LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das nachhaltige Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in all ihren Facetten von Environment über Social bis Governance, von Innovationen über Generationendiskurs bis zu Nachfolgethemen.
Nachdem es beim vergangenen Mal um Arbeiten mit Sand gegangen war, dreht sich dieses Mal alles um Afterwork am Bauernhof, die Stadtpflanzen mit auf Landpartie nimmt. Damit Landwirt:innen und Konsument:innen einander wieder besser verstehen. Damit wir wissen, wo die Wurzeln unseres Essens liegen. Und damit wirklich allen klar ist, woraus Heumilch gemacht wird.
Text: Julia Kropik
Es ist neun Uhr morgens, also keine Rede von Afterwork, als wir auf dem Hof von Biobauer Andreas Maurer inmitten von Schweinen, Ziegen und Hühnern stehen – mitten in Floridsdorf. Während Meister Eber, der Zuchteber vom Stadtbauernhof, gemächlich über die Wiese trottet, diskutieren Andreas und Kornelia Zipper, wie es aktuell um die Landwirtschaft steht: Es geht um leistbare Biolebensmittel, Fleischimporte, Tiertransporte und Vollspaltenböden. Viel Potenzial für Diskussion also, und viel Potenzial für Missverständnisse und gefährliches Halbwissen. Genau das möchten Kornelia und engagierte Landwirte wie Andreas ändern. Die beiden kennen sich von den Landpartien, die Kornelia regelmäßig mit einem Reisebus voll Interessierten auf Andreas’ Hof führen.
Denken junge Leute heutzutage wirklich, Heumilch sei aus Heu gemacht?
Ob diese Meldung, die vor einiger Zeit durch die Medien geisterte, stimmt oder nicht – Afterwork am Bauernhof wurde ins Leben gerufen, um Stadtmenschen aufs Land zu bringen. Um den Dialog zu fördern und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. "Wir möchten mit den Landpartien eine Verbindung zwischen den Konsument:innen und den Bäuer:innen schaffen. Frei heraus darf alles gefragt werden – auch unangenehme Fragen sind erlaubt", sagt Kornelia. Und so erfährt man hier auch, wie die Heumilch zu ihrem Namen kommt: Die Kühe werden nicht mit Silage, sondern ausschließlich mit Heu, frischem Gras und Getreide gefüttert. Ihre Milch gilt als besonders hochwertig.
Wie viele Stunden hat der Tag des Landwirts?
"Wenn ich mit eigenen Augen sehe, welches Engagement hinter der Arbeit auf den Höfen steckt und was landwirtschaftliche Familienbetriebe leisten – spätestens dann werde ich als Konsument:in wieder vermehrt Produkte aus Österreich kaufen", ist Kornelia überzeugt.
Die sind in Österreich meist teurer als importierte Waren, und das hat einen guten Grund: Die Tiere zahlen nicht drauf. Zumindest ergeht es ihnen besser als in vielen anderen Ländern der EU. "Die Tierhaltungsstandards sind in Österreich um vieles höher als im Rest der EU. Da ist es nur logisch, dass Produkte bei uns teurer sind", sagt Kornelia. Auch Gemüse hat seinen Preis. Ein Beispiel, das gerade Saison hat: Eine Landpartie führt zu einem Spargelbauern, bei dem selbst Spargel gestochen werden darf. Bei der mühseligen Arbeit geht so manchem auf: Der Spargel müsste ja noch viel teurer sein.
Kornelia Zipper vom Österreichischen Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung bringt Stadtmenschen aufs Land, zum Beispiel zum Biohof von Andreas Maurer © Lukas Illgner
Offene Hof- und Stalltüren
Mit Afterwork am Bauernhof geht es zu Biolandwirt:innen ebenso wie zu konventionell betriebenen Höfen. Darum, ein Werbe-Idyll zu zeigen, geht es nicht. Schließlich wirtschaftet ein Viertel der insgesamt 110.000 landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich biologisch, der Rest konventionell. "Landwirtschaft in Österreich besteht nicht aus sprechenden Schweinchen oder überfüllten Ställen – die Realität liegt dazwischen. Also zeigen wir die ganze Bandbreite: Biobetriebe, konventionelle Landwirtschaft, Höfe mit und ohne Tierhaltung. Die glücklichen Freilandhühner auf der Wiese genauso wie den konventionellen Legehennenbetrieb", sagt Kornelia. Bei den Landpartien wird kritischen Teilnehmer:innen oft klar, dass auch konventionelle Bäuer:innen ihre Tiere sehr gut halten können. "Es steht und fällt mit den Menschen. Wie betreiben sie ihr Unternehmen? Sie müssen wirtschaften und von ihrer Arbeit leben können."
