Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) steht nach den Turbulenzen der vergangenen Tage, die im Rücktritt von Harald Mahrer (LEADERSNET berichtete) gipfelten, vor einer Phase der Neuaufstellung. Am Samstag, dem 15. November 2025 hat Martha Schultz interimistisch die Agenden Mahrers, sowohl in ihrer Funktion als amtsführende WKÖ-Vizepräsidentin als auch als geschäftsführende Präsidentin des Wirtschaftsbundes übernommen. Die Entscheidung fiel im Rahmen einer Sitzung der Landespräsident:innen des Wirtschaftsbundes.
Schultz übernimmt bis zur Neuwahl
In einem internen Mail an Mitarbeiter:innen und Funktionär:innen zeigte sich Schultz offen über die angespannte Lage. Die vergangenen Tage hätten der Wirtschaftskammer "wehgetan", der Ernst der Situation sei erkannt worden. Vertrauen sei "etwas, das langsam wächst und schnell verloren geht", schrieb sie. Schultz kündigte an, die Organisation nur bis zur "Neubestellung“ zu führen – eine Lösung, die laut Branchenkreisen innerhalb weniger Wochen oder Monate erfolgen soll. Dennoch stellte sie klar: "Wir müssen jetzt zeigen, dass die Wirtschaftskammer bereit ist, sich zu verändern. Nicht irgendwann, sondern jetzt.“ Schultz verwies zudem auf ihre langjährige Tätigkeit im eigenen Unternehmen und betonte, sie kenne das Gefühl "als Erste aufzustehen und spätabends noch immer im Büro zu sitzen“. Mit diesem Verständnis wolle sie die Führungsaufgabe "in einer herausfordernden Phase“ übernehmen.
Martha Schultz steht an der Spitze eines traditionsreichen Tiroler Familienunternehmens. Die Gruppe ist im alpinen Tourismus aktiv – sie betreibt mehrere Skigebiete, Resorts, Hotels, Restaurants, einen Golfplatz sowie Wohnimmobilien in Tirol. Zusätzlich ist die Netzwerkerin und schon viele Jahre wirtschaftspolitisch aktiv.
Bundeskanzler Stocker fordert Kurswechsel
Bundeskanzler Christian Stocker begrüßte den Schritt von Mahrer und die interimistische Übernahme durch Schultz. Der Kanzler sprach von einer "erfahrenen Unternehmerin mit großer Wirtschaftsexpertise“, machte aber gleichzeitig deutlich, dass nun grundlegende Reformen notwendig seien.
Er erwarte von allen Beteiligten, „dass die Ursachen für den großen Vertrauensverlust verstanden und rasch behoben werden“. Die WKÖ müsse "die Zeichen der Zeit erkennen“ – sowohl bei Bezugserhöhungen als auch bei einer strukturellen Verschlankung und einem Beitrag zur Entlastung der Unternehmen. Die Kammer müsse verlorenes Vertrauen "durch nachhaltige Reformen“ zurückgewinnen.
Gratulationen und Appelle
EU-Abgeordnete Angelika Winzig gratulierte Schultz zu ihrer neuen Rolle und bezeichnete sie als "starke Unternehmerin mit Handschlagqualität und europäischem Weitblick“. In ihrer Funktion als Vizepräsidentin von Eurochambres sei Schultz eine zentrale Stimme für die österreichische Wirtschaft. Winzig zeigte sich überzeugt, dass die neue WKÖ-Spitze "Brücken bauen“ und den Standort Österreich im europäischen Kontext stärken werde.
Besonders deutlich reagierte die Tiroler Wirtschaftskammer. Landespräsidentin Barbara Thaler betonte, der Auftrag der Kammer sei klar: "für die Unternehmen da sein – nicht für die Schlagzeilen“. Sie erklärte, dass Tirol unabhängig vom Bund jene Schritte setze, die aus Sicht der Landesorganisation notwendig seien, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
So nahm Tirol die zuvor beschlossenen Erhöhungen der Funktionärsentschädigungen vollständig zurück, da diese "der falsche Zeitpunkt“ gewesen seien. Gleichzeitig sprach sich die Landesorganisation für eine bundesweite Gehaltsanpassung von 2,1 Prozent im Jahr 2026 für Mitarbeiter:innen aus. Für die gesamte Managementebene hingegen solle es eine Null-Lohnrunde geben, um ein klares Signal der Sparsamkeit zu setzen. Der bereits seit Monaten laufende Tiroler Reformprozess werde zudem beschleunigt.
