaltung der Gesellschaft geführt und ich hoffe, dass ich nicht zu einer Diskussion anrege, denn in Diskussionen will jeder seine Meinung durchsetzen. Es wird also in meinen Augen zu viel diskutiert. Ich will zu einem Dialog anregen, um zu erkennen, dass jeder Standpunkt, jede Meinung wertvoll ist. Man muss erkennen, aus welcher Sichtweise das Gegenüber argumentiert und deshalb der Dialog und das Einnehmen anderer Standpunkte so wichtig. Da geht es darum, dass man sich darauf einlässt und gemeinsam Lösungen schafft oder einfach beginnt, die andere Meinung zu akzeptieren. Jeder Mensch ist einzigartig. Es geht auch um Freiheit, wobei Freiheit natürlich dort endet, wo die Freiheit des:r anderen beginnt. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns als Gemeinschaft neu ausrichten, das Ego etwas zurückzudrängen und dadurch Boden und Basis für ein neues Miteinander schaffen.
LEADERSNET: Und zu guter Letzt: Sind Sie nun auf den Geschmack gekommen und werden noch weitere Bücher publizieren?
Heerdegen: Im Nachwort zu meinem Buch ist im Grunde schon die Möglichkeit integriert, dass die Geschichte weitererzählt wird, denn ich schreibe ja von einer Metamorphose. Es ist meine eigene Metamorphose, die ich in meinem Leben durch viele Erkenntnisse erzielt habe. Die vielen Krisen haben mich gestärkt. Und ja, der Weg zu einem neuen Miteinander, zu einem friedvollen "Flagge zeigen" auf dieser Welt soll weitergehen, denn jeder Mensch kann jederzeit an jedem Ort durch friedliche Gedanken und durch seine Art und Weise und des Annehmens des Gegenübers Flagge für den Frieden zeigen. Wir gehören alle der Menschheitsfamilie an.
LEADERSNET: Vielen Dank!
www.fahnen-gaertner.com
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