"Die Corona-Krise hat uns an einen Point-of-no-Return gebracht"

Bernardo Calzadilla-Sarmiento, Direktor für Digitalisierung, Technologie und Agribusiness der UNIDO, bewirbt sich für den Chefposten der Organisation und erzählt im Interview, was Österreich von der UNIDO hat, wie die Digitalisierung die Nachhaltigkeit voranbringen kann und was es braucht um UNIDO-Chef zu werden.

LEADERSNET: Was ist die UNIDO und welche Relevanz hat sie denn in Österreich?

Calzadilla-Sarmiento: UNIDO ist die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung. Die Relevanz für Österreich ist die, dass wir den Sitz der UNIDO seit 1975 hier in Wien haben. Die Relevanz ergibt sich auch daraus, dass die Ökonomie heutzutage von internationalen, globalen Plattformen geprägt ist. Wir haben also eine Plattformökonomie in den Netzwerken und auch im Bereich Public Private Partnership und Wien kann ein Hub für diese Partnership-Bildung sein. Selbst im Bereich Industrie ist es so, dass es immer mehr Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor gibt. Wir sind hier auch geographisch in einer sehr guten Lage, um unsere technischen Projekte in der ganzen Welt durchzuführen. Es ist wichtig, dass das zentrale Paradigma heutzutage die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit sind. Diese neuen Technologien, die jetzt überall implementiert werden, können uns dabei helfen, die Herausforderungen zu meistern. Die Corona-Krise hat uns an einen Point-of-no-Return gebracht. Es wird kein Zurück mehr geben. Die neue Normalität wird anders sein. Ich glaube, es wird in der ganzen Welt sehr viele Veränderungen geben – vor allem in der Arbeitswelt. Die Arbeitswelt hat sich ja für uns im Alltag schon sehr verändert.

LEADERSNET: Sind wir technisch für diesen Paradigmenwechsel schon bereit?

Calzadilla-Sarmiento: Es ist so, dass viele Leute gar nicht die notwendige Konnektivität haben, vor allem in den Entwicklungsländern. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Bolivien, meinem Herkunftsland: Dort müssen die Kinder jetzt über das Internet am Unterricht teilnehmen und das obwohl viele Leute nicht einmal einen Laptop oder einen Computer haben. Natürlich haben sie ein Mobiltelefon – meist ein billiges – und das ermöglicht es, dass sie am Unterricht teilnehmen können. Jedoch ist es so, dass das Mobiltelefon mit einer Pre-Paid-Karte ausgestattet ist, die wöchentlich aufgeladen wird und in vielen Fällen reicht dann aber das Guthaben gar nicht für die ganze Woche. Es geht also nicht nur um die Infrastruktur, die auch ein Problem ist in Entwicklungsländern, sondern auch um die Konnektivität und um die Preise. Das heißt, wir befinden uns in einem Prozess, wo wir sehr aufmerksam sein müssen, dass wir alle mitnehmen in die neue Normalität, weil sehr viele Leute davon ausgeschlossen worden sind.

Die Folgen von COVID waren für alles sehr schlimm, aber vor allem für die Leute, die kein Schutzsystem haben. In Entwicklungsländern, in Lateinamerika aber auch in Afrika, haben bis zu 70 Prozent der Menschen keinerlei soziale Sicherheit. Deshalb ist es auch verständlich, warum die Menschen dort keine Maske tragen und keine Sicherheitsmaßnahmen einhalten, weil es einerseits oft gar nicht möglich ist und weil es andererseits für die Leute viel wichtiger ist, durch den Alltag zu kommen.

LEADERSNET: Sie sagen, dass neben der Digitalisierung, die Nachhaltigkeit das zweite große Thema der Zukunft ist. Inwiefern hängen die beiden Bereiche zusammen?

