"Der ORF kann damit ein Angebot schaffen, das alle Privaten nicht mehr konkurrenzfähig macht"

| Christoph Aufreiter 
| 25.04.2023

Der Poker um die ORF-Finanzierung via Haushaltsabgabe geht in den Endspurt. Erste Details sorgen bei privaten Medien für Unruhe. LEADERSNET hat bei Chefredakteur:innen und Herausgeber:innen nachgefragt. Sie fürchten ein Mediensterben.

Ab 2024 müssen alle Haushalte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlen – völlig unabhängig davon, ob man ein Empfangsgerät besitzt oder nicht (LEADERSNET berichtete). Nun sickern erste Details über den Stand der Verhandlungen zum neuen Medienpaket durch.

700 Millionen pro Jahr

Fest stehen dürfte, dass zwischen 3,85 und 3,9 Millionen Haushalte und Firmen künftig 15,30 Euro pro Monat – also 183,6 Euro jährlich – zahlen müssen. In den meisten Bundesländern kommt außerdem noch eine Länderabgabe hinzu. Das ergibt eine Summe von etwa um die 700 Millionen Euro.

Fairer Wettbewerb "unmöglich"

Mit den Einnahmen aus dem Werbeverkauf wird der ORF damit wohl deutlich auf ein Budget von über einer Milliarde Euro jährlich kommen. Hört man in die Branche, nimmt man viel Unmut wahr. Das sei eine Summe, die von keinem privaten Medienhaus stemmbar sei, heißt es etwa. Ein fairer Wettbewerb sei damit de facto unmöglich.

Das, so die Befürchtung vieler privater Medienhäuser, könnte die Schieflage am Markt weiter verstärken. Denn es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass es keine Deckelung der Artikel-Zahl auf orf.at geben solle. Dies wurde von den Verleger:innen dringend eingefordert und sogar von ORF-Chef Weißmann selbst vorgeschlagen.

Festgeschrieben werde nur, dass 70 Prozent des Inhalts auf orf.at Bewegtbild sein solle und nur noch 30 Prozent Text. Die Befürchtung: Das könne der Manipulation des Umfangs, etwa durch zugekaufte Bewegtbild-Inhalte, Tür und Tor öffnen. Dem gegenüber steht nur ein Zugeständnis der Politik an die privaten Medien: Begriffe wie "zeitungsähnlich" oder "Überblicksberichte" sollen im Gesetz genauer präzisiert werden.

"Viele Medien werden sterben"

"Es ist relativ einfach", meint Anna Thalhammer, Chefredakteurin des profil, gegenüber LEADERSNET. "Der ORF bekommt immer mehr Rechte und Geld aus öffentlicher Hand – und bald auch verordnet vom Bürger. Damit kann der Öffentlich-Rechtliche ein Angebot schaffen, das alle anderen nicht mehr konkurrenzfähig macht – und somit auch ein Großteil des Werbeetats frisst. Damit werden kleinere, qualitätsvolle Medien – die ohnehin in der Krise sind – noch mehr in Bedrängnis gebracht." Thalhammer befürchtet dabei eine düstere Zukunft für Private: "Und ja, viele (Medien adR.) werden sterben."

"Der ORF soll kontrolliert und erpressbar gehalten werden"

In dasselbe Horn bläst auch Armin Thurnher, Herausgeber des Falter, gegenüber LEADERSNET.

"Die durchgesickerten Details zeigen, dass diese Regierung, wie fast alle Regierungen vor ihr, Medienpolitik nur als Selbsterhaltung begreift. Weder hat sie ein Konzept zur Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, noch des seriösen Journalismus – was sich an der Einstellung der Wiener Zeitung zeigt. Den ORF kontrollieren, erpressbar und parteipolitisch abhängig halten einerseits und die Schutzgeldzahlungen an die 'Quälmedien' fortsetzen andererseits – das ist ungefähr die Richtung", so Thurnher.

Der Herausgeber zeigt sich dabei bereits etwas resignierend. Auf die Frage, ob diese Regelung die Schieflage am Markt verstärken würde, meint er: "Dieser Markt liegt so schief, man kann sich kaum vorstellen, dass er noch schiefer liegen könnte."

Auch Heute-Herausgeberin Eva Dichand kritisiert die Pläne in einem Tweet.

Keine Begrenzung für Digital-only

Digital-only-Content solle laut den Plänen übrigens erst gar nicht begrenzt werden. Der ORF könne damit im digitalen Raum künftig "tun und lassen, was er will", so ein Brancheninsider gegenüber LEADERSNET. Im Sinne von "digital first" sollen außerdem TV-Inhalte 24 Stunden vor Ausstrahlung online verfügbar sein dürfen.

www.orf.at

www.profil.at

www.falter.at

www.heute.at

Das Problem ist eine institutionalisierte Inseratenkorruption gepaart mit politischer Anbiederung an die jeweiligen Redaktionen. Über Subventionen ohne Ausgabenbegrenzung werden eigentlich nicht lebensfähige Gratis-Printmedien (heute/oe24), auch auf Kosten kleinerer Regionalmedien, am Leben erhalten. Jahrelang wurde die Digitalseite vernachlässigt, die man vorher mit der Gewöhnung des Publikums an Gratiscontent kaputt gemacht hat. Mit dem Aufkommen von Google et al war dann der perfekte Sturm da. Die blaue Seiten von orf.at unterliegen heute schon diversen Begrenzungen (zB 80 Regionalmeldungen pro Woche etc).
Es empfiehlt sich die Podcastfolge von Scheuba fragt nach... bei Fritz Hausjell (Uni Wien) zur Einordnung des Medienmarktes und der neuen (handwerklich schlechten) Medienfördernovelle. Weiterführend wird der Podcast Inside Austria - Kurz und der Boulevard (Folgen 1&2) empfohlen. Danach ist klar, dass es massive Strukturumbrüche in der österreichischen Medienlandschaft geben wird (müssen). Keine der durch den VÖZ vertretenen Blätter macht durch die Beschneidung von orf.at mehr Traffic, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Der ORF sollte seine Archive öffnen dürfen (wieso nur 7 Tage bei DEN Gebühren). Denkbar wäre auch ein Kooperationsgebot mit den Privaten. Qualitativ gute Publikationen (nicht RS/Exxpress mit über EUR 700.000) sollten durch objektivierte Subventionen unterstützt werden. So kann der Übergang in die vollkommene Digitalisierung und der Erhalt einer pluralistischen Medienlandschaft gelingen. Sonst drohen Zustände wie den USA, wo breite Teile der Bevölkerung sehr schlecht informiert sind und das National Public Radio ein Schattendasein fristet.
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Um die Medienvielfalt wär's schon schade. Seh auch nicht ein, wieso der ORF eine dermaßen einzigartige Stellung haben sollte - weltweit.

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