Geneigte Leser:innen, haben Sie auch das Gefühl, dass in letzter Zeit wieder vermehrt über die Zukunft gesprochen wird? Doch so vorwärtsgerichtet das klingen mag, mir kommt oft vor, dass dieses Reden über die Zukunft vielmehr eine Flucht vor der Unzufriedenheit mit der Gegenwart ist...
Anfang Oktober war ich beim "Zukunftsforum Ramsau", welches unter dem Motto "Come Back Stronger" stand. Eine inspirierende Veranstaltung, keine Frage. Und doch stellte sich mir beim Zuhören die Frage: Wollen wir tatsächlich in die Zukunft aufbrechen, oder möchten wir einfach nur in eine idealisierte Vergangenheit zurückkehren, die es so vielleicht nie gab? Denn schon der Titel Come Back Stronger suggeriert, dass in der Vergangenheit eh alles gut war und wir nur zu diesem Zustand zurückfinden müssten, nur stärker, besser oder robuster.
Zukunft ist kein Zustand, sondern eine Vorstellung
Lassen Sie uns wie gewohnt einen Schritt zurück und den Dingen auf den Grund gehen: Was ist Zukunft eigentlich? Kurz gesagt: die Zeit, die noch kommt, die auf die Gegenwart folgt und hinter der die Vergangenheit liegt. So banal das klingt, so komplex ist es. Zukunft ist kein Zustand, sondern eine Vorstellung. Sie entsteht aus unseren Hoffnungen, Ängsten, Erinnerungen und aus der Art, wie wir die Gegenwart bewerten.
Ein Blick zurück zeigt, dass die Zukunft früher anders gedacht wurde. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war sie Synonym für Fortschritt, Entdeckung und technische Neugier. Filme wie Star Trek, Star Wars oder Zurück in die Zukunft waren Ausdruck einer optimistischen Haltung. Man blickte in die Zukunft, um das Gute der Gegenwart fortzuentwickeln. Man glaubte an Innovation, Forschung, an bessere Lebensbedingungen, und zwar nicht als Gegenentwurf, sondern als logische Weiterentwicklung.
Fundierte Analyse der Gegenwart
Und erstaunlicherweise wurden viele dieser "fantastischen Spinnereien" Realität: Die "Kommunikatoren" aus Raumschiff Enterprise wurden zu unseren heutigen Smartphones, Computer sprechen mit uns, und künstliche Intelligenz ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern tägliche Praxis. Diese technologische Zukunftsbegeisterung fußte auf einem Grundgefühl der Zuversicht.
Heute jedoch wird über Zukunft meist ganz anders gesprochen, sie ist zum Reparaturprojekt geworden, nicht mehr zur Entdeckungsreise. Wir planen die Zukunft aus einer Haltung des Mangels, nicht der Stärke, und so wird sie oft als Zufluchtsort missverstanden – ein imaginärer Raum, in dem es irgendwann "wieder besser" sein wird.
Was fehlt, ist die fundierte Analyse der Gegenwart. Wer die Zukunft gestalten will, muss zunächst wissen, wo er steht. Das klingt banal, ist aber entscheidend. Wenn wir die Realität beschönigen oder nur halbherzig betrachten, bleibt die Zukunft ein Wunschbild. Viele politische und wirtschaftliche "Zukunftspläne" scheitern genau daran: Sie beginnen mit einer Vision, ohne vorher eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Stattdessen werden alte Konzepte aufgewärmt, neue Schlagworte erfunden und ideologische Pflöcke eingeschlagen – in der Hoffnung, dass sich der Rest schon fügt.
Analyse, Ehrlichkeit und Struktur
Mein Ansatz bzw. Vorschlag zur Lösung wäre, dass Zukunft nicht das Produkt von Ideologien sein darf, sondern das Ergebnis von Analyse, Ehrlichkeit und Struktur sein muss. Vielleicht sollten wir uns – bildlich gesprochen – auf ein unbebautes Feld stellen und uns fragen: Wie sähe unsere ideale wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Zukunft aus? Und dann Punkt für Punkt prüfen: Warum sind wir noch nicht dort? Was hat uns bisher gehindert? Erst wenn wir diese "Subtraktion" durchgeführt haben, können wir die Schritte identifizieren, die uns tatsächlich dorthin führen.
Ja, das klingt theoretisch. Aber ohne diese Denkarbeit bleiben Zukunftsstrategien Flickwerk. Wir brauchen eine Gesamtanalyse und einen Gesamtzukunftsplan, mit klaren Zielen, realistischen Zeitachsen und Prioritäten. Nur so lässt sich aus der Summe vieler Einzelmaßnahmen ein Zukunftsbild formen, das tragfähig ist.
Perspektive, Mut und Geduld
Derzeit sehen wir (nicht nur) in Österreich eher das Gegenteil. Es wird an Einzelproblemen gearbeitet, meist unter Zeitdruck und mit Blick auf den nächsten Wahltermin. Doch Zukunft braucht Perspektive, kein Stückwerk. Sie braucht Mut, das große Ganze zu denken – und dann die Geduld, es konsequent umzusetzen.
Insofern hat man es als Unternehmen vielleicht sogar ein Stück einfacher, weil der Planungs- oder Denkhorizont nicht auf Legislaturperioden ausgelegt ist, sondern langfristiger. Zukunftsdenken aus unternehmerischer Sicht bedeutet daher für uns, regelmäßig zu analysieren, wo wir stehen, klare Ziele zu definieren und zu prüfen, ob unser Handeln uns tatsächlich dorthin führt, wo wir hinwollen. Dazu gehört auch der Anspruch, die Rahmenbedingungen aktiv mitzugestalten. Andernfalls bleibt Zukunft nur Wunschdenken und wir Passagier:innen – ein Szenario, das in meinen Ohren nicht besonders verlockend klingt, also lassen Sie uns vom Beifahrersitz aufstehen und das Steuer selbst in die Hand nehmen.
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