"Wir kommen in fast jedem Lebensbereich zum Einsatz"

Thomas Lutzky, Geschäftsführer Phoenix Contact Österreich, im Interview über bezahlbare, saubere Energie, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, was man unter dem Begriff "All Electric Society" versteht und wie das Familienunternehmen zur Digital Industrial Company wird. 

Mit rund 18.000 Mitarbeitern zählt die Phoenix Contact Gruppe zu den weltweit führenden Herstellern von Produkten und Lösungen für die elektrische Verbindungs- und Automatisierungstechnik. LEADERSNET hat Thomas Lutzky, Geschäftsführer von Phoenix Contact Österreich, zum Interview gebeten.

LEADERSNET: Wie entwickelt sich Phoenix Contact aktuell und wie sind ihre Einschätzungen für die nächsten Geschäftsjahre?

Lutzky: Wir beschäftigen uns mit Strom und Signalen. Sie kommen plakativ gesagt in fast jedem Lebensbereich zum Einsatz. In der Energietechnik, Elektromobilität, Infrastruktur, Produktion oder im Gebäude. Und das immer mehr, denn unsere Welt wird laufend smarter und vernetzter. Heute und in Zukunft arbeiten wir daran Phoenix Contact zu der "Digital Industrial Company" zu machen und die Chancen zu nutzen, die sich aus der digitalen Transformation ergeben. Neben unseren physischen Produkten, die immer smarter werden, zählen dazu durchgängige Prozesse, die digitale Kundenschnittstelle und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Ergänzende Dienstleistungen zu den Themengebieten Maschinensicherheit, Security und effizienter Schaltschrankbau runden unser Angebot ab.  Dabei verlieren wir den Wert persönlicher Begegnungen und Beratung vor Ort nicht aus den Augen. Innovationsfreude und Begeisterung werden uns auch künftig jeden Tag leiten.

LEADERSNET: Phoenix Contact hat den von der Forschung geprägten Begriff der "All Electric Society" in sein Leitbild übernommen. Was verstehen Sie darunter?

Lutzky: Wir leben in einer Welt, in der es gleichzeitig weniger und mehr braucht. Weniger CO2 und mehr Wachstum. Auf den ersten Blick scheinen der Kampf gegen den Klimawandel und das Streben von Milliarden von Menschen nach Wohlstand und Entwicklung widersprüchlich zu sein. Doch der Schlüssel für die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs ist Technologie. Stellen Sie sich vor, wir könnten überall auf der Welt ausreichend Strom aus sauberen, erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft zur Verfügung stellen. Und nach der Erstinvestition fallen kaum noch nennenswerte Kosten an. Welche enormen positiven Auswirkungen hätte das für uns? Sie denken das ist eine Utopie? Keineswegs, denn allein die Sonne liefert uns jeden Tag das 10.000-fache unseres gesamten, weltweiten Energiebedarfs. Unsere zentralen Hebel für die Nutzung dieser Energie sind die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung.

LEADERSNET: Ein Zugang. der sehr gut zu den 17 Zielen der UN für eine nachhaltige Entwicklung der Welt passt?

Lutzky: Ja, alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben im Jahr 2015 mit den Sustainable Development Goals insgesamt 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Welt definiert. Die Mehrheit der Lösungen zur Erreichung dieser Ziele wird technischer Natur sein, zum Beispiel das Ziel Nummer 7: bezahlbare, saubere Energie. Die Industrie ist dabei ein entscheidender Faktor um diese Ziele umzusetzen. Auf dem Weg dahin ist Phoenix Contact ein idealer Partner für seine Kunden, denn mit unseren technologischen Kompetenzen können wir eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung einnehmen und damit auch gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen.

LEADERSNET: Rechnet sich das? Ist die All Electric Society versorgungssicher?

Lutzky: Diese Fragen sind berechtigt und es gibt auch schon spannende Antworten. Für einen großen Entwicklungsschritt nach vorne brauchen wir die Kopplung der Sektoren Energie, Verkehr, Gebäude und Industrie, also der Erzeuger, Verbraucher und Speicher. Die Sektorenkopplung ist für uns ein Herzstück der All Electric Society. Hier setzen wir Schwerpunkte in Forschung und Entwicklung. Dazu gehören etwa neue Kommunikationstechnologien wie 5G, SPE und TSN. Sie sorgen für die intelligente, schnelle und sichere Vernetzung über die Sektorengrenzen hinweg. Power to X Technologien ermöglichen die Speicherung elektrischer Energie in E-Fuels wie Wasserstoff, Methan oder Methanol und die Nutzung der bestehenden Infrastruktur für die Lagerung und den Transport. Natürlich ist der Wirkungsgrad von E-Fuels noch gering, umso mehr braucht es die smarte Vernetzung zu einem Gesamtsystem. Dann können wir fossile Energieträger weitgehend ersetzen und erreichen Effizienz und Nachhaltigkeit. Phoenix Contact wird in absehbarer Zukunft solche Power-to-X Anlagen nicht selbst bauen, aber als Wegbereiter begleiten wir unsere Kunden bei der Realisierung ihrer Projekte.

