Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Liberalismus im Wandel

| Redaktion 
| 18.05.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Meine geneigten Leser:innen mögen mir zustimmen: Die letzten Wochen waren politisch mehr als ereignisreich. Ein holpriger Start der neuen deutschen Bundesregierung, ausgelöst durch den gescheiterten ersten Wahlgang von Bundeskanzler Friedrich Merz. Die überraschend rasche Wahl des ersten US-amerikanischen Papstes. Die Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag des Kriegsendes. Drei Jahrzehnte EU-Mitgliedschaft Österreichs. Und schließlich die Budgetrede des neuen österreichischen Finanzministers Markus Marterbauer – ein Vorgeschmack auf die Herausforderungen, die dem Land bevorstehen dürften.

Liberale Politik 

Inmitten dieser welt- und innenpolitischen Ereignisse ging ein Thema weitgehend unter, das dennoch besondere Aufmerksamkeit verdient: der gegensätzliche politische Kurs zweier liberaler Parteien dies- und jenseits der Grenze. In Deutschland ist die FDP – nach einer Regierungsbeteiligung – zum zweiten Mal nicht mehr im Bundestag vertreten. Gleichzeitig ziehen in Österreich die NEOS erstmals in eine Bundesregierung ein. Geneigte Leser:innen, erlauben Sie mir an dieser Stelle den Hinweis: Dieser Text erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern schildert die Perspektive eines politisch interessierten Beobachters.

Beginnen wir mit einer kurzen Einordnung. Auch wenn die FDP bereits 1948 gegründet wurde und die NEOS erst 2012 – teils als Abspaltung, teils als Neugründung – eint beide Parteien der Anspruch, liberale Politik zu vertreten. Doch was genau bedeutet klassischer Liberalismus? Es handelt sich dabei um eine politische Tradition, die sich für eine freie Marktwirtschaft, unternehmerische Freiheit, bürgerliche Rechte im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit sowie für individuelle Autonomie und eine begrenzte Rolle des Staates einsetzt. Diese Prinzipien finden sich – in unterschiedlicher Ausprägung – zwar in fast allen Parteien wieder. Doch gerade das macht die klare Abgrenzung liberaler Parteien schwieriger.

Warum haben Liberale also einen so schweren Stand? Tatsächlich scheinen liberale Parteien weltweit nur selten über 15 Prozent der Stimmen zu kommen – oder scheitern gar ganz an der Mandatshürde. Das liegt unter anderem daran, dass liberale Positionen in der politischen Mitte zunehmend von anderen Parteien vereinnahmt werden. Während klar rechte oder linke Parteien durch Polarisierung Wählerschichten binden, verschwimmen die Konturen der Liberalen oft im politischen Einheitsgrau.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Bürger:innen zentrale liberale Grundsätze – wie Eigenverantwortung, Leistungsprinzip oder eine schlankere Staatsstruktur – nicht mehr als erstrebenswert empfinden. Stattdessen wächst die Sehnsucht nach einem umfassend sorgenden Staat. Der ironisch abgewandelte Slogan "Von der Wiege bis zur Bahre zahlt der Staat für alle Jahre" beschreibt diese Entwicklung pointiert.

Auch das mangelnde Bewusstsein für die Folgen einer stetig wachsenden Staatsverschuldung trägt dazu bei. Dass Einsparungen notwendig sind, wird oft anerkannt – aber bitte bei den anderen. Und wenn Liberale dann für Steuergerechtigkeit und Leistungsanreize plädieren, wird ihnen rasch Klientelpolitik für "die Reichen" unterstellt, obwohl ihr Bekenntnis zu Chancengleichheit und Bildungspolitik genau das Gegenteil beabsichtigt.

Spannungsfeld zwischen liberalem Anspruch und pragmatischem Regierungshandeln

Was aber macht es für liberale Parteien besonders schwer, in Regierungsverantwortung zu bestehen? Meines Erachtens liegt die Herausforderung im Spannungsfeld zwischen liberalem Anspruch und pragmatischem Regierungshandeln. Die typischen Wähler:innen liberaler Parteien erwarten weniger Steuern, mehr Markt, weniger Staat – alles Forderungen, die in Koalitionen, vor allem mit linken oder sozialdemokratischen Partnern, nur schwer durch- bzw. umsetzbar sind. Die Kompromisse, die dann notwendig werden, schwächen das Profil der Partei. Dies sieht man jetzt auch beim Budget in Österreich. Es gibt mehr anstatt weniger Staat und mehr als ein Drittel des Budgetdefizits werden nicht durch Sparen auf der Ausgabenseite erreicht, sondern durch zusätzliche (Steuer)-Einnahmen. Wie FDP-Chef Christian Lindner treffend sagte: "FDP sei Dank – die schlimmsten Exzesse der Ampelregierung wurden verhindert." Doch das Verhindern allein lässt sich kaum als politischer Erfolg verkaufen, denn es wird selten sichtbar. Oft bleibt als Profilierungsfeld nur die Bildungspolitik – so auch in Wien bei den NEOS.

Wenn liberale Parteien es nicht schaffen, jede Entscheidung nachvollziehbar anhand ihrer Grundprinzipien zu gestalten und zu erklären, drohen sie in der Mitte aufgesogen zu werden. Nur durch konsequente Kommunikation kann verhindert werden, dass sie als bloße Kompromissmaschinen wahrgenommen werden.

In meiner Heimat Baden-Württemberg haben Koalitionen zwischen Konservativen und Liberalen über Jahre gut funktioniert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung 2009 in Deutschland allerdings war ein warnendes Beispiel, wie man es nicht machen sollte.

Idee des Liberalismus lebt 

Trotz aller Rückschläge: Die Idee des Liberalismus lebt. Viele Menschen wünschen sich nach wie vor mehr persönliche Freiheit, mehr Verantwortung und weniger staatliche Bevormundung. Damit diese Stimmen nicht verhallen, müssen liberale Parteien mutiger, klarer und glaubwürdiger auftreten – ohne Angst, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen und diese, wenn sie in Regierungsverantwortung sind, auch durchzusetzen. Denn wer den Staat reformieren will, muss mehr bieten als ein (viel strapaziertes) "Weiter wie bisher" in liberalem Gewand. Er oder sie muss erklären, warum Freiheit, Eigenverantwortung und Leistung nicht nur schöne Worte, sondern tragende Säulen einer zukunftsfähigen Gesellschaft sind. Hier sehe ich jetzt schon die NEOS in Österreich auf dem Weg, den die FDP in Deutschland gegangen ist.

Einmal mehr gilt die Parallele zu einem Wirtschaftsunternehmen: Motivation hängt ganz maßgeblich von Teilhabe ab und davon, dass alle mitgenommen werden, kurz: das WARUM verstehen und bei nicht Verständlichem auch Nein sagen. Bei JTI Austria schreiben wir diese Vorgehensweise groß, und ich denke, das würde auch den politisch Verantwortlichen gut anstehen.

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