"Ich bete für den Befreiungsschlag durch Medizin und Forschung"

Dompfarrer Toni Faber im exklusiven LEADERSNET-Interview über Weihnachten, die Digitalisierung der katholischen Kirche, die Planungen für seine Beerdigung, christliche Nächstenliebe und natürlich Corona.

LEADERSNET: Warum ist Weihnachten aus Ihrer Sicht eigentlich so eine besondere Zeit?

Faber: Weihnachten ist deswegen besonders, weil wir die Gelegenheit haben, Gott nicht nur als unermesslich großen, unfassbaren Gott zu erkennen, sondern in seiner Menschengestalt. Als Baby, das seine Hände nach uns ausstreckt und uns damit sagt: "Lass dich von mir umarmen, nimm mich auf. Wenn du dein Herz öffnest, hast du mehr vom Leben. Weihnachten ist ein Geschenk, ein Mehrwert für mein Leben, für dein Leben und für jedes Leben von uns."

LEADERSNET: Die diesjährige Weihnachtszeit ist für viele Menschen nicht ganz einfach. Wie würden Sie diesen Menschen jetzt Zuversicht geben?

Faber: Es ist ganz sicher ein stillerer Advent und eine stillere Weihnacht. Vielleicht ist – wenn uns so viel äußerlich genommen worden ist und vieles heuer ganz anders ist – die Chance größer, zum wesentlichen Kern von Weihnachten durchzudringen und zu erkennen, dass es um Menschwerdung geht. Wenn Gott es uns vormacht, Mensch zu werden, dürfen wir trotz all dieser Einschränkungen und Auflagen vor allem einmal füreinander Mensch werden. Dafür braucht es nicht die Geschwindigkeit, die vielen Geschenke und die vielen Feiern, die wir in den vergangenen Jahren hatten. Aber was es braucht, ist die einfache menschliche Begegnung: ein Lächeln, ein Zuhören, ein gutes Wort und ein Wunsch aus tiefstem Herzen. Vielleicht gelingt es uns heuer besser, mit den wenigen Kontakten, die wir derzeit haben, als mit den hunderten, die wir normalerweise hätten.

LEADERSNET: Sie sind seit mittlerweile 20 Jahren Dompfarrer. Wie hat sich der Wiener in dieser Zeit verändert? Ist hier, in Bezug auf Weihnachten, etwas völlig anderes festzustellen?

Faber: Der Wiener ist, glaube ich, eine "Rasse", die sich nichts schnell verändert und ich bin stolz, auch dazuzugehören. Ich fühle mich wirklich als geborener Wiener, als echter Wiener. Und der geht bekanntlich nicht unter, der lässt sich nicht unterkriegen, auch wenn Einschränkungen sind. Er ist vernünftig. Er grantelt zwar mehr, aber er wird immer mehr zu dem, der seine Stadt schätzt, weil sich so viel in der ganzen Welt verändert hat. Wir wissen ganz genau, wie dankbar wir sein dürfen, in so einer Stadt zu leben und hier zu arbeiten, hier füreinander da sein zu dürfen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn es ein bisschen langsamer zugeht. Die Advent- und Weihnachtsbeleuchtungen sind zwar in den Straßen, aber es ist viel ruhiger. Vielleicht gelingt es uns wirklich, aufmerksamer füreinander zu sein, weniger zu jammern und weniger zu granteln. Eine Veränderung des Wienerischen in diese Richtung würde ich mir durchaus wünschen. Ich bete auch für den Befreiungsschlag durch die Medizin und die Forschung, damit wir wirklich davon träumen können und auch realistisch eine Hoffnung haben, dass es im Frühjahr anders sein wird.

LEADERSNET: Viele Leute haben Ängste in dieser Zeit. Einerseits wirtschaftliche Ängste oder die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, andererseits halten viele aber auch die Distanz zu ihren Liebsten kaum aus. Hätten Sie als Seelsorger einen Tipp, wie man damit umgeht?