Calzadilla-Sarmiento: Die Digitalisierung ist per se kein Ziel, nachhaltiges Wirtschaften ist es, was wir langfristig erreichen müssen, wenn wie unseren Planeten erhalten wollen. Digitalisierung ist ein Mittel zum Zweck, sie wird uns in den unterschiedlichen Bereichen sehr viel helfen. Das gilt auch für den Bereich Nachhaltigkeit. Es gilt eine neue Ökonomie, die Kreislaufwirtschaft, zu schaffen, die weniger absetzt, die weniger Abfall produziert, wo jeder Output als Input verwendet wird, usw. Das können wir durch diese neuen Technologien, wie AI (Artificial Intelligence/Künstliche Intelligenz) oder Blockchain erreichen. All diese Technologien können uns helfen, die Ressourcen effizienter zu verwalten und wenn wir diese effizienter nutzen, dann sparen wir am Ende Ressourcen. Im Mittelpunkt der Bemühungen der steht die Industrie, weil die Industrie hat das Potenzial, wieder Arbeitsplätze zu schaffen. In Zukunft wird es wichtig sein, dass die Leute nicht irgendeine Aktivität durchführen, sondern dass sie einen, wie wir es nennen, "decent Job" haben können, der eine gewisse Stabilität garantiert. Wir können nicht über Nachhaltigkeit reden, wenn nicht die Menschen im Zentrum stehen. Nachhaltigkeit umfasst die Leute, die Communities und letztendlich die Umwelt. Deshalb sehen unsere Konzepte der Nachhaltigkeit auch vor, dass wir uns die sozialen Probleme anschauen. Ich glaube, dass nach Corona soziale Inklusion das größte Herausforderung sein wird.

LEADERSNET: Wie ist die UNIDO eigentlich strukturiert?

Calzadilla-Sarmiento: Die UNIDO ist nicht so groß. Wir haben um die 165 Mitgliedsstaaten und 600 Mitarbeiter hier in Wien. Weltweit gesehen haben wir 3.000 Mitarbeiter. Wir arbeiten in den Entwicklungsländern. Was die UNIDO machen kann, ist aus diesen Projekten, wo wir arbeiten, Lehren und Best Practices zu ziehen, globale Produkte herzustellen und dann die Politik zu beeinflussen, um den Entwicklungsländer zu helfen und eben durch Industrialisierung neue Arbeitsplätze zu schaffen und eine nachhaltige Zukunft zu garantieren.

LEADERSNET: Was hat Österreich davon, dass die Organisation ihren Sitz hier hat?

Calzadilla-Sarmiento: Ich glaube, zur damaligen Zeit hat Österreich eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklungspolitik gespielt. Ich glaube, es war der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky, der eine Vision hatte. Die Vision war, aus Wien eine internationale Hauptstadt zu machen. Das ist wirklich etwas so Beeindruckendes, weil in der Nachkriegszeit gab es nur zwei UNO-Metropolen: New York und Genf. In den 70er-Jahren zu denken, aus Wien eine neue UNO-Metropole zu machen, war wirklich sehr wichtig. Die UNIDO hat in der Geopolitik natürlich nicht so einen hohen Stellenwert. Sie ist dafür umso wichtiger in der Entwicklungspolitik. In Wien hat sich ein Cluster an UNO-Organisationen gebildet. Wien ist ein sehr attraktiver Platz, um UN-Organisationen heranzuziehen und natürlich profitiert auch Österreich davon, in dem es eine Rolle im internationalen Konzert spielt.

LEADERSNET: Sie stellen sich der Wahl Generaldirektor der UNIDO. Was möchten Sie in dieses Amt einbringen?

Calzadilla-Sarmiento: Erstens natürlich die Internationalität. Ich habe 30 Jahre Erfahrung bei der UNIDO, habe in Afrika, Lateinamerika und Asien gearbeitet. Ich glaube es ist wichtig zu betonen, dass wir aus einer Krise kommen und wir brauchen jetzt viel Kontinuität. Ich habe im technologischen Bereich viele Jahre gearbeitet und habe in den Bereichen Normung, Standardisierung, Technologie, Industrie 4.0 und Digitalisierung viel Erfahrung. Ich glaube, man braucht diese Kenntnisse, um die Mitgliedsstaaten auf ihrem Weg der nachhaltigen industriellen Entwicklung zu begleiten. Es ist wichtig, die UNIDO und ihr Entwicklungskonzept gut zu kennen, um so eine Organisation zu leiten.

LEADERSNET: Sie leben nicht nur in Österreich, sondern haben auch hier studiert und sprechen sechs Sprachen – darunter perfekt deutsch. Was muss man eigentlich können, um UNIDO-Präsident zu werden?

Calzadilla-Sarmiento: Ich glaube, was man braucht, ist diese langjährige Erfahrung. UNIDO ist eine spezialisierte Organisation der United Nations und es gibt zwei Wege, wenn man in der UNIDO Generaldirektor werden will. Da es sich um eine spezialisierte Organisation handelt, benötigt man das technische Know-how und die globale Erfahrung. Da es sich um eine unabhängige Organisation handelt stellt man sich für das Amt zur Wahl. Man braucht die Unterstützung der Mitgliedsstaaten – hoffentlich auch von Österreich – um die Organisation in Zukunft zu leiten. Die Wahlen finden Mitte Juli statt.

www.unido.org

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