Was ist los in Alpbach?

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Es regnet in Alpbach. Die Nebel ziehen durch den Talkessel, es ist grauslich kalt und es ist sehr still geworden. Obwohl der Gesprächsfahrplan des Europäischen Forums wie gewohnt läuft, sind kaum Menschen auf den Straßen rund ums Konferenzzentrum und die Hotel-Hotspots zu sehen. Wo normalerweise wochenlang leidenschaftlich in allen Ecken diskutiert, gewandert, wild gesponnen wurde, schaut es 2021 eher nach Dornröschenschlaf aus. Und das liegt nicht nur am schlechten Wetter.

In den vergangenen Jahren wurde viel Porzellan zerschlagen, dann kam die Corona-Pandemie und die neue Führung des Forums steht vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Die inhaltliche Qualität auf internationalem Niveau zu halten, gleichzeitig aber auch Orte und Möglichkeiten der persönlichen Begegnung zu schaffen. Wichtige Institutionen und Entscheidungsträger zurückzuholen, die nicht mehr nach Alpbach kommen. Niemand hat heute Zeit zu verschenken – wer die Reise ins Tal antritt, der hat zurecht hohe Erwartungen. Sie müssen erfüllt, besser noch übertroffen werden. Das ist der Anspruch an das Europäische Forum Alpbach (EFA).

Zukunft gestalten

Es gibt durchaus spannende Vorträge, Arbeitsgruppen, interessante Menschen und Veranstaltungen zu entdecken, wenn man sich mal durch das schwer navigierbare – nur online – vorhandene Programm, gearbeitet hat. Trotzdem könnte man, außerhalb der Programmorte, den Eindruck gewinnen, Alpbach sei am Ende. Auch Gespräche mit anderen Teilnehmer:innen bringen viel Ernüchterung zutage – es bin also nicht nur ich, der meint, dass der Wurm drin ist. Aber ist Alpbach deshalb tot? Nein, natürlich nicht! Zum Teil haben wir in all den Lockdowns etwas verlernt, aufeinander zuzugehen, diese Distanz merkt man besonders in einer so kleinen Struktur wie dem Tiroler Bergdorf. Das Forum muss seine Rolle neu definieren, sich wieder als Ermöglicher und Podium verstehen, nicht als Verhinderer und Verbieter. Hier sollen Gedanken fliegen können, Ideen geboren werden, Kontakte entstehen. Es soll ein Ort auch der ungeplanten Begegnungen und des Kennenlernens sein. Hier soll unsere Zukunft mitgestaltet werden – das geht nicht, wenn wir uns im Kongresszentrum und schwer "zugänglichen" Veranstaltungen einbunkern.

Ich bin überzeugt: Europa braucht Alpbach mehr denn je. Brexit, Covid, neue Arbeitswelten, Klimawandel, Energiewende, Migration und hundert Gründe mehr sprechen für eine intensive offene Auseinandersetzung mit den Themen unserer Zeit – weit weg von Populismus, Parteipolitik und Partikularinteressen. Deshalb wünsche ich Andreas Treichl und seinem Team viele neue, mutige Ideen, dem Forum selbst eine erfolgreiche Zukunft und uns allen, dass 2022 wieder die Sonne in Alpbach scheint.

 www.jti.com


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

leadersnet.TV