Wie schreibe ich der/die/das Kollege und warum gibt es keine sehr geehrten Damen und Herren mehr?

Julia Emma Weninger expressis verbis über die Gender-Sprachrevolution.

Die Debatte über das Gendern entflammt dieser Tage wieder einmal und das in neuer Heftigkeit. Der Lufthansa-Konzern heizte die Diskussion diese Woche voll an, als er bekannt gab, bei Flügen künftig auf die Begrüßungsformel "Sehr geehrte Damen und Herren" zu verzichten. Auch das englische "Ladies and Gentlemen" hat ausgedient. Stattdessen sollen die Crews ihre Gäste mit geschlechtsneutralen Formulierungen willkommen heißen. Die Regelung, einfach und in den sozialen Netzwerken teilweise als "genial" bezeichnet, gilt für alle Airlines des Konzerns einschließlich der Austrian (AUA), Swiss, Eurowings: Mit "Guten Tag, herzlich willkommen und hello everybody" werden die Passagiere nun begrüßt.

In den meist sehr emotional geführten Diskussionen, on und offline, kommt man um das Thema "Hauptsache politisch korrekt, alles andere ist egal" nicht vorbei und landet dann ganz schnell beim Umgang der Medienhäuser mit der Sprachrevolution.

Orthographische Verstümmelung oder sprachliche Sichtbarkeit von Frauen?

Naturgemäß wirken die Medien täglich am Sprachgeschehen mit, können sie dem Sprachwandel also ein besonderes Gesicht verleihen? Viele Medienhäuser scheinen diesem nur vorsichtig tastend auf der Spur, vor allem, um nicht ganze Publikumsschichten zu befremden. 

Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen AFP, APA, dpa, epd, Keystone-sda, KNA, Reuters und SID haben jüngst ein gemeinsames Vorgehen im Bemühen um diskriminierungsfreie Sprache vereinbart. Im Sinne von Gleichbehandlung und Eindeutigkeit soll das generische Maskulinum schrittweise zurückgedrängt werden – auch wenn es in kompakter Nachrichtensprache zum Teil weiter verwendet wird. Die Entwicklung von genderbezogenen Sonderzeichen soll künftig regelmäßig gemeinsam evaluiert werden.

Das Echo war gewaltig: Vom "Gender Gestottere", das die Welt schon aufziehen sah, bis zu einem "volkspädagogischen Anfall" auf rechtsgerichteten Portalen wurde vielschichtiges Ungemach geortet. Die deutsche Sprache ist vielfältig und sorgt aufgrund ihres umfangreichen Wortschatzes und ihrer Grammatik sowieso für viele Möglichkeiten der Differenzierung.

Das Dilemma wird "Gutmenschen" zufolge ja vor allem dadurch veranlasst, dass Texte nur in männlicher Form auch Bilder nur in maskuliner Form im Kopf der Leser:innen produzieren würden, die weiblichen Galionsfiguren und Leitbilder aber fehlen weiterhin: "Wie können Frauen dann jemals im real life den Stellenwert eines Mannes erlangen und Karriere machen, wenn sie nicht einmal beim Wort Kollege vorkommen?"

 Er, sie – und was jetzt?

Wie sollen zu dem ganzen Sprach-Wirrwarr Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, angesprochen werden? Der Verfassungsgerichtshof stellte schon vor drei Jahren fest, dass Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist, ein Recht auf eine entsprechende Eintragung wie "divers", "inter" oder "offen" im Personenstandsregister und in Urkunden haben.

Instagram hat dazu das Fürwort "they" eingeführt

"Irgendjemand fühlt sich immer diskriminiert"

Obwohl also große Medienhäuser großteils (noch?) auf einheitliche Regelungen verzichten, reicht das Engagement der Redakteur:innen aus, den Frauen zur richtigen Positionierung zu verhelfen? "Zeit im Bild"-Moderator Tarek Leitner  verwendet beispielsweise das gesprochene Binnen-I, den sogenannten stimmlosen glottalen Plosiv, und auch auch ZIB2-Ikone Armin Wolf setzt ganz bewusst auf eine gezielte Sprechpause.

Es geht aber auch andersrum: So beschwerte sich kürzlich ein Leser bei LEADERSNET, dass er bei der Formulierung Kolleg:innen ja gar nicht vorkomme und sich daher als Mann diskriminiert fühle. Lieber Leser, vielleicht ist es ganz gut, dass Sie sich einmal nicht als Mann repräsentiert fühlen, da dies sicherlich die Einfühlung in die bisher ständig für andere Gender bestehende Situation erleichtert.

Wie macht man es denn nun korrekt?

Das Gendern kommt ja dieser Tage in vielen Erscheinungsformen daher: Neben Binnen-I  und Unterstrich existieren zahlreiche Sonderzeichen, die eben neben Weiblein und Männlein auch nicht-binäre oder Trans-Personen umfassen sollen, dazu gesellen sich Doppelformen, Partizip-Formen und natürlich auch neutrale Formen, wie zum Beispiel die "Studierenden".

Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, hat sich auch LEADERSNET Gedanken zum Thema gemacht und im Spagat zwischen Anforderungen an die gute Lesbarkeit und gendergerechte Standards eine, wie wir denken, praktikable Lösung gefunden: Seit Anfang Juli setzen wir auf :innen.


 

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Vera Antonia Härtel
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Vera Antonia Härtel
Die alte Form von sehr geehrte Damen und Herren hat keinen benachteiligt.Wie schreibe ich künftig an ein "Amt".Liebe Kolleginnen?Das ist nicht zutreffend.Unsinn Diese Diskussion
Ein weites, noch völlig ungenügend bespieltes Feld für Quotenregelungen; bezgl. AR - Besetzungen ist nur von Frauen die Rede! Wie steht es mit gender - und hautfarbegerechten Stellenausschreibungen sowie den Themen Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund
Dr. Wilhelm Sinkovicz
Dieser Kommentar wurd von 15.07.2021 11:19 am Alexander Schöpf gelöscht.

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