Intelligentes Lebewesen – und oft auch Nahrungsmittel. Die Tiere und ihre Haltung sind das, was die Menschen bei den Landpartien am meisten bewegt. © Lukas Illgner
Was bio alles kann
Andreas Maurer öffnet seine Hoftüren nicht nur für Kornelias Landpartien, mindestens dreimal pro Woche kommen auch noch Schulklassen auf den Hof. "Natürlich sind all diese Besuche ein zusätzlicher Aufwand für uns. Aber es ist mir wichtig, dass es mehr Verständnis für die Landwirtschaft gibt und die Menschen den Unterschied zwischen bio und konventionell kennen. Wir wollen zeigen, was bio alles kann", sagt Andreas. Was Kinder wie Erwachsene am meisten interessiert? "Definitiv die Tierhaltung. Unsere Ferkel sind ein Magnet."
Stadtmenschen aufs Land bringen
Bald steht die 100. Landpartie an. Begonnen hat alles 2016, im Büro des Österreichischen Kuratoriums für Landtechnik und Landentwicklung, und zwar mitten in Wien, hinter der Karlskirche. "Wir dachten: Die Stadtmenschen sind so weit weg von der Landwirtschaft. Also müssen wir sie eben aufs Land bringen", sagt Kornelia. Dank einer Förderung durch EU, Bund und Länder über das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft ging es 2018 zur ersten Landpartie. Die Coronapandemie hat die Landpartien dann so richtig in Schwung gebracht. Die Themen Selbstversorgung, Landwirtschaft, Lieferketten, Eigenproduktion waren plötzlich wichtig.
© Lukas Ilgner
"Die Menschen haben damals umgedacht. Leider sind die Wertigkeiten heute wieder andere. Die Bäuer:innen spüren das. Viele von ihnen haben während der Pandemie die Produktion gesteigert, Hofläden eingerichtet – aber die Nachfrage ist nach Corona wieder gesunken", sagt Kornelia. Dafür verleiht der Klimawandel den Landpartien mittlerweile Aufschwung. "Es sind keine erfreulichen Themen, die unsere Ausflüge zu den Höfen so relevant machen, aber für das gesellschaftliche Interesse an der Herkunft unserer Lebensmittel haben sie etwas Gutes."
Landwirtschaft im Wandel
Die Herausforderungen, vor denen die Landwirt:innen heute stehen, haben sich seit der ersten Landpartie massiv verändert, findet Kornelia: "Täglich schließen sieben bis zehn Betriebe in Österreich.
»Landwirtschaft in Österreich besteht nicht aus sprechenden Schweinchen oder überfüllten Ställen – die Realität liegt dazwischen.« Kornelia Zipper Österreichisches Kuratorium für Landtechnik
Oft ist die Hofnachfolge das Problem, aber auch der steigende Preisdruck, immer mehr bürokratische Anforderungen und strengere Richtlinien. Die Landwirt:innen müssen Instanzen wie etwa der staatlich autorisierten Biokontrollstelle oder der AMA viele Informationen offenlegen. Das ist aufwendig, aber gut für die Konsument:innen."
Weinviertler Erdnüsse
Nur ein Drittel aller Bäuer:innen in Österreich betreibt Landwirtschaft im Haupterwerb, kann also davon leben. Für sie ist es umso wichtiger, sich breit aufzustellen und neue Wege zu gehen. Und schließlich ist es auch der Klimawandel, der die Landpartien zu jenen Bäuer:innen führt, die etwas Neues ausprobieren: Oliven- und Safrananbau im Burgenland, Reis vor den Toren Wiens und immer häufiger auch Soja. Oder der typische Weinviertler Betrieb, in dem Mais, Zuckerrüben, Ölkürbis und Wein angebaut werden – wäre da nicht die Erdnuss. Die Brüder Stefan und Roman Romstorfer haben sie nach Raggendorf geholt. Die Nuss kommt mit der zunehmenden Trockenheit gut zurecht und kann auch Hitze gut aushalten.
Therapeutische Schweine
Aber auch Green Care kann ein wichtiges Standbein für die Landwirt:innen sein. Bei dem Projekt im Rahmen des österreichischen Programms für ländliche Entwicklung geht es um pädagogische, therapeutische und soziale Angebote auf dem Bauernhof. Eine beliebte Landpartie führt etwa zum Dreier-Hof von Eva Hieret in Maria Anzbach. Die Landwirtin bietet tiergestützte Intervention für Kinder und Erwachsene an. Nicht nur Therapiepferde werden im Rahmen der Hippotherapie eingesetzt, auch speziell geschulte Schafe, Schweine und Hühner können sehr gut mit Menschen interagieren.
Gläserne Ställe
Hätten Andreas und Kornelia ein paar Wünsche an Politik und Gesellschaft frei, würden sie sich verpflichtende Haltungs- und Herkunftsbezeichnungen auf Fleisch wünschen. Und dass nur solche tierischen Produkte importiert werden, die den österreichischen Tierwohlstandards entsprechen. "Und gläserne Ställe", sagt Andreas zum Abschied, "die würden uns Bioäuer:innen wirklich weiterhelfen." –
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im nachhaltigen Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe, die am Kiosk oder auch online erhältlich ist.
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