Ukrainische Migrant:innen in der EU – ein interessanter Kundenstamm für Banken

| Redaktion 
| 22.03.2023

Gastkommentar von Kyrylo Shevchenko, Ex-Nationalbankchef der Ukraine.

Am 1. Februar verlängerte das österreichische Parlament mit Mehrheitsbeschluss das Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge aus der Ukraine um ein weiteres Jahr und bestätigte damit erneut den Status Österreichs als verlässlicher Freund und Partner der Ukraine. Österreich gehört zu den Top 10 Ländern, in denen heute Ukrainer:innen leben, die infolge des Krieges ihr Land verlassen haben. Dies wird durch offizielle Statistiken bestätigt. Nach Angaben des österreichischen Innenministeriums wurden vom 24. Februar bis 31. Dezember 2022 fast 91.000 Flüchtlinge aus der Ukraine im Land registriert, rund 66.000 davon befinden sich noch in Österreich. Gleichzeitig will etwa die Hälfte der nach Österreich geflohenen Ukrainer:innen für immer im Land bleiben.

Neukund:innen mit Potenzial für Banken

Temporäre Migrant:innen aus der Ukraine sind für österreichische und EU-Banken sehr interessante Kund:innen und geben neue Impulse für deren Entwicklung. Nach Angaben der Vereinten Nationen blieben bis Mitte November 2022 7,6 Millionen Ukrainer:innen im Ausland und mit 4,5 Millionen die meisten davon in Europa, vor allem in Polen, Deutschland, Tschechien, Italien, Türkei und Österreich.

Sowohl Österreich als auch andere europäische Länder spürten diese Zunahme von Arbeitskräften aus der Ukraine: Obwohl zwar vor allem Frauen mit Kindern vor dem Krieg flohen, haben diese sich vor Ort Anstellungen gesucht oder versucht ihre eigenen Geschäfte zu entwickeln. Dank dieses Engagements haben einige Staaten den Beitrag der Immigration zu ihrem BIP bereits gespürt – und einige andere haben ihn sogar im Voraus berechnet. Die Rede ist hier von Polen, Tschechien, Ungarn und den baltischen Ländern, aber auch eine Reihe weiterer Länder stellen mit Blick auf ukrainische Migrant:innen langfristig positive Prognosen für das Wirtschaftswachstum auf.

Gleichzeitig zahlen Immigrant:innen auch Steuern und Abgaben – und leisten somit ihren Beitrag für die europäischen Haushalte. Zum Beispiel zahlten sie in Polen während der Zeit der Invasion innerhalb von zehn Monaten Steuern in der Höhe von insgesamt 2,4 Milliarden Dollar.

Ukrainischer Geldfluss in Europa

Ukrainer:innen gaben zuerst ihre Ersparnisse von ihren ukrainischen Kartenkonten in Europa aus: und zogen so monatlich von 580 Millionen Dollar bis zu zwei Milliarden Dollar in bar ab. Seit Ende des Jahres 2022 geben sie auch ihre Einkünfte zunehmend im Gastland aus.

Die Betreuung der Kartenkonten von Migrant:innen ermöglichte es dem Bankensystem der Ukraine im Jahr 2022 gutes Geld zu verdienen und die Gesamtrentabilität von Finanzinstituten zu steigern. Im Allgemeinen sank diese nach der umfassenden Invasion im Vergleich zu den Vorjahren von 66 Milliarden UAH im Jahr 2021 auf 19,4 Milliarden UAH im Jahr 2022 (Daten für elf Monate). Aber sie blieb positiv, trotz der Zunahme von Problemkrediten und direkten militärischen Verlusten von Banken. Unter anderem durch die Erhöhung der Transaktionserträge des ukrainischen Finanzsektors.

Das Volumen der bargeldlosen Zahlungen hat zugenommen, wie aus den letztjährigen Berichten der ukrainischen Banken hervorgeht und die Ukrainer:innen nutzten ihre Kartenkonten aktiver als je zuvor:

  • +8 Prozent bei der Anzahl der Kartentransaktionen (bis zu zwei Milliarden Einheiten);
  • +60 Prozent bei Kartentransaktionen (bis zu 1,3 Billionen UAH).

Das ist eine beeindruckende Dynamik.

Die Zahlen stammen aus dem Bericht für das 3. Quartal 2022, und übertreffen damit in absoluten Zahlen die Jahreszahlen von 2018-2021. Und sie belegen auch die aktive Nutzung der gesamten Palette der Zahlungsmittel. Die meisten Kartenzahlungen (nach Stückzahl) wurden von Ukrainer:innen mit kontaktlosen Karten durchgeführt (44,6 Prozent), mit NFC-Geräten (41,9 Prozent) und mit physischem Kartenlesen (13,5 Prozent).

Demnach haben jene, die 2022 nach Europa fliehen mussten, aktiv vor Ort arbeiten und Steuern zahlen, die perfekten Kundenprofile für österreichische und europäische Banken. Daher sollten diese auch gezielt ihre Finanzdienstleistungen und ihr Banking für diese Zielgruppe einsetzen. Auch Kreditauskunfteien sollten damit beginnen, Daten über Kredithistorien auszutauschen, denn ukrainische Migrant:innen haben ein ernsthaftes Potenzial.

Ukrainer:innen lieben Abwechslung und reagieren auf interessante Angebote. Daher bin ich sicher, dass sie nach dem Abschluss von Vereinbarungen mit europäischen Banken nicht damit beginnen werden, ihre Konten in ihrem Heimatland zu schließen. Ukrainische Banken hingegen werden für diese Menschen nicht über die Grenzen hinausgehen, wenn sie ihnen weiterhin Qualität bieten können, obwohl sich der Wettbewerb zwischen europäischen Finanziers und ukrainischen Finanzinstituten verschärfen könnte. Und Wettbewerb ist bekanntlich der Motor für Qualität und Innovation. Österreich ist ein Land, wo das sehr gut verstanden wird.


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV