"Unser redaktioneller Basisdienst ist ein wohltuendes Kühlmittel in überhitzten und polarisierten Meinungsmärkten"

| Redaktion 
| 06.02.2023

APA-Geschäftsführer Clemens Pig spricht im LEADERSNET-Interview u.a. über den Umbruch in der Medienbranche, neue Produkte aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die Zunahme von "Hate Speech" und Herausforderungen für den Qualitätsjournalismus.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Pig, Sie sind seit 2014 Geschäftsführer der Austria Presse Agentur (APA) – durch welche Lebensgeschichte sind Sie in diese Position gekommen und welche Skills muss man haben, um Österreichs größten Content-Produzenten zu führen?

Pig: Mein Zugang zur APA erfolgte über das Unternehmen MediaWatch, Institut für Medienanalysen, das ich 1996 während meines Politikwissenschaftsstudiums in Innsbruck gemeinsam mit Kollegen als Start-up gegründet habe. Die APA, die ja auch eine Division für Kommunikationsdienstleistungen betreibt, wurde auf unsere damals neue Methode zur Messung und Analyse des Themen- und Image-Managements von Politiker:innen und Unternehmen in TV-Beiträgen aufmerksam. So ergab sich eine Kooperation, die schließlich in meinem Verkauf des MediaWatch-Instituts an die APA mündete. Damit führte 2008 auch mein persönlicher Weg nach Wien, wo ich in der APA-Gruppe zunächst als Marketingdirektor und Geschäftsführer des Tochterunternehmens APA-DeFacto tätig war und dann 2014 die Geschäftsführung der APA-Gruppe übernahm, ab 2016 als Vorsitzender und geschäftsführender Vorstand.

Aufgrund meiner beruflichen Herkunft und als Gründer eines Start-ups bin ich in meinem Handeln in der APA immer unternehmerisch geprägt. Gerade im volatilen Umfeld der Medien- und Kommunikationsbranche halte ich das für das wichtigste Momentum: ich bin Innovations-getrieben und Ergebnis-orientiert. Für die APA ist dieser Zugang immer mit einem übergeordneten Ziel in Einklang zu bringen: die langfristige Sicherung von unabhängigem und faktenbasiertem Agentur-Journalismus. Das ist meine und unsere tägliche Motivation. Dazu kommt in den Skills des APA-Chefs ganz bestimmt eine Prise diplomatisches Geschick dazu zur Aussteuerung der unterschiedlichen Stakeholder der APA: Belegschaft, Eigentümer und Kunden.

LEADERSNET: Welche Besitzstruktur verbirgt sich hinter der APA, welche Dienstleistungen bietet das Unternehmen mit wie vielen Mitarbeiter:innen an?

Pig: Die Eigentümer der genossenschaftlich organisierten APA sind zwölf österreichische Tageszeitungen und der ORF, die gemeinsam in ihrer Vielfalt die Unabhängigkeit des Unternehmens garantieren. Die genossenschaftliche Gesellschaftsform dient hier als moderne, wettbewerbsfähige Spielart der Sharing Economy. Die APA-Redaktion liefert das nationale und internationale Zeitgeschehen rund um die Uhr als digitalen, multimedialen Nachrichtenstrom. Dabei ist sie laut Statut zur faktenbasierten, zuverlässigen, schnellen und ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet. Aus der Redaktion heraus entstehen auch inhaltliche und technische Dienstleistungen für Informationsbetriebe. APA-OTS und APA-DeFacto richten sich mit spezialisierten Lösungen an die PR- und Kommunikationsbranche. Darunter fallen Bildagentur-, Produktions-, Verbreitungs-, Recherche-, Beobachtungs- und Analyseservices. APA-IT ist schließlich der Technologieanbieter der APA selbst und beliefert Medien und Unternehmen mit maßgeschneiderten, ausfall- und datensicheren IT-Services. Mit allen Units gemeinsam forscht und entwickelt APA-Tech an Lösungen für die Information und Kommunikation der Zukunft, von AI über Daten bis zu Verification. Der Mitarbeiterstand in der APA-Gruppe insgesamt liegt derzeit bei 500 FTE (Vollzeitäquivalenten)

LEADERSNET: Die Medienbranche ist im Umbruch und das Stichwort "Digitale Transformation" ist allseits präsent – wie reagiert die APA auf diese Herausforderungen?

