Interview mit Günter Thumser
"Niemand legt absichtlich Preise fest, die Konsumenten abschrecken"

| Wolfgang Zechner 
| 29.07.2025

Die Debatte um territoriale Lieferbeschränkungen im EU-Binnenmarkt spitzt sich zu: Handelsverband und Gewerkschaft GPA fordern deren Verbot. Günter Thumser, Geschäftsführer des Markenartikelverbands, sieht das kritisch. Im LEADERSNET-Interview spricht er u. a. über die Gefahr eines Verbots, Marktvielfalt und faire Preise. 

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Thumser, Sie betonen die Unterstützung Ihres Verbands für den EU-Binnenmarkt. Trotzdem lehnen Sie ein Verbot territorialer Lieferbeschränkungen ab. Warum?

Günter Thumser: Wir bekennen uns zum Binnenmarkt und seinen Freiheiten – genauso wie zu den Unterschieden innerhalb der EU. Die aktuelle Diskussion über territoriale Lieferbeschränkungen greift aber viel zu kurz: Was hier gefordert wird, ist ein pauschales Verbot jeglicher Differenzierung zwischen Märkten – sei es bei Preis, Verpackung, Kennzeichnung oder Sortimentsgestaltung. Das widerspricht dem Prinzip der freien Marktwirtschaft, das auf Leistung und Gegenleistung beruht.

LEADERSNET: Was genau meinen Sie damit?

Thumser: Preise entstehen in Verhandlungen und hängen vom Leistungsprofil beider Seiten ab, also vom Hersteller und vom Handel. Das betrifft unter anderem Vertriebskosten, Kommunikationsaufwand oder Logistik. Wenn wir nun sagen: Jeder darf überall zum billigsten Preis einkaufen – ohne Rücksicht auf Marktbedingungen –, dann hebeln wir dieses Prinzip aus. Und wir gefährden damit jene Unternehmen, die hierzulande unter höheren Sozialstandards und Produktionskosten arbeiten.

LEADERSNET: Sie sprechen von volkswirtschaftlichen Schäden – wie würden diese konkret aussehen?

Thumser: Die Eigenversorgung kleinerer, hoch entwickelter Märkte wie Österreich wäre massiv gefährdet. Es geht nicht nur um internationale Konzerne, sondern auch um heimische Produzenten, die in Wertschöpfungsketten eingebettet sind – von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis zum Handel. Wenn dann billigere Ware aus Ländern mit völlig anderen Kostenstrukturen den Markt flutet, verliert man hierzulande Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und am Ende auch die Versorgungssicherheit.

LEADERSNET: Aber appelliert der Handel nicht selbst ständig an Regionalität und österreichische Herkunft?

Thumser: Das ist ein schöner Anspruch, ja. Aber sehen Sie sich bitte die Regale in unseren Supermärkten an – besonders im Obst- und Gemüsebereich. Da finden sich auch mitten in der heimischen Erntesaison zahlreiche Produkte aus dem Ausland. Der Unterschied zwischen Werbung und Realität ist da oft beträchtlich.

LEADERSNET: Handelsverband und Gewerkschaft argumentieren, dass Lieferbeschränkungen Konsument:innen jährlich Milliarden kosten. Was sagen Sie dazu?

Thumser: Diese Zahl basiert auf einer veralteten und mehrfach falsifizierten Studie. Sie hat keinen wissenschaftlich belastbaren Boden, wird aber leider immer wieder zitiert, um Emotionen zu schüren. Das ist Polemik, keine seriöse Argumentation.

LEADERSNET: Was halten Sie überhaupt von dieser Allianz zwischen Handelsverband und Gewerkschaft?

Thumser: Originell. Immerhin wirft die GPA dem Handel sonst regelmäßig vor, Konsument:innen schlecht zu behandeln oder Preise zu hoch anzusetzen. Jetzt zieht man plötzlich an einem Strang. Das wirkt auf mich opportunistisch.