Faber: Zuallererst einmal in der Bereitschaft, bei den Sorgen dieser Menschen empathisch zuzuhören. Ich kenne einige Menschen aus der Hotellerie, aus der Gastronomie, aus vielen kleinen Betrieben, die ihren Arbeitsplatz oder ihr Unternehmen verloren haben und wirklich in den Seilen hängen. Die schwer darunter leiden und schon schwere psychische Defekte haben, durch die fehlenden Kontakte mit der Familie. Ich denke da an die vielen alten Menschen, an meine eigene Mutter im Altersheim und so viele andere Schwerkranke. Es gibt Demenzkranke, die es kaum verstehen können, warum sie alleingelassen werden. Dann gibt es natürlich auch die Kinder und Enkelkinder, die ihren Eltern und Großeltern nicht die Aufwartung machen können. Da müssen wir Wege mit Augenmaß finden. Da sind wir jetzt  glücklicherweise schon viel, viel besser vorbereitet als im ersten Lockdown. Ich denke da auch an die tragischen Begräbnisse, die ich mit fünf Personen durchführen musste. Wenn der 52-jährige Mann fünf Kinder hatte, durfte ich die Frau, die Eltern und die Schwiegereltern nicht dabeihaben. Da hat man eine glücklicherweise eine gute, menschliche Lösung gefunden. Wichtig ist, dass wir alle technischen Möglichkeiten, wie Social Media, ausloten, um alle notwendigen körperlichen Distanzen einzuhalten, aber mit Gesten, mit Blicken, auch mit einem Antlitz, das unverhüllt ist, jemandem mitzuteilen: "Ich denke an dich, ich bin für dich da." Da ist Weihnachten natürlich auch die Krafttankstelle, die uns sagt: "Selbst wenn wir nur einen ärmlichen Stall wie Jesu bei seiner Geburt in Bethlehem haben, selbst wenn es so wenig ist – das göttliche Licht leuchtet trotzdem auf. Sei dir gewiss, es wird eine Zeit danach geben." Es wird eine Zeit geben, wo wir uns wieder umarmen. Es gibt eine Zeit zum Loslassen, wie bei jedem Abschied nehmen am Friedhof. Es gibt eine Zeit zum Geborenwerden, eine Zeit zum Umarmen und eine Umarmung zu lösen, wie es das Buch Kohelet so schön in der Heiligen Schrift im Alten Testament sagt. Es wird heuer ein Weihnachten mit Zurückhaltung. Aber die Berichte, wie Weihnachten auch im Krieg, im Schützengraben, im Gefängnis und in der Gefangenschaft gefeiert werden konnte – auf den Trümmern der Stadt Wien – lassen mich hoffen, dass bei all dem, was jetzt vielleicht darniederliegt, im nächsten Jahr wirklich alles wieder ganz anders aussehen wird.

LEADERSNET: Die Corona-Pandemie hat zu einem allgemeinen Schub für die Digitalisierung gesorgt. Ist dies auch in der katholischen Kirche der Fall, dass verstärkt digitale Lösungen zum Einsatz kommen?

Faber: Der erste Lockdown im Frühjahr hat ganz klar dazu geführt, dass wir viel darüber nachgedacht haben, in welchen Formaten wir die Menschen trotzdem erreichen können. Im Social Media-Bereich hat sich natürlich vieles getan, beispielsweise indem wir einen Gottesdienst streamen können. Das ist jetzt natürlich nicht das Gelbe vom Ei, aber besser als nichts. Wir haben dadurch immerhin die Möglichkeit mehr Menschen einzuladen und eine Hauskirche zu leben. Den Gottesdienst physisch mitzufeiern, ist nur eine Facette von Kirche. Anderen beizustehen, zu helfen, sie zu trösten, zu unterstützen und zu ermutigen ist das andere.

LEADERSNET: Corona rückt auch das Thema Tod vermehrt in den Fokus. Ist der Tod grundsätzlich ein Tabu-Thema, das zu wenig angesprochen wird?