Pig: Die Digitalisierung als Prozess durchzieht alles, was wir tun; zieht sich gleichsam als roter Faden durch unser Denken, die Art, wie wir die Dinge betrachten, begreifen, kommunizieren oder wie wir Produkte und Services gestalten. Dazu muss das ganze Unternehmen mitgenommen werden. Dies umfasst digital Skills und digital Leadership, digitale Produktentwicklung, aber auch Prozessthemen. Wir haben neue Berufsfelder geschaffen, wie etwa einen Chief Digital Officer oder Datenanalyst:innen, Grafik- und UX-Designer. Wir sind eine lernende Organisation und sehen das Digitale als Betriebssystem, das laufend neue Updates braucht, um sich weiterentwickeln zu können. Wichtig ist es, dass der Fokus in all dem Digitalen auf den Menschen bleibt. Sie sind es schließlich, für die wir die Lösungen entwickeln. Managementseitig gilt es, Hürden aus dem Weg zu räumen, die der Innovation im Wege stehen. Im APA-medialab beispielsweise haben wir Raum und Zeit geschaffen, um interdisziplinär auf Basis von Design-Sprints innerhalb weniger Tage Prototypen für Medienanwendungen zu entwickeln. Hier wurde schon eine Reihe an Innovationen geboren, die heute im Einsatz sind.

Wir gehen dabei aber noch einen Schritt weiter, denn wir wollen das Digitalisierungspotenzial nicht nur für die APA selbst nutzen, sondern unsere Eigentümer und die Informations- und Kommunikationsbranche insgesamt im digitalen Wandel unterstützen. Die Rolle der APA als unabhängige Plattform ist dafür wie geschaffen. Hier gibt es auch schon eine Vielzahl gelungener Beispiele medienübergreifender Plattformen, wie z.B. der digitale Zeitungsstand Austria Kiosk, das Medien-login-System MediaKey, die Austria Videoplattform und einige weitere. Im digitalen Wandel nachhaltig erfolgreich zu sein, kann angesichts des globalen Wettbewerbs nur gemeinsam gelingen, über Kooperationen. Und das in alle Richtungen: unternehmens-, branchen-, disziplin- oder länderübergreifend.

LEADERSNET: Wie sehr hat sich das Geschäftsmodell der APA im Lichte der Digitalisierung verändert – welche Produkte sind dadurch neu auf den Markt gekommen?

Pig: Die APA ist schon sehr lange ein digitales Unternehmen, deren Produkte sich schon seit Jahrzehnten im digitalen Raum abspielen – schon vor Zeiten des Internet. Wir haben das quasi in unseren Genen - diese Grundhaltung und -spannung, die neuen Möglichkeiten der Informationsgestaltung und -verbreitung auszuschöpfen. Wir haben mit dem PR-Desk für die Kommunikations- und dem APA-NewsDesk für die Informationswelt eigene Plattformen geschaffen, die die jeweiligen Workflows unterstützen und auf denen Module wie Live-Videos, Live-Blogs, Datenjournalismus, Automatisierungs- und Analyseleistungen laufend neu integriert werden können. Einen Paradigmenwechsel läuten sicher jene Services ein, die sich noch stärker den Methoden künstlicher Intelligenz bedienen. Damit arbeiten und forschen wir schon lange und sind hier auch Vorreiter der Branche. Wir haben Studien und Leitfäden erstellt und bereits entsprechende Anwendungen im Einsatz. Dort, wo strukturierte Daten vorliegen, kann sehr schnell eine Vielzahl an Meldungen produziert werden, die zuvor nicht existiert hat. Ein Beispiel dafür sind Wahlergebnisse von rund 2.000 österreichischen Gemeinden, die wenige Sekunden nach Wahlschluss als Texte lieferbar sind. KI-Anwendungen erstrecken sich über Sport- und Wirtschaftsdaten, umfassen Speech-to-Text-Tools, Bilder- und Logosuche etc.

LEADERSNET: Die Social Media Möglichkeiten haben die Deutungs-Hoheit des Journalismus beeinflusst – ist unabhängiger Journalismus haltbar?

