Viele meiner geneigten Leser:innen sind womöglich schon unterwegs in den wohlverdienten Urlaub oder befinden sich bereits in der Erholung. Auch ich verabschiede mich mit diesem Gastkommentar in eine kleine Sommerpause. Doch bevor es so weit ist, möchte ich Ihnen – anders als sonst – keine detaillierten Analysen oder politischen Bewertungen mitgeben, sondern ein paar Gedankenanstöße, oder neudeutsch: Food for Thought.
Österreichs Vizekanzler Andi Babler (SPÖ) hat der aktuellen Bundesregierung kürzlich ein "Gut" und im Verhalten sogar ein "Ausgezeichnet" attestiert. Tatsächlich kann man der Koalition zugutehalten, dass sie bisher (verglichen mit früheren Regierungen) harmonischer und ruhiger zusammenarbeitet. Das allein ist aber keine Leistung, an der man den Zustand des Landes messen sollte. Denn: Österreich steckt in einer tiefgreifenden wirtschaftlichen und strukturellen Krise. Und mit politischen Kleinigkeiten wird man aus dieser Abwärtsspirale kaum herausfinden.
Deshalb einige Themen und damit verbundene Fragen, die vielleicht im Urlaub in ruhigen Momenten nachhallen dürfen. Manche davon mögen Ihnen aus vergangenen Gastkommentaren bekannt vorkommen.
Bürokratieabbau?
Was wurde eigentlich aus dem versprochenen Bürokratieabbau? Stolz verkündet die Regierung, 53 neue Gesetze beschlossen zu haben. Aber wie viele wurden abgeschafft? Keine. Gibt es für die neuen Regelwerke wenigstens zeitliche Befristungen (Sunset Clause)? Und was genau macht eigentlich der eigens eingerichtete Entbürokratisierungs-Staatssekretär? Wo sind die großen Entbürokratisierungsschritte?
Wo bleibt das echte Umdenken?
Warum gelingt es Österreich nicht, mit Rekordsteuereinnahmen seine Schulden zu senken? 2023 nahm Österreich rund neun Milliarden Euro mehr ein als geplant und liegt EU-weit auf Platz zwei bei den Steuereinnahmen gemessen am BIP. Und trotzdem bleibt der Schuldenberg bestehen. Das sogenannte "Sparpaket" basiert zu einem Drittel auf neuen Steuern – und trotzdem reicht es nicht. Nächstes Jahr soll noch mehr "gespart" werden, doch so wird Österreich auf keinen grünen Zweig kommen. Wo bleibt das echte Umdenken?
Österreich hat ein Ausgabenproblem. Beinahe jeder zweite Euro im Bundeshaushalt fließt in Pensionen und Sozialleistungen. Wo aber sind die echten Reformen? Warum fehlt der Mut, das Pensionsantrittsalter zu erhöhen – eine Maßnahme, die in vielen vergleichbaren Ländern längst gesetzt wurde und die eigentlich jedem:r klar ist, der nur halbwegs rechnen kann, dass dies kommen muss.
Wirtschaftsstandort Österreich verliert an Attraktivität
Der Wirtschaftsstandort Österreich verliert an Attraktivität. Die Produktivität ist miserabel, die Lohnstückkosten steigen. In Italien produziert man heute bereits um ein Drittel günstiger. Gleichzeitig sind die Löhne in Österreich in den letzten drei Jahren um 28 Prozent gestiegen – maßgeblich angetrieben durch Anhebungen im öffentlichen Dienst. Das befeuert die Inflation zusätzlich. Wann endlich diskutieren wir offen über Nulllohnrunden im Staatsdienst und in der Wirtschaft? Leistung muss sich wieder lohnen, aber hohe Steuern und Lohnnebenkosten lassen das Netto vom Brutto zu einem Aberwitz verkommen. Teilzeitarbeit ist für viele zu attraktiv geworden – doch ein Land, das sich zur Hälfte im Teilzeitmodus befindet, wird wirtschaftlich nicht bestehen. Wir brauchen mehr Anreize für Vollzeitarbeit und weniger falsche Rücksichtnahme.
Energiekosten: Wann wird es wieder planbar? Mit den aktuellen Energiepreisen schließt sich Österreich selbst aus dem europäischen, ja globalen Wettbewerb aus. Die Unternehmen können nicht mehr mithalten – weder im Preis noch in der Planbarkeit.
Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist kein Tabu, sondern Notwendigkeit. Die Babyboomer-Generation geht in Pension, der Fachkräftemangel verschärft sich. Wir brauchen gezielte, qualifizierte Arbeitsmigration – und zwar jetzt.
Alle reden von Wachstum, aber wer handelt danach? Wachstum ist momentan nicht mehr als eine politische Floskel. Doch die Voraussetzungen dafür – Entlastung, Deregulierung, Arbeitskräftesicherung – werden schlicht nicht geschaffen.
Offene Debatte über die Rolle des Landes
Und was ist mit der Neutralität? Österreich fährt in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin im Trittbrett-Modus. Es braucht endlich eine offene Debatte über die Rolle des Landes, auch in sicherheitspolitischer Hinsicht. Dazu gehört auch eine neue Diskussion über Dienstpflicht, Engagement für das Gemeinwesen und ein Verständnis von Verantwortung, das über Eigeninteresse hinausgeht.
All diese Fragen – und es gäbe noch viele mehr – zeigen: Das aktuelle politische Handeln beschränkt sich zu oft auf Symptombehandlung. Die großen Reformen bleiben aus. Und das häufig mit dem Argument, man wolle den sozialen Zusammenhalt nicht gefährden. Doch genau dieses Denken führt uns in die Sackgasse.
Klarheit, Ehrlichkeit und Mut zur Veränderung
Man hat die Menschen in den letzten Jahren mit staatlichen Wohltaten überhäuft – der Demokratieindex ist dennoch gefallen. Die politische Mitte bröckelt, extreme Parteien gewinnen. Es wäre naiv zu glauben, mit weiteren sozialen Geschenken lasse sich dieser Trend stoppen. Wir brauchen Klarheit, Ehrlichkeit – und den Mut zur Veränderung.
Und wieder passt der von mir so gern zitierte John F. Kennedy: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt." Vielleicht lohnt es sich, diesen Satz in die neue Zeit zu holen.
Ich weiß: Das alles ist keine sommerlich-leichte Kost und schon gar kein klassischer Urlaubslektüretipp. Aber vielleicht finden Sie ein paar ruhige Minuten in Ihrer Auszeit, um über die angesprochenen Themen nachzudenken. Erholen Sie sich gut – und kehren Sie mit neuen Gedanken und Impulsen zurück, wir werden sie brauchen. Und sollten Sie nach dem Urlaub den nächsten Gastkommentar kaum noch erwarten können, der nächste kommt am 18. August.
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