Faber: Also ich bin wirklich zwischen Geburt und Tod laufend gefragt. Ich halte viele Begräbnisse und bereite auch Menschen aufs Sterben vor. Ich bin selber relativ gut vorbereitet aufs Sterben. Ich weiß zwar nicht, wann es soweit sein wird, aber mein Testament schreibe ich jedes Jahr neu. Ich habe bei der Bestattung Wien schon hinterlegt, dass ich einen Lärchensarg möchte, weil der ehemalige Dachstuhl von Sankt Stephan aus Lärchenholz war. Ich werde Mozarts Requiem spielen lassen, ganz der Kampagne der Bestattung Wien mit dem Slogan "Mozarts Requiem? Nur über meine Leiche." entsprechend (lacht). Der Herr Kardinal, der Erzbischof von Wien, soll nur das Gute aus meinem Leben vortragen. Das wünsche ich mir auch in meinem Testament. Und dann werde ich unterhalb des Domes in der Domherrngruft einen Platz haben. Ich rate jedem, der sich über seinen Tod noch keine Gedanken gemacht hat, dies zu tun und sich nicht davor zu fürchten. Da fällt mir immer Kardinal König ein, der als 95-jähriger gefragt worden ist: "Herr Kardinal, haben Sie nicht Angst vor dem Sterben?" Und er hat laut aufgelacht und gesagt: "Das ist das einzig Sichere, was in meinem Leben noch passieren wird. Alles andere ist unsicher. Warum soll ich mich vor etwas Sicherem fürchten?" Er hat bei dieser Gelegenheit mit viel Gelassenheit und Humor die Endlichkeit des Lebens beschrieben und gleichzeitig ermutigt, aus der Lebenszeit vorher möglichst viel zu machen. Da hilft uns der christliche Glaube, da hilft jeder Glaube, der uns ermutigt, das Leben als Geschenk wahrzunehmen. Wir als Katholiken verbindenden das in Wien mit einer wunderbaren Friedhofs- und Begräbniskultur.

LEADERSNET: Das heißt, man darf zwischen Geburt und Tod unbeschwert und richtig fröhlich sein?

Faber: Unbedingt. Das ist ein Riesengeschenk. Du sollst daraus das Beste machen. Du sollst gelassen sein. Natürlich nicht achtlos und einfach deine Lebenszeit verschwendend, aber jeder Tag ist dazu gegeben, nicht nur ernsthaft darüber nachzudenken, sondern sich auch zu freuen und zu lachen. Mit jedem befreiten Lachen verschönere ich nicht nur meinen Tag, sondern verlängere auch mein Leben, so sagen mir Forscher.

LEADERSNET: Für viele Leute war das Jahr 2020 ein sehr, sehr schwieriges. Dürfen wir uns auf 2021 freuen?

Faber: Natürlich, gerade in schweren Zeiten und in Krisenzeiten ist die Chance, die Hoffnung wachsen zu lassen, viel größer. Ich denke, dass wir uns sehr auf 2021 freuen können, weil uns die Gaben der Vernunft, der Forschung, der Wissenschaft und der Medizin eine Zeit bringen können, die freier ist von den derzeitigen Einschränkungen und die uns neu schätzen lässt, was menschliche Begegnung in seiner vollen Form bedeutet. Mit neuer Wertschätzung werden wir da einiges erleben dürfen.

LEADERSNET: Dürfte ich Sie zum Abschluss noch um einen Weihnachtswunsch für unsere Leser bitten?

Faber: Weihnachten 2020 ist anders als wir es kennen und ich wünsche allen, die dies lesen, ein offenes Herz dafür, dass Gott in ihren Herzen auch Mensch werden kann. Wäre Jesus tausendmal in Bethlehem geboren, aber nicht in unseren Herzen, dann wäre er umsonst geboren. Das sagt uns der große Mystiker Angelus Silesius. Die Geburt Gottes in unseren Herzen ist am wichtigsten. Ich muss Platz schaffen und den Ärger wegräumen, dass heuer vielleicht vieles anders ist und dafür die Freiheit haben, die Wirklichkeit anzunehmen. Gott umarmt uns vor allem in der Wirklichkeit, nicht nur in unseren Sehnsüchten und Wünschen. Wenn man dieses Geschenk annimmt, dann fällt es leichter, anderen ein Lächeln, ein aufmerksames Wort, ein offenes Ohr und ein offenes Herz zu schenken. Und das wünsche ich uns zu Weihnachten: Mach's wie Gott. Werde Mensch, werde menschlicher – dann wirst du selbst auch mehr erhalten.

www.dompfarre.info

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