Österreichs Unternehmen stehen vor einer Nachfolgekrise. Viele Betriebe haben den Übergabeprozess noch nicht geregelt oder finden keine Nachfolger:innen. Bis 2030 droht laut Expert:innen ein Ausverkauf kleiner und mittlerer Unternehmen. Auf Einladung der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL) diskutierten in der aktuellen, mittlerweile 33. Ausgabe der "Top Speakers Lounge", die bei BDO Austria über die Bühne ging, Marie-Christine von Pezold (FBN Switzerland), Florian Meindl (BDO Austria), Sabine Hönigsberger (Erste Bank) und Ulrike Rabmer-Koller (Rabmer Gruppe) über mögliche Lösungsansätze. Moderiert wurde die Runde von Kathrin Gulnerits.
"Keine Small-Talk-Runden"
HKSÖL-Generalsekretär Urs Weber erklärte gegenüber LEADERSNET.tv die Bedeutung und Besonderheit des bewährten Formats. Die Veranstaltung sei bewusst vielfältig gestaltet – sowohl inhaltlich als auch in der Zusammensetzung des Podiums. "Wir machen diese Veranstaltung ganz absichtlich möglichst heterogen – Damen und Herren, Vertreter:innen aus Wissenschaft und Wirtschaft, nach Möglichkeit auch immer aus der Schweiz, aus Österreich und aus Liechtenstein", erklärte Weber. Ziel sei es, dass die Teilnehmenden "ein wirkliches Learning haben, also tatsächlich weiterkommen und etwas mitnehmen". Es mache seiner Ansicht nach wenig Sinn, Personen an einem Tisch zu haben, die einander nur zustimmen. Vielmehr wolle man auch kritische Stimmen zu Wort kommen lassen und "keine Small-Talk-Runden, sondern einen kultivierten Dialog, der uns alle weiterbringt". Jede Top Speakers Lounge biete, so Weber, neue Impulse und Erkenntnisse, "bei denen man jedes Mal etwas lernen kann".
Fehlende Planung bei fast der Hälfte der Unternehmen
Wie eingangs erwähnt, gibt es in Bezug auf die Unternehmensnachfolge diverse Herausforderungen. Laut Marie-Christine von Pezold, Speakerin Family Governance Advisory, haben 47 Prozent der Unternehmen den Nachfolgeprozess noch nicht begonnen. "Nur 32 Prozent haben die Nachfolge der Anteile geregelt und lediglich elf Prozent die Übergabe vollendet. Doch wenn man nichts plant, dann plant ein anderer – und entscheidet möglicherweise nicht so, wie man es selbst gerne hätte", so von Pezold. Die Ursachen lägen oft in familiären Dynamiken und emotionalen Spannungen, die rationale Entscheidungen erschwerten. Die Daten basieren auf einer Studie der HSG Fribourg zur Nachfolge in der Schweiz, seien aber mit der Situation in Österreich vergleichbar.
"Kopf in den Sand" hilft nicht weiter
BDO-Partner Florian Meindl sieht das Hauptproblem darin, dass viele Unternehmer:innen nicht loslassen können. "Ich habe Kunden, da wurde so lange gewartet, bis der Sohn schon langsam in Pension geht", sagt Meindl. Es sei unangenehm, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, doch wer das Thema ignoriere, verschärfe die Probleme – auch steuerlich. Er betont die Bedeutung offener Kommunikation mit Familie, Belegschaft und Stakeholdern.
Auch Sabine Hönigsberger, Bereichsleiterin Firmenkunden Österreich bei der Erste Bank, warnt vor Untätigkeit: "Das Schlimmste, was man tun kann, ist, den Kopf in den Sand zu stecken. Dadurch tritt ein Wertverlust ein." Sie rät, frühzeitig mit Bank und Steuerberatung zu sprechen und betont, dass eine geregelte Nachfolge Grundlage für nachhaltige Wertschöpfung sei. In manchen Fällen könne auch ein:e Mediator:in hilfreich sein. "Man muss der nächsten Generation die Möglichkeit geben, ins Unternehmen hineinzuwachsen", so Hönigsberger.
"Schritt für Schritt hineinwachsen"
Wie eine erfolgreiche Übergabe gelingen kann, schilderte Ulrike Rabmer-Koller, geschäftsführende Gesellschafterin der Rabmer Gruppe, anhand eigener Erfahrungen: Sie habe zehn Jahre Zeit gehabt, sich auf die Betriebsübernahme vorzubereiten. "Ich wurde nicht ins kalte Wasser gestoßen. Man muss da Schritt für Schritt hineinwachsen", so Rabmer-Koller. Sie habe ihre eigenen Ideen einbringen und das Unternehmen weiterentwickeln können – bei gleichzeitigem Respekt gegenüber der Vorgängergeneration.
Mit Blick auf die Zukunft plant Rabmer-Koller bereits den nächsten Generationenwechsel: Ihre Kinder wolle sie nicht dazu drängen, den Betrieb zu übernehmen. "Sie sollen das machen, was ihnen Freude bereitet. Nur dann können sie es gut", sagt sie. Ziel sei es, Lösungen zu finden, die sowohl der Familie als auch dem Unternehmen gerecht werden.
Video-Interviews
LEADERSNET.tv holte neben Urs Weber, Marie-Christine von Pezold, Florian Meindl, Sabine Hönigsberger und Ulrike Rabmer-Koller noch Christoph Obererlacher, CEO Swiss Life Select Österreich, und Lisa Zinnöcker, Leitung Standort Wien der Raiffeisenlandesbank OÖ, vor die Kamera.
Fotos von der Top Speakers Lounge bei BDO sehen Sie in der Galerie.
www.hk-schweiz.at
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