"Ich begrüße die Entscheidung, dass die Tirolerin Martha Schultz die Führung auf Bundesebene übernimmt", so Thaler. Sie sei Unternehmerin durch und durch, leite die Schultz Gruppe und kenne den betrieblichen Alltag sowie die Verantwortung, die dahinterstehe. Sie bringe genau das mit, was diese Phase brauche: Ruhe, Klarheit und Augenmaß. "Ich bin überzeugt, dass sie der Wirtschaftskammer in dieser herausfordernden Situation Stabilität geben und den notwendigen Prozess gut begleiten werde", so Thaler.
IV fordert strukturellen Neustart
Auch die Industriellenvereinigung (IV) sieht die aktuelle Situation als Wendepunkt und fordert einen umfassenden strukturellen Umbau der WKÖ. IV-Präsident Georg Knill verwies auf die angespannte wirtschaftliche Lage, die von Stagnation, hohen Standortkosten und einem Rückgang der Investitionsbereitschaft geprägt sei. Gerade deshalb brauche es eine schlagkräftige, effiziente und moderne Interessenvertretung.
Die IV betont, dass die Wirtschaftskammer künftig deutlich schlanker, digitaler und strategischer ausgerichtet sein müsse. Sie solle ihre Ressourcen stärker bündeln und den Fokus von administrativen Aufgaben hin zu einer aktiven wirtschaftspolitischen Gestaltung verlagern. Darüber hinaus fordert die Industriellenvereinigung ein Entlastungspaket für Unternehmen: Die Kammerbeiträge sollen ab 2025 eingefroren und ab 2027 bis 2029 jährlich um zehn Prozent gesenkt werden, insgesamt also um 30 Prozent. Dies solle Betrieben mehr finanziellen Spielraum verschaffen.
Als weiteren zentralen Reformpunkt nennt die IV eine neue Berechnungsgrundlage für die Umlagen. Das derzeitige System orientiere sich stark an Lohn- und Gehaltssummen und belaste jene Unternehmen stärker, die Beschäftigung ausbauten oder höhere Löhne zahlten. Eine sachgerechtere, weniger bürokratische Grundlage solle künftig die tatsächliche Leistungsfähigkeit eines Betriebs besser widerspiegeln.
Zudem sieht die IV Anpassungen in Governance und Wahlrecht als notwendig an. Föderale Strukturen und Entscheidungswege seien vielfach nicht mehr zeitgemäß. Eine Modernisierung der regionalen Organisation und eine stärkere Einbindung beitragsstarker Mitglieder könnten Vertrauen und Verantwortlichkeit erhöhen.
Knill betonte, die Kammer müsse sich den gleichen Anforderungen stellen wie jedes moderne Unternehmen: effizienter Ressourceneinsatz, klare Strukturen und ein konsequenter Fokus auf Wirkung. "Stillstand können wir uns nicht mehr leisten", so der IV-Präsident.
Übergangsphase mit Signalwirkung
Mit der interimistischen Übernahme durch Martha Schultz beginnt für die WKÖ eine Phase der Neuorientierung, die weit über Personalentscheidungen hinausgehen dürfte. Die politischen und wirtschaftlichen Reaktionen zeigen, dass die Erwartungen an eine rasche und glaubwürdige Erneuerung hoch sind.
Während Schultz erklärt, die Organisation "durch die nächste Zeit" zu begleiten und Veränderungsbereitschaft einzufordern, erhöhen Politik, Bundesländer und Sozialpartner den Druck auf strukturelle Modernisierung. Die kommenden Wochen werden entscheidend dafür sein, ob es der Wirtschaftskammer gelingt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und sich als starke und moderne Interessenvertretung in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten neu aufzustellen.
www.wko.at
www.wirtschaftsbund.at
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