Nach den Nationalratswahlen am 29. September 2024 hat Österreich nach über 130 Tagen noch immer keine neue Regierung. Unabhängig davon steht eine andere bedeutende Wahl bevor: die Bundestagswahl in Deutschland am 23. Februar 2025.
Wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch von enormer Bedeutung
Und ganz gleich, wie man zu Deutschland und den Deutschen steht, ob man sie mag oder, angelehnt an die "Piefke-Saga", weniger schätzt – eines ist sicher: Was in der Bundesrepublik Deutschland passiert, ist für Österreich und sogar für die gesamte EU wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch von enormer Bedeutung. Deutschland ist nicht nur der wichtigste Handelspartner Österreichs, sondern auch die wichtigste Herkunftsregion für Tourist:innen. Zudem sind viele mittelständische "Hidden Champions" von Deutschland abhängig. Deshalb möchte ich in unregelmäßigen Abständen die Wahl, die Parteien, ihre Programme und die Folgen der Wahl beleuchten.
Das Wahlrecht
Beginnen möchte ich mit einem Thema, das viele für eine bloße Formalie halten: das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag. Viele Leser:innen fragen sich vielleicht: "Warum ist das so wichtig?" Ich bin jedoch überzeugt, dass die Wahl am 23. Februar 2025 aus vielen Gründen anders ausgehen könnte, als es derzeit erwartet wird. Einer der weniger bekannten, aber entscheidenden Faktoren ist das geänderte Wahlrecht durch die Wahlrechtsreform von 2023. Diese Reform mag auf den ersten Blick nur eine technische Anpassung sein, hat aber potenziell erhebliche Auswirkungen auf das Wahlergebnis.
Etwas vereinfacht ausgedrückt: Bei der Bundestagswahl verfügt jede:r Wähler:in über zwei Stimmen. Die sogenannte Erststimme dient der Wahl von Abgeordneten in 299 Wahlkreisen. Hier gewinnt der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen das Direktmandat. Der zweite Teil der Abgeordneten wird über die Zweitstimmen bestimmt. Die Anzahl der Zweitstimmen einer Partei entscheidet also über die Gesamtanzahl ihrer Sitze im Bundestag.
Bislang galt, dass direkt gewählte Abgeordnete in jedem Fall in den Bundestag einzogen. Dies führte dazu, dass Parteien, die mehr Direktmandate gewannen, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden, "überproportional" im Bundestag vertreten waren. Die daraus resultierenden sogenannten Überhangmandate wurden durch sogenannte Ausgleichsmandate kompensiert, um das Verhältnis der Zweitstimmen wiederherzustellen. In der Folge wuchs der Bundestag immer weiter an: Nach der letzten Wahl hatte er 735 Abgeordnete, darunter 34 Überhang- und 103 Ausgleichsmandate.
Wahlrechtsreform von 2023
Mit der Wahlrechtsreform von 2023 wurde eine Maximalgrenze von 630 Bundestagsabgeordneten eingeführt. Gleichzeitig wurden Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft. Auch die Grundmandatsklausel – dazu später mehr – sollte entfallen, wurde jedoch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wieder eingeführt. Auf den ersten Blick ist dies eine gute Nachricht für Steuerzahler:innen, da der Bundestag kleiner wird. Doch welche Auswirkungen hat diese Reform auf den Wahlausgang?
Zukünftig zieht nur noch ein:e Direktkandidat:in in den Bundestag ein, wenn das Direktmandat durch die Zweitstimmen gedeckt ist. In jedem Bundesland werden die Bewerber:innen nach ihrem Erststimmenanteil gereiht, und die nach den Zweitstimmen festgelegten Sitze werden in dieser Reihenfolge vergeben. Das bedeutet: Ein:e Kandidat:in kann zwar in einem Wahlkreis die meisten Stimmen gewinnen, aber dennoch nicht in den Bundestag einziehen, wenn andere Direktkandidat:innen in seinem bzw. ihrem Bundesland besser abgeschnitten haben und die Gesamtzahl der Sitze bereits vergeben ist.
Wie sich dies nun möglicherweise bei der Bundestagswahl 2025 auswirken könnte, möchte ich mit den folgenden drei Punkten verdeutlichen:
- Schwächung der CDU/CSU und AfD: Bei der letzten Bundestagswahl gewannen in Baden-Württemberg und Bayern viele CDU/CSU-Kandidat:innen Direktmandate, oft überproportional zu den Zweitstimmen. Da dies nun nicht mehr der Fall sein wird, ist eine Schwächung der Union wahrscheinlich. Gleiches gilt für die AfD, insbesondere in Ostdeutschland. Dies erklärt auch, warum die CDU/CSU sich so vehement gegen den Zweitstimmenwahlkampf der FDP wehrt.
- Höhere Bedeutung der 5-Prozent-Hürde: Die 5-Prozent-Klausel bleibt bestehen: Parteien, die nicht mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, ziehen nicht in den Bundestag ein. Dies könnte insbesondere FDP, Die Linke und das BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) betreffen. Sollte dies eintreten, würde der Bundestag auf vier Parteien schrumpfen: CDU/CSU, SPD, Grüne und AfD.
- Rolle der Grundmandatsklausel: Die Grundmandatsklausel besagt, dass eine Partei auch dann in den Bundestag einzieht, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnt, selbst wenn sie an der 5-Prozent-Hürde scheitert. Sie wäre damit ein Ausweg für die oben genannten "kleinen Parteien", 2021 profitierte etwa Die Linke davon. Ob jedoch eine der kleineren Parteien 2025 über Persönlichkeiten verfügt, mit deren Hilfe drei Direktmandate errungen werden können, ist fraglich.
Diese Wahlrechtsreform könnte also einen entscheidenden Einfluss auf die Bundestagswahl 2025 haben. Ich halte die Reform – ebenso wie das Bundesverfassungsgericht – für verfassungskonform. Dennoch ist es entscheidend, die Wähler:innen umfassend über das neue Wahlrecht und seine Funktionsweise aufzuklären. Neben den inhaltlichen Fragen wird dies eine der größten Herausforderungen für alle Parteien in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl am 23. Februar 2025 sein.
Wer sich ob seiner bzw. ihrer Prognosen und Einschätzungen nach den Wahlen auf die Schulter wird klopfen dürfen, bleibt abzuwarten. Zu oft mussten wir in den vergangenen Monaten und nach all den stattgefundenen Wahlen staunen, wie weit die Analysen teilweise daneben lagen. Viel wichtiger ist aber, dass etwas vorangeht und ein Aufschwung stattfindet – alles andere ist primär, wie ein österreichischer Fußballanalyst gerne zitiert wird.
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