Gastkommentar von Hans Harrer
Selbstbestimmt statt fremdbestimmt

| Redaktion 
| 16.09.2025

Ein Gastkommentar von Hans Harrer, Vorstandsvorsitzender vom Senat der Wirtschaft, aus der ersten Ausgabe des "Boom - Wirtschaft für Menschen"-Magazins. 

Beim Blick durch die Nachrichten bekommt man den Eindruck: Österreich taumelt durch das Dickicht multipler Krisen Europa verliert sich in regulatorischer Selbstbeschäftigung und moralischer Selbstüberschätzung, während der Rest der Welt längst die nächste Evolutionsstufe der Wirtschaft und der Gesellschaft einleitet. Die Politik? Reagiert, statt zu agieren. Diskutiert, statt zu entscheiden. Blockiert, statt zu befreien. Wer glaubt, man könne sich durchwursteln wie bisher, wird vom Wandel überrollt werden. Oder, wie ich es zuspitzen möchte: Die Metamorphose ist kein kosmetischer Akt – sie ist ein Überlebensprogramm.

Europa zwischen Aspirin und Ambition

Es ist paradox: In Brüssel diskutieren wir über Green Deals, Taxonomien und Lieferkettenrichtlinien – alles wichtig, keine Frage. Doch während Europa sich mit Symptombehandlung beschäftigt, setzen andere auf den großen Wurf. Die USA fördern Innovation mit milliardenschweren Programmen, China skaliert Technologien in Lichtgeschwindigkeit, und Indien schafft mit einer digitalen Verwaltungsinfrastruktur für 1,4 Milliarden Menschen das, woran unser E-Government im Kleinen scheitert.

Wir hingegen klammern uns an die Illusion, Wandel könne verwaltet werden. Aber Transformation lässt sich nicht exekutieren wie ein Infrastrukturprojekt. Sie braucht Vision, Mut und vor allem Macher:innen. Menschen, die sagen: "Machen wir's doch selber!"

Was fehlt, ist das mentale Umschalten. Raus aus der Opferrolle, hinein in eine neue Kultur der Verantwortung. Das bedeutet auch: weg mit dem Sicherheitsdenken, das jede unternehmerische Entscheidung lähmt. Wer heute ein Unternehmen gründet, wird wie ein:e Verdächtige:r im Ermittlungsverfahren behandelt. Die Liste der Pflichten, Kontrollen und Auflagen ist endlos. Dabei sind Gründer:innen genau jene Menschen, die Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Innovation und Steueraufkommen generieren. Ein radikaler Perspektivenwechsel ist überfällig: Wir brauchen eine wirtschaftspolitische Kultur, die nicht am Unternehmer:in zweifelt, sondern auf ihn:sie setzt. Das bedeutet: Deregulierung, steuerliche Entlastung, eine schlanke und digitale Verwaltung – und vor allem eine Bildungs- und Gründeroffensive, die Unternehmertum wieder attraktiv macht.

Eine verbindende Vision – oder die Bedeutungslosigkeit

Was Europa fehlt, ist ein Leitstern. Eine Vision, die über nationale Egoismen hinausgeht. Die Technologiepolitik nicht dem Silicon Valley überlässt, sondern eigene Standards setzt. Die erkennt: Ohne wirtschaftliche Stärke gibt es keine politische Gestaltungsmacht. Wir brauchen kein Update – wir brauchen einen Neustart. Und der beginnt nicht in Hinterzimmern, nicht in Brüsseler Arbeitsgruppen, sondern in den Köpfen und Herzen all jener, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Der Wandel gehört nicht den Bewahrer:innen, sondern den Rulebreakern. Diejenigen, die nicht fragen, was möglich, sondern was nötig ist. Deshalb ist mein Appell klar: Warten wir nicht auf die nächste Verordnung, den nächsten Fördertopf oder das nächste Gipfeltreffen. Machen wir's doch selber!

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