Pig: Qualitätsjournalismus ist insgesamt gefordert, seine zentrale aufklärerische Funktion der Einordnung und Deutungshoheit in der digitalen Welt in gleichzeitig unübersichtlichen Zeiten laufend zu interpretieren und mit Blick auf die Young Audiences zumindest teilweise auch zurück zu erobern. Es gibt eine große Sehnsucht nach Gehörtwerden und die Welt zu verstehen. Das ist eine Riesenchance für den Qualitätsjournalismus, die es einzulösen und in funktionierende Geschäftsmodelle zu bringen gilt. Als APA arbeiten wir ja gerade laufend daran, um unseren Eigentümern und Kund:innen die richtigen Werkzeuge in der digitalen Transformation dafür in die Hand zu geben. Die APA-Redaktion selbst betritt nicht die Arena der sozialen Medien nicht, sondern bleibt journalistisch in ihrer Rolle als neutraler Gatekeeper der Schleusen, auch wenn diese Schleusen in der digitalen Fragmentierung deutlich mehr und deutlich durchlässiger geworden sind. Ich begreife unseren redaktionellen Basisdienst in all seinen multimedialen Formaten als faktenbasiertes, wohltuendes und nüchternes Kühlmittel in überhitzten und polarisierten Meinungsmärkten.

Als APA sind wir der Unabhängigkeit verpflichtet und geben eine Garantie für zuverlässigen Journalismus ab. Das schließt auch das Thema der Verantwortung und des nachhaltigen Wirtschaftens mit ein, wir sind kein Unternehmen der "quick wins". Wir brauchen eine stabile, unabhängige finanzielle Basis, die schließlich auch die redaktionelle Unabhängigkeit sichert. Das ist und bleibt unser Geschäftsmodell, mit dem wir sehr erfolgreich sind. Die APA zählt zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Nachrichtenagenturen Europas.

LEADERSNET: Wie wird sich Kommunizieren in der Zukunft entwickeln und was heißt dies für die Dienste der APA?

Pig: Neben der erwarteten Revolution der AI-basierten Kommunikation durch generative AI in all ihren unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten sehe ich Kommunikation in ihrer digitalen Entwicklung als zyklischen Prozess an. Nach dem großem Paradigmenwechsel in der massenmedialen Kommunikation durch das Internet und die digitalen Plattformen mit einhergehender Fragmentierung der Kanäle orte ich wieder eine Phase der Neu-Ordnung der Zentrifugalkräfte. Die permanenten Bombardements mit aufgeheizten Informationssplittern, gerade in den sozialen Netzwerken, lassen viele Nutzer:innen oftmals ratlos und erschöpft zurück. Darüber hinaus erkennen Unternehmen zunehmend, wie wichtig das Umfeld für ihre mediale Positionierung ist: Und dieses Umfeld ist in der Online-Welt zunehmend von Desinformation bis zu Hate Speech geprägt. In gewisser Weise stecken die großen Plattformen in einer "publizistischen" Vertrauenskrise. Es benötigt wieder helle Leuchttürme, die Vertrauen bilden können und Wissen statt Information schaffen. Die Dienste der APA unterstützen Kommunikationsprofis in diesen Entwicklungen. Der PR-Desk ist die Plattform der APA-Gruppe für die Kommunikationsbranche, in welcher alle APA-Kommunikationslösungen – von Verbreitungs- bis Medienbeobachtungsdiensten strukturiert, quellensicher und transparent an einer Stelle zugänglich sind – hier werden auch laufend neue, geprüfte digitale Tools und Technologien eingebunden.

LEADERSNET: Abschließend noch eine allgemeine Frage: Darf man sich auf die Zukunft freuen, oder muss man diese mit Respekt erwarten?

Pig: Das eine schließt das andere nicht aus. Ich bin grundsätzlich ein Optimist und freue mich auf die vielen neuen Möglichkeiten und Lösungen, die der technologische Wandel mit sich bringt. Der Zugang zu Wissen und Information und der Grad der Vernetzung werden noch weiter steigen, das sehe ich als große Chance, weil damit der Zustand der Welt sichtbar wird und der Handlungsspielraum steigt. Gleichzeitig sind da aber auch viele Fragen und Aufgaben, vor allem im Umgang mit Desinformation, Cyber- und Datensicherheit oder künstlicher Intelligenz, die uns als Medien und insgesamt als Gesellschaft betreffen. Mit allem gebotenen Respekt. Die Vermittlung und der Ausbau von Media Literacy kann aus meiner Sicht nicht gründlich und schnell genug passieren, da sie eine wichtige Grundlage für funktionierende demokratische Systeme ist.

www.apa.at

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