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Nachdem es beim vergangenen Mal um die Ernährung der Zukunft gegangen war, geht es dieses Mal darum, wie viele Erwerbstätige trotz Krebsdiagnose weiterarbeiten. Denn wie gut sich Krankheit und Beruf vereinbaren lassen, hängt auch von den Arbeitgeber:innen und den Diversity-Skills ab.
Text Karin Pollack
Es reißt einem den Boden unter den Füßen weg. "Wenn du hörst, du hast Krebs, dann denkst du, du bist eigentlich schon so gut wie tot", erinnert sich Franz Braunsberger an das Arztgespräch im Juli 2019 im Wiener AKH, als ihm ein Arzt nach einer Reihe von Untersuchungen eröffnete, dass er einen Gehirntumor hat. Für den Geschäftsführer des großen österreichischen Logistikunternehmens Kühne und Nagel, der damals gerade wichtige Verhandlungen führte, Stress im Büro hatte und dort unabkömmlich war, stürzte erst einmal eine Welt zusammen. Er wird ausfallen. Was wird alles auf ihn zukommen? Wen soll er in der Firma mit einer so belastenden Nachricht ins Vertrauen ziehen? Wie lange wird er noch leben?
So wie Franz Braunsberger geht es vielen Menschen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ist ziemlich hoch. Mehr als zwei von fünf Frauen und jeder zweite Mann erkranken im Laufe ihres Lebens an Krebs, so die Schätzungen des Zentrums für Krebsregisterdaten in Deutschland. Laut der International Agency for Research for Cancer belief sich die Zahl der Menschen mit Krebsneuerkrankungen im Jahr 2020 weltweit auf rund 19,3 Millionen. Und: Die Menschen werden bei der Erstdiagnose immer jünger. Daten der Studie "Global Burden of Disease" zeigen, dass die Zahl jener, die diese Diagnose zwischen dem 14. und 49. Lebensjahr erhalten und voll im Beruf stehen, immer größer wird. Im Jahr 2019 waren das in den westlichen Industrieländern 3,26 Millionen Menschen unter 50 Jahren, im Vergleich zu 1990 ist das ein Anstieg von 79 Prozent.
19,3 Millionen Menschen erkrankten 2020 weltweit an Krebs.
Die gute Nachricht: Durch den medizinischen Fortschritt können immer mehr onkologische Erkrankungen geheilt oder durch Medikamente in chronische Erkrankungen umgewandelt werden. Doch in jedem Fall ist die erste Behandlungsphase für so gut wie alle Patient:innen hart. Zuerst müssen Tumore operativ entfernt oder bestrahlt werden, gefolgt von einer über Wochen oder Monate dauernden anstrengenden Chemotherapie. Das heißt: alle paar Wochen für Infusionen ins Krankenhaus, die Haare fallen aus, ein Infekt mit Husten kann lebensgefährlich sein. Läuft alles nach Plan, dann verschwinden durch diese Tortur auch die Krebszellen aus dem Körper. Und genau das ist das Ziel der Therapie.
Zurück in den Job
"Die meisten Krebskranken, die zu uns in die Beratung kommen, haben die erste Phase der Behandlung hinter sich", sagt Monika Hartl von der Österreichischen Krebshilfe. Patentrezepte zum Umgang mit der Erkrankung gäbe es keine, "das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich", sagt sie. Doch viele wollen zurück in den Beruf. In jedem Fall ist es wichtig, gut informiert zu sein. Die Krebshilfe hat in der Broschüre "Krebs und Beruf" wichtige Fragen und Antworten gesammelt. Wie etwa: Will und muss ich den Arbeitgeber informieren? Muss ich mit der Krankenkasse Kontakt aufnehmen? Kann ich trotz Erkrankung arbeiten? Geht Teilzeit? Homeoffice? Was ist mit dem Kündigungsschutz? Muss ich dann mit viel weniger Geld auskommen? Wo kann ich Unterstützung erhalten?