LEADERSNET: Und die Politik unterstützt dies?

Lutzky: Ja, Förderprogramme der Politik wie der Green Deal der Europäischen Union oder das 1-Million-Dächer Programm der österreichischen Bundesregierung für Photovoltaik Anlagen werden wichtige Impulse und eine Starthilfe für die All Electric Society liefern. Trotzdem wird die Zukunft nicht von heute auf morgen Wirklichkeit und die damit verbundenen Ziele sind von Einzelnen allein auch nicht zu erreichen. Zur Bewältigung dieser komplexen Aufgaben, die uns noch Jahrzehnte beschäftigen werden, müssen wir unsere Stärken bündeln. Wir laden Sie daher heute ein: Denken Sie mit uns über zukunftssichere Konzepte nach und diskutieren wir darüber. Denn die Zukunft geht uns alle an!

LEADERSNET: Welche Möglichkeiten und Anwendungen kommen mit der angesprochenen 5G Technologie auf uns zu? Welche Rolle spielt ihr Unternehmen in diesem Bereich?

Lutzky: Phoenix Contact zählt zu den führenden Anbietern von WLAN, Bluetooth und mobilen Funkroutern für Industrieanwendungen und hat gemeinsam mit den Firmen Quectel und Ericsson den ersten industriellen 5G-Router für lokale Industrieanwendungen in einem privaten 5G-Netzwerk entwickelt. Damit können Industrieanwendungen wie Maschinen, Steuerelemente und andere Geräte nun mit einem 5G-Netzwerk verbunden werden, sodass die Ressourcennutzung, die Priorität und das Verhalten dieser Anwendungen orchestriert werden können. Dadurch bieten diese Anwendungen einen entscheidenden Vorteil gegenüber älteren Mobilfunklösungen. Denn diese können Funkbereiche nur nach dem Best-Effort-Prinzip nutzen und müssen damit bei zu hoher Belastung des Funkfrequenzspektrums Leistungseinbußen in Kauf nehmen.



LEADERSNET: Sie errichten gerade ein neues E-Mobility Werk in Polen. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Elektromobilität?

Lutzky: Die Zahl elektrisch betriebener Fahrzeuge steigt in Österreich und international kontinuierlich an. Elektromobilität ist heute ein wichtiger Faktor auf dem Weg in eine klimafreundliche Mobilität. Um den manchmal noch sorgenvoll betrachteten Ladevorgang alltagstauglich und komfortabel zu gestalten, werden flächendeckend schnelle Ladeinfrastrukturen benötigt. Dabei können wir bereits Ladeleistungen bis zu 500 kW realisieren. Der Markt dafür wächst dynamisch und erfordert bei der Phoenix Contact E-Mobility GmbH neue Produktionskapazitäten. 

LEADERSNET: Zahlreiche Konferenzen, Events und Messen wurden heuer Corona-bedingt abgesagt oder verschoben. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?

Lutzky: Die technologische Entwicklung schreitet rasant voran, zudem stellen wir erklärungsbedürftige Produkte her und präsentieren Jahr für Jahr zahlreiche Innovationen. Da ist der persönliche Austausch mit unseren Kunden und Partnern, die Entwicklung von Ideen und Projekten ein ganz zentrales Element. Insofern fehlen uns Messen und Veranstaltungen als wichtige Plattformen der Begegnung heuer sehr. Um die aktuelle Situation zu überbrücken, haben wir neue digitale Formate entwickelt.

LEADERSNET:  Ihre erste Online-Messe, die Dialog Days, waren ein voller Erfolg. Wie geht es in diesem Bereich weiter?

Lutzky: Die Vorarbeiten haben unseren digitalen Kompetenzen einen richtigen Boost gegeben. Der Erfolg hat uns dann selbst überrascht. Wir planen deshalb bereits die nächste Ausgabe, nämlich die "Phoenix Contact Dialog Days Fall 2020". Sie werden vom 16.-20. November 2020 stattfinden. In Form von Vorträgen, Präsentationen, einem virtuellen Messestand und den beliebten Live-Chats präsentieren wir die für die großen internationalen Messen "electronica" und "SPS" geplanten Themen wieder virtuell.

LEADERSNET: Wird das Engagement von Phoenix Contact in Forschung und Weiterbildung weiterhin aufrecht erhalten?

Lutzky: Selbstverständlich! Phoenix Contact hat in seiner fast 100-jährigen Firmengeschichte immer daran gearbeitet die richtigen Lösungen für die jeweiligen Erfordernisse der Zeit zu finden, sowohl in Bezug auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten als auch auf gesellschaftliche Fragen. Technologie spielte dabei immer eine wesentliche Rolle. Insofern behalten für uns Bildung, Forschung & Entwicklung weiterhin ihre große Bedeutung, die Dynamik nimmt sogar laufend zu. Und wir bleiben mit unseren Programmen wie EduNet ein stabiler Partner der Bildungsinstitutionen. (jw)


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