LEADERSNET: Tragen Markenhersteller überhaupt Verantwortung für höhere Preise in Österreich?

Thumser: Wir alle tragen Verantwortung für Preisbildung. Aber kein Hersteller produziert Ware, um sie nicht zu verkaufen. Niemand legt absichtlich Preise fest, die Konsument:innen abschrecken. Was wir aber einfordern, ist ein fairer Preis. Einer, der ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt.

LEADERSNET: Sie sehen auch die Gefahr einer weiteren Marktverzerrung zugunsten großer Handelskonzerne. Wie meinen Sie das?

Thumser: Ein pauschales Einkaufsrecht zum billigsten Preis nützt vor allem großen, internationalen Händlern, die über die nötige Infrastruktur verfügen. Kleine und mittlere Händler verlieren dagegen. Dass es auch bei Handels-Eigenmarken grenzüberschreitende Preisunterschiede gibt, zeigt zudem, dass die Ursachen oft tiefer liegen – etwa in nationalen Kostenstrukturen, Steuern oder Löhnen.

LEADERSNET: Welche rechtlichen Mittel wären aus Ihrer Sicht geeignet, um unfaire Praktiken zu verhindern – ohne funktionierende Systeme zu gefährden?

Thumser: Die gibt es bereits. Das europäische Wettbewerbsrecht verfügt über eine breite Palette an Instrumenten, um Missbrauch und Diskriminierung zu sanktionieren. Man müsste diese nur konsequent anwenden, anstatt neue Regeln einzuführen, die bestehende Differenzierungen über einen Kamm scheren.

LEADERSNET: Wie realistisch ist es, dass ein EU-weites Verbot territorialer Lieferbeschränkungen tatsächlich kommt?

Thumser: Die Gefahr besteht durchaus. In Brüssel dominiert zunehmend die Vorstellung, dass Konsumentenrechte alles andere überstrahlen – egal, was das langfristig bedeutet. Wir appellieren an mehr Weitblick: kurzfristige Preissenkungen mögen populär sein, aber mittel- und langfristig zerstören sie Marktstrukturen, die auf Qualität, Herkunft und sozialen Standards basieren.

LEADERSNET: Geht es am Ende nicht einfach um das klassische Ringen: Der Handel will billig einkaufen, die Industrie möglichst teuer verkaufen?

Thumser: Natürlich geht es um Preisverhandlungen. Das ist das Wesen jeder Geschäftsbeziehung. Aber es geht eben auch um die Ware selbst: um Herkunft, Qualität, Standards. Während der Corona-Krise haben wir kurzzeitig erlebt, wie wichtig regionale Versorgung und Verfügbarkeit sind. Jetzt scheint der Preis wieder das Einzige zu sein, was zählt. Ich glaube aber nach wie vor an die Urteilskraft der Konsument:innen.

LEADERSNETVielen Dank!

www.mav.at

Ich empfehle https://www.bwb.gv.at/fileadmin/user_upload/BU-LM_final_original1_inh_NEU2.pdf ab Seite 218 / Kapitel 7.4.1. um die Aussagen dieses Lobbyisten einordnen zu können...
So, So. Die wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme zum Schaden der Konsumenten und für die Profite multinationaler Unternehmen (Heineken, Mondelez, Nestle, Unilvever, Henkel etc) sollen also bleiben. Das ist klar gegen die 4 Gundfreiheiten der EU. Hier wäre ein EU-weites Trustbusting gegen die teilweise unerträgliche Preissetzungsmacht (es wird ein interessantes Opfernarrativ gepusht) von sehr profitablen multinationalen Konzernen wünschenswert, die österreichische BWB ist leider alleine machtlos. Das österreichische Körberlgeld aufgeteilt zwischen einem sehr konzentrierten Handel und diesen Unternehmen gehört untersucht und abgeschafft, inklusive der gegenseitigen Behauptungen, die andere Seite ist dafür verantwortlich.

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