"Ich war total überfordert", sagt Franz Braunsberger im Rückblick auf diese erste Phase der Erkrankung – sowohl was die Krankheit selbst wie auch den Umgang mit ihr betrifft. Wen soll er in Kenntnis setzen? Wie reagieren wohl die Kolleg:innen? "Wir stehen voll hinter dir und organisieren in der Abwesenheit alles, was notwendig ist", war ein wichtiger Satz seiner Kolleg:innen, denen er von seiner Krankheit erzählt hatte, erinnert er sich.

Durchkämpfen. Krank sein bedeutet immer auch einen organisatorischen Aufwand. Einreichungen bei der Krankenkasse, Anträge auf Hilfsmittel, Organisation des Alltags. Obwohl die Krankheit schwächt, ist viel Energie für Bürokratie notwendig © www.worldcancerday.org (CC)
Krank sein, weiß Braunsberger heute, ist auch ein ständiger organisatorischer Aufwand. "Einreichungen bei der Kranken- oder Pensionskasse, Antrag auf Hilfsmittel, der Steuerausgleich – ich und viele andere bräuchten dabei Unterstützung, vor allem, weil man in diesen Phasen ja auch extrem geschwächt ist", sagt Braunsberger, der sich gerade in puncto bürokratische Hürden vor allem auch in seiner Rolle als Unternehmer in der Krebshilfe engagieren will. "Unternehmen Leben" heißt ein von der Krebshilfe-Mitarbeiterin Gabriele Schubert-Sonnbichler geleitetes Coaching-Programm, das Firmen unterstützt, an Krebs erkrankte Mitarbeitende mittels klar strukturierter Kommunikationsschnittstellen zwischen Vorgesetzten, Teams und Betroffenen erfolgreich zu reintegrieren (siehe auch Infobox: Krebs und Arbeitsrecht). "Krebs ist nach wie vor ein Tabuthema", sagt sie und arbeitet daran, das zu verändern.
Monika Hartl weiß aus der Beratung, dass Arbeit für viele Krebskranke deshalb eine gute Sache ist, weil "es ein Stück Normalität in den Alltag zurückbringt". Für die meisten sei ein Wiedereinstieg schlicht auch eine finanzielle Notwendigkeit, meint sie. Erfahrungsgemäß kämpfen viele beim Wiedereinstieg noch mit Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche, "gerade deshalb seien Teilzeitmodelle auch so erfolgreich".
80 Prozent der Beschäftigten, die die Flexibilität des Wiedereinstiegs nutzen, bleiben im Job. Das hat eine Evaluierung des Wiedereingliederungsgesetzes ergeben.
"Wir wissen aus Erfahrung, dass Berufstätige nach einer Erkrankung ihre Selbstwirksamkeit wieder erleben wollen, es ist ein wichtiger Aspekt des Gesundwerdens", konstatiert Eva Höltl, Vorstandsmitglied der Erste Stiftung und Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank. "Arbeit ist für viele dann eine krebsfreie Zone", bestätigt auch Monika Hartl von der Krebshilfe.
Für beide ein Meilenstein ist die Tatsache, dass die gesetzlich geschaffenen Rahmenbedingungen gut funktionieren. Eine Evaluierung des Wiedereingliederungsgesetzes in den Jahren 2017 bis 2019 bestätigt, dass 80 Prozent der Beschäftigten durch die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten, im Job geblieben sind. "Die Politik kann solche Dinge möglich machen, doch es ist Aufgabe der Unternehmen, diese Modelle auch glaubwürdig zu etablieren", ist Höltl überzeugt. Die Erste Bank mit ihrem im Unternehmen integrierten Gesundheitszentrum habe lange vor dem Wiedereingliederungsgesetz schon 2013 diesbezüglich Pionierarbeit geleistet, resümiert Höltl stolz. Eine für diesen Fall aufgesetzte Betriebsvereinbarung habe sichergestellt, dass es zu keinen Einkommensverlusten kommt. Im Grunde hätte das jedes größere Unternehmen machen können.

Ansprechen. Ein offener Umgang mit der Erkrankung bringt Vorteile. Wer nach einer Krebserkrankung wiedereinstiegen will, hat gesetzlich verankerte Möglichkeiten für Teilzeitmodelle. Wie gut sie in Unternehmen umgesetzt sind, ist Führungssache © www.worldcancerday.org (CC)
Vorbildlich
Das Gesundheitszentrum der Erste Bank übernimmt die Kommunikation mit Mitarbeiter:innen im Langzeitkrankenstand, die Abwicklung der Antragstellung und auch die Begleitung in der Phase der beruflichen Wiedereingliederung. "Wir nehmen unseren Leuten sämtliche bürokratische Hürden ab", unterstreicht Höltl, das habe zu Beginn zwar einen organisatorischen Aufwand bedeutet, doch mittlerweile laufe das reibungslos.
»Die Wiedereingliederung von Menschen mit Einschränkungen ist eine Führungssache.« Sabine Weber-Treiber, Diversion-Beraterin
"Eine Langzeiterkrankung wie Krebs kann auch finanziell existenzbedrohend werden", betont Hartl und hofft, dass die Awareness für flexible Modelle auch vonseiten der Unternehmen steigt. Denn dort besteht generell betrachtet Nachholbedarf. "Wenn es darum geht, Menschen mit Einschränkungen zu integrieren oder Modelle für einen stufenweisen Wiedereinstieg zu ermöglichen, dann funktioniert das nur, wenn es auf Führungsebene vorangetrieben wird", sagt Sabine Weber-Treiber. Sie arbeitet als Trainerin und Beraterin bei Diversity Thinktank Austria und bietet hier Unternehmen, die sich diesbezüglich besser aufstellen wollen, Unterstützung an. Für Beraterin Weber-Treiber ist Diversity-Management eindeutig Teil der Unternehmenskultur und deshalb nur erfolgreich, wenn die oberste Ebene dafür zuständig ist.
Dabei kennt Sabine Weber-Treiber – selbst paralympische Schwimmerin – aus ihrer beratenden Tätigkeit auch sämtliche Vorurteile. An vorderster Front sind die Vorbehalte in Sachen eingeschränkte Leistungsfähigkeit. "Dabei zeigen Studien eindeutig, dass der LeistungsWILLE von Mitarbeitenden wesentlich wichtiger als die LeistungsFÄHIGKEIT ist", so die Expertin. Eine wichtige Voraussetzung sei allerdings, dass "Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an den richtigen, für sie passenden Positionen" eingesetzt werden. Das erfordert Fingerspitzengefühl und Know-how, das Sabine Weber-Treiber bei Bedarf zur Verfügung stellt. Sie hofft, dass die neuen ESG-Richtlinien der Europäischen Union einen Boost für die Integration und Inklusion von Menschen mit Einschränkungen aller Art bringen. Denn künftig werden Unternehmen einen jährlichen Report über ihr "ESG-Gebaren" abliefern müssen. "Die Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen fällt unter 'S' wie sozial", stellt sie heraus.
Schaffen. Nach einer Krebserkrankung verändern sich die Prioritäten – was wichtig und unwichtig im Leben und wie wichtig Unterstützung von anderen ist, wird sonnenklar © Shutterstock/ Arlou Andre
Franz Braunsberger ist längst wieder im Job. Es geht ihm gut, sein Hirntumor war eine Metastase und der Ursprungstumor ein bösartiger Hautkrebs, der jedoch durch eines der fortschrittlichsten Medikamente in der Medizin im Rahmen einer Immuntherapie unter Kontrolle gebracht werden konnte. "Von zehn Patienten sprechen zwei auf diese Therapie an", sagt er und gehört zu dieser kleinen Gruppe. Die Krankheit habe ihn gelehrt, zuversichtlich zu sein und jeden Tag zu genießen. Und ja, neben vielen anderen Dingen war auch sein Job für den Genesungsprozess wichtig. Heute weiß er besser als noch 2019, was im Leben wirklich zählt.